Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

bot. Gleich im Beginn des Jahrhunderts gründete man die Suppenanstalten,
welche die Rumfordsche Erfindung ausnützten; die unter Goethe's Leitung
stehende Clubgesellschaft arbeitete auf die Besserung der Dienstboten hin; seit
1804, wo auch die unvergeßliche Großfürstin ihr segensreiches Wirken begann,
richtete man eine Wärmeanstalt ein; vieles subsumirt sich natürlich nicht
unter Schöpfungen, die unter besonders bemerkenswerthen Namen ins Leben
traten. Aber es kennzeichnete sich die Zeit durch Auszeichnung des Verdienstes,
wenn dasselbe auch nach unsern Anschauungen nicht immer als ein solches er¬
scheint, sondern nur als Ausfluß treuer Pflichterfüllung anzusehen ist. Staats¬
beamte erhielten öffentliche Belobungen in dem kleinen Wochenblatte, Lebens¬
rettungen wurden im Mangel anderer Anerkennungszeichen von den Canzeln
verkündet (1817). Der Gründung eines Rettungshauses folgte 1818 unmit¬
telbar die einer Armenanstalt/) unter dem Namen Carlsstift, welche aus dem
Wohlthätigkeitssinn einzelner Bürger hervorging. Längst war Falls Institut
in segensreicher Wirksamkeit. In 10 Jahren allein bahnte es 2S0 verlassenen
Kindern die Lebenspfade; fein Werk sprach für sich selbst; es bedürfte seiner
Versicherungen nicht, daß griechische und lateinische Taugenichtse dem Staat
nichts nützen könnten. Nebenbei sorgte man in sanitätspolizeilicher Hinsicht
für das Wohl der Bevölkerung, seit 1814 führte man die Blatternimpfung
zwangsweise ein, schützte das Publicum vor der herrschenden Medicasterei der
Scharfrichter und Hirten; wenn auch wohl das 1802 angewandte Mittel nicht
das richtige war, daß die Aerzte den Patienten gleich beim ersten Erscheinen
die Zahl ihrer Besuche bestimmen mußten, oder wenn man die Gründung
einer Dampfbadeanstalt 1824 nicht zuließ, weil ein Warmbad schon ohne
Klagen bereits bestehe. Man hatte mit viel Aberglauben zu kämpfen, mit alten
aus den katholischen Zeiten herüberreichenden Gebräuchen, wie der Bekreuzung
der Häuser vor dem Drachen, dem Umherziehen singender Kinder mit den
heiligen 3 Königen u. s. w. Aber ebenso sehr mit jenen wissenschaftlichen
"Autoritäten", welche behaupteten, daß der Genuß von Thee und Kaffee in
jeder Form und Dosis das Heer der herrschenden Krankheiten hervorgerufen
habe, und unser orientalisches Leben aufhören müsse.

Der Zuschnitt der gesammten Verhältnisse schloß den Luxus aus. Die
inneren Einrichtungen der Häuser waren mehr als einfach, selbst am Hof war
Vieles bis zur Herstellung des Schlosses bürgerlich. Erst in den 80er Jahren
des vorigen Jahrhunderts kamen die Tapeten in Privatwohnungen langsam in
Aufnahme; und es war diese Ausschmückung in öffentlichen Organen als ein "ver-



") Der Wohlthätigkeitssinn einzelner Bürger Weimars ging so weit, daß ein Zinngießer
sogar eine öffentliche Klystirsprihe für Arme stiftete, die man nach Beliel'er zum Gebrauch ab¬
holen konnte. Neben ihr eristirten "och andere derartige Instrumente, welche gegen Leihgeld
gebraucht wurden.

bot. Gleich im Beginn des Jahrhunderts gründete man die Suppenanstalten,
welche die Rumfordsche Erfindung ausnützten; die unter Goethe's Leitung
stehende Clubgesellschaft arbeitete auf die Besserung der Dienstboten hin; seit
1804, wo auch die unvergeßliche Großfürstin ihr segensreiches Wirken begann,
richtete man eine Wärmeanstalt ein; vieles subsumirt sich natürlich nicht
unter Schöpfungen, die unter besonders bemerkenswerthen Namen ins Leben
traten. Aber es kennzeichnete sich die Zeit durch Auszeichnung des Verdienstes,
wenn dasselbe auch nach unsern Anschauungen nicht immer als ein solches er¬
scheint, sondern nur als Ausfluß treuer Pflichterfüllung anzusehen ist. Staats¬
beamte erhielten öffentliche Belobungen in dem kleinen Wochenblatte, Lebens¬
rettungen wurden im Mangel anderer Anerkennungszeichen von den Canzeln
verkündet (1817). Der Gründung eines Rettungshauses folgte 1818 unmit¬
telbar die einer Armenanstalt/) unter dem Namen Carlsstift, welche aus dem
Wohlthätigkeitssinn einzelner Bürger hervorging. Längst war Falls Institut
in segensreicher Wirksamkeit. In 10 Jahren allein bahnte es 2S0 verlassenen
Kindern die Lebenspfade; fein Werk sprach für sich selbst; es bedürfte seiner
Versicherungen nicht, daß griechische und lateinische Taugenichtse dem Staat
nichts nützen könnten. Nebenbei sorgte man in sanitätspolizeilicher Hinsicht
für das Wohl der Bevölkerung, seit 1814 führte man die Blatternimpfung
zwangsweise ein, schützte das Publicum vor der herrschenden Medicasterei der
Scharfrichter und Hirten; wenn auch wohl das 1802 angewandte Mittel nicht
das richtige war, daß die Aerzte den Patienten gleich beim ersten Erscheinen
die Zahl ihrer Besuche bestimmen mußten, oder wenn man die Gründung
einer Dampfbadeanstalt 1824 nicht zuließ, weil ein Warmbad schon ohne
Klagen bereits bestehe. Man hatte mit viel Aberglauben zu kämpfen, mit alten
aus den katholischen Zeiten herüberreichenden Gebräuchen, wie der Bekreuzung
der Häuser vor dem Drachen, dem Umherziehen singender Kinder mit den
heiligen 3 Königen u. s. w. Aber ebenso sehr mit jenen wissenschaftlichen
„Autoritäten", welche behaupteten, daß der Genuß von Thee und Kaffee in
jeder Form und Dosis das Heer der herrschenden Krankheiten hervorgerufen
habe, und unser orientalisches Leben aufhören müsse.

Der Zuschnitt der gesammten Verhältnisse schloß den Luxus aus. Die
inneren Einrichtungen der Häuser waren mehr als einfach, selbst am Hof war
Vieles bis zur Herstellung des Schlosses bürgerlich. Erst in den 80er Jahren
des vorigen Jahrhunderts kamen die Tapeten in Privatwohnungen langsam in
Aufnahme; und es war diese Ausschmückung in öffentlichen Organen als ein „ver-



") Der Wohlthätigkeitssinn einzelner Bürger Weimars ging so weit, daß ein Zinngießer
sogar eine öffentliche Klystirsprihe für Arme stiftete, die man nach Beliel'er zum Gebrauch ab¬
holen konnte. Neben ihr eristirten »och andere derartige Instrumente, welche gegen Leihgeld
gebraucht wurden.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0071" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/127999"/>
          <p xml:id="ID_183" prev="#ID_182"> bot. Gleich im Beginn des Jahrhunderts gründete man die Suppenanstalten,<lb/>
welche die Rumfordsche Erfindung ausnützten; die unter Goethe's Leitung<lb/>
stehende Clubgesellschaft arbeitete auf die Besserung der Dienstboten hin; seit<lb/>
1804, wo auch die unvergeßliche Großfürstin ihr segensreiches Wirken begann,<lb/>
richtete man eine Wärmeanstalt ein; vieles subsumirt sich natürlich nicht<lb/>
unter Schöpfungen, die unter besonders bemerkenswerthen Namen ins Leben<lb/>
traten. Aber es kennzeichnete sich die Zeit durch Auszeichnung des Verdienstes,<lb/>
wenn dasselbe auch nach unsern Anschauungen nicht immer als ein solches er¬<lb/>
scheint, sondern nur als Ausfluß treuer Pflichterfüllung anzusehen ist. Staats¬<lb/>
beamte erhielten öffentliche Belobungen in dem kleinen Wochenblatte, Lebens¬<lb/>
rettungen wurden im Mangel anderer Anerkennungszeichen von den Canzeln<lb/>
verkündet (1817). Der Gründung eines Rettungshauses folgte 1818 unmit¬<lb/>
telbar die einer Armenanstalt/) unter dem Namen Carlsstift, welche aus dem<lb/>
Wohlthätigkeitssinn einzelner Bürger hervorging. Längst war Falls Institut<lb/>
in segensreicher Wirksamkeit. In 10 Jahren allein bahnte es 2S0 verlassenen<lb/>
Kindern die Lebenspfade; fein Werk sprach für sich selbst; es bedürfte seiner<lb/>
Versicherungen nicht, daß griechische und lateinische Taugenichtse dem Staat<lb/>
nichts nützen könnten. Nebenbei sorgte man in sanitätspolizeilicher Hinsicht<lb/>
für das Wohl der Bevölkerung, seit 1814 führte man die Blatternimpfung<lb/>
zwangsweise ein, schützte das Publicum vor der herrschenden Medicasterei der<lb/>
Scharfrichter und Hirten; wenn auch wohl das 1802 angewandte Mittel nicht<lb/>
das richtige war, daß die Aerzte den Patienten gleich beim ersten Erscheinen<lb/>
die Zahl ihrer Besuche bestimmen mußten, oder wenn man die Gründung<lb/>
einer Dampfbadeanstalt 1824 nicht zuließ, weil ein Warmbad schon ohne<lb/>
Klagen bereits bestehe. Man hatte mit viel Aberglauben zu kämpfen, mit alten<lb/>
aus den katholischen Zeiten herüberreichenden Gebräuchen, wie der Bekreuzung<lb/>
der Häuser vor dem Drachen, dem Umherziehen singender Kinder mit den<lb/>
heiligen 3 Königen u. s. w. Aber ebenso sehr mit jenen wissenschaftlichen<lb/>
&#x201E;Autoritäten", welche behaupteten, daß der Genuß von Thee und Kaffee in<lb/>
jeder Form und Dosis das Heer der herrschenden Krankheiten hervorgerufen<lb/>
habe, und unser orientalisches Leben aufhören müsse.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_184" next="#ID_185"> Der Zuschnitt der gesammten Verhältnisse schloß den Luxus aus. Die<lb/>
inneren Einrichtungen der Häuser waren mehr als einfach, selbst am Hof war<lb/>
Vieles bis zur Herstellung des Schlosses bürgerlich. Erst in den 80er Jahren<lb/>
des vorigen Jahrhunderts kamen die Tapeten in Privatwohnungen langsam in<lb/>
Aufnahme; und es war diese Ausschmückung in öffentlichen Organen als ein &#x201E;ver-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_9" place="foot"> ") Der Wohlthätigkeitssinn einzelner Bürger Weimars ging so weit, daß ein Zinngießer<lb/>
sogar eine öffentliche Klystirsprihe für Arme stiftete, die man nach Beliel'er zum Gebrauch ab¬<lb/>
holen konnte. Neben ihr eristirten »och andere derartige Instrumente, welche gegen Leihgeld<lb/>
gebraucht wurden.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0071] bot. Gleich im Beginn des Jahrhunderts gründete man die Suppenanstalten, welche die Rumfordsche Erfindung ausnützten; die unter Goethe's Leitung stehende Clubgesellschaft arbeitete auf die Besserung der Dienstboten hin; seit 1804, wo auch die unvergeßliche Großfürstin ihr segensreiches Wirken begann, richtete man eine Wärmeanstalt ein; vieles subsumirt sich natürlich nicht unter Schöpfungen, die unter besonders bemerkenswerthen Namen ins Leben traten. Aber es kennzeichnete sich die Zeit durch Auszeichnung des Verdienstes, wenn dasselbe auch nach unsern Anschauungen nicht immer als ein solches er¬ scheint, sondern nur als Ausfluß treuer Pflichterfüllung anzusehen ist. Staats¬ beamte erhielten öffentliche Belobungen in dem kleinen Wochenblatte, Lebens¬ rettungen wurden im Mangel anderer Anerkennungszeichen von den Canzeln verkündet (1817). Der Gründung eines Rettungshauses folgte 1818 unmit¬ telbar die einer Armenanstalt/) unter dem Namen Carlsstift, welche aus dem Wohlthätigkeitssinn einzelner Bürger hervorging. Längst war Falls Institut in segensreicher Wirksamkeit. In 10 Jahren allein bahnte es 2S0 verlassenen Kindern die Lebenspfade; fein Werk sprach für sich selbst; es bedürfte seiner Versicherungen nicht, daß griechische und lateinische Taugenichtse dem Staat nichts nützen könnten. Nebenbei sorgte man in sanitätspolizeilicher Hinsicht für das Wohl der Bevölkerung, seit 1814 führte man die Blatternimpfung zwangsweise ein, schützte das Publicum vor der herrschenden Medicasterei der Scharfrichter und Hirten; wenn auch wohl das 1802 angewandte Mittel nicht das richtige war, daß die Aerzte den Patienten gleich beim ersten Erscheinen die Zahl ihrer Besuche bestimmen mußten, oder wenn man die Gründung einer Dampfbadeanstalt 1824 nicht zuließ, weil ein Warmbad schon ohne Klagen bereits bestehe. Man hatte mit viel Aberglauben zu kämpfen, mit alten aus den katholischen Zeiten herüberreichenden Gebräuchen, wie der Bekreuzung der Häuser vor dem Drachen, dem Umherziehen singender Kinder mit den heiligen 3 Königen u. s. w. Aber ebenso sehr mit jenen wissenschaftlichen „Autoritäten", welche behaupteten, daß der Genuß von Thee und Kaffee in jeder Form und Dosis das Heer der herrschenden Krankheiten hervorgerufen habe, und unser orientalisches Leben aufhören müsse. Der Zuschnitt der gesammten Verhältnisse schloß den Luxus aus. Die inneren Einrichtungen der Häuser waren mehr als einfach, selbst am Hof war Vieles bis zur Herstellung des Schlosses bürgerlich. Erst in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts kamen die Tapeten in Privatwohnungen langsam in Aufnahme; und es war diese Ausschmückung in öffentlichen Organen als ein „ver- ") Der Wohlthätigkeitssinn einzelner Bürger Weimars ging so weit, daß ein Zinngießer sogar eine öffentliche Klystirsprihe für Arme stiftete, die man nach Beliel'er zum Gebrauch ab¬ holen konnte. Neben ihr eristirten »och andere derartige Instrumente, welche gegen Leihgeld gebraucht wurden.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/71
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/71>, abgerufen am 22.12.2024.