Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.Ultramontane die Zügel der Regierung in Händen gehabt hatten; in dem Indessen all diese wohlmeinenden Bestrebungen und theilweise eminent Dieser Fall trat im Winter 1869 ein. Schon die Wahlen im Sommer 18K9 Grenzbotc" III. 1872. 7
Ultramontane die Zügel der Regierung in Händen gehabt hatten; in dem Indessen all diese wohlmeinenden Bestrebungen und theilweise eminent Dieser Fall trat im Winter 1869 ein. Schon die Wahlen im Sommer 18K9 Grenzbotc» III. 1872. 7
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0057" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/127985"/> <p xml:id="ID_144" prev="#ID_143"> Ultramontane die Zügel der Regierung in Händen gehabt hatten; in dem<lb/> Staate, welcher in allen deutschen Glaubenskriegen die Vormacht der spanischen<lb/> Liga gewesen war.</p><lb/> <p xml:id="ID_145"> Indessen all diese wohlmeinenden Bestrebungen und theilweise eminent<lb/> kühnen Entschlüsse waren nur unter einer Bedingung des Sieges gewiß: wenn<lb/> nämlich Fürst Hohenlohe in den Tagen seiner unbestrittensten Popularität<lb/> und seines erfolgreichsten Einflusses für eine Totalerneuerung des bayerischen<lb/> Ministeriums im nationalen Sinne gesorgt hätte. Rudolph Gneist war es,<lb/> der einst der weltläufigen Phrase: „das Jahr 1848 sei gescheitert, weil es vor<lb/> den Thronen stehen geblieben" den Hals brach durch die kühle Betrachtung,<lb/> daß vornehmlich das Bestehenlassen der vormärzlichen Bureaukratie die Er¬<lb/> rungenschaften des Völkerfrühlings geknickt habe. Dieselbe Erfahrung hat<lb/> leider Fürst Hohenlohe in Bayern gemacht. Er hat eine Anzahl zweifelhaft-<lb/> nationalgesinnter Charaktere im bayerischen Ministerium neben sich bestehen<lb/> lassen, die auf dem Oberwasser mit ihm schwammen, solange es gut ging, die<lb/> ihn überaus muthlos im Stiche ließen, als es zum Brechen kam. Bei der<lb/> heimathloser, mit allen Todfeinden der deutschen Einheit und Selbständigkeit<lb/> wider uns verschworenen Naturanlage der Römlinge, hätte er spätestens seit<lb/> Erlaß seiner Circulardepesche wider das Concil nur die Treuesten der Treuen<lb/> um sich versammeln, und die zweifelhaften doppelzüngigen Collegen aus dem<lb/> Ministerium ausscheiden müssen. Bis auf die gegenwärtige Stunde fallen die<lb/> Schatten dieser Unterlassungssünde — denn wer möchte daran zweifeln, daß<lb/> z. B. die Reservatrechte der Krone Bayern, wie sie die deutsche Reichs-<lb/> verfassung gewährleistet, von einem rein nationalen bayerischen Ministerium<lb/> von der Farbe Hohenlohe's zum größten Theil nicht begehrt worden wären?<lb/> Wie ganz anders würde heute ein Cabinet Hohenlohe den Ultramontanen<lb/> aufspielen, als Herr von Lutz! Und wenn auch so weittragende Folgen Anfang<lb/> Winters 18K9 Niemand überblicken konnte, so mußte der Fürst doch auch<lb/> damals schon, wo er im Ministerium mit seiner nationalen Politik fast allein<lb/> stand, seiner Niederlage gewiß sein, sobald die ultramontanen Patrioten die<lb/> Mehrheit bei den Neuwahlen davontrugen; denn nur ein solidarisches Cabinet<lb/> hätte nach constitutionellen Staatsrecht zur Kammerauflvsung schreiten dürfen.</p><lb/> <p xml:id="ID_146" next="#ID_147"> Dieser Fall trat im Winter 1869 ein. Schon die Wahlen im Sommer 18K9<lb/> hatten das überraschende Resultat ergeben, daß die beiden Parteien des Landes sich<lb/> in ganz gleicher Zahl gegenüberstanden. Die Präsidentenwahl brachte dieses Ver¬<lb/> hältniß zum Ausdruck. Keine Partei wollte nachgeben und jeder neue Wahlgang<lb/> brachte wieder Gleichheit der Stimmen. Die Versuche Hohenlohe's, ein Compromiß<lb/> zu Stande zu bringen, scheiterten an der Hoffnung, mit welcher sich ebenmäßig<lb/> beide Parteien trugen, in einer neuen Wahl zum Abgeordnetenhaus^ die Ma¬<lb/> jorität der Stimmen zu erlangen. Die Führer beider Parteien riethen zur</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbotc» III. 1872. 7</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0057]
Ultramontane die Zügel der Regierung in Händen gehabt hatten; in dem
Staate, welcher in allen deutschen Glaubenskriegen die Vormacht der spanischen
Liga gewesen war.
Indessen all diese wohlmeinenden Bestrebungen und theilweise eminent
kühnen Entschlüsse waren nur unter einer Bedingung des Sieges gewiß: wenn
nämlich Fürst Hohenlohe in den Tagen seiner unbestrittensten Popularität
und seines erfolgreichsten Einflusses für eine Totalerneuerung des bayerischen
Ministeriums im nationalen Sinne gesorgt hätte. Rudolph Gneist war es,
der einst der weltläufigen Phrase: „das Jahr 1848 sei gescheitert, weil es vor
den Thronen stehen geblieben" den Hals brach durch die kühle Betrachtung,
daß vornehmlich das Bestehenlassen der vormärzlichen Bureaukratie die Er¬
rungenschaften des Völkerfrühlings geknickt habe. Dieselbe Erfahrung hat
leider Fürst Hohenlohe in Bayern gemacht. Er hat eine Anzahl zweifelhaft-
nationalgesinnter Charaktere im bayerischen Ministerium neben sich bestehen
lassen, die auf dem Oberwasser mit ihm schwammen, solange es gut ging, die
ihn überaus muthlos im Stiche ließen, als es zum Brechen kam. Bei der
heimathloser, mit allen Todfeinden der deutschen Einheit und Selbständigkeit
wider uns verschworenen Naturanlage der Römlinge, hätte er spätestens seit
Erlaß seiner Circulardepesche wider das Concil nur die Treuesten der Treuen
um sich versammeln, und die zweifelhaften doppelzüngigen Collegen aus dem
Ministerium ausscheiden müssen. Bis auf die gegenwärtige Stunde fallen die
Schatten dieser Unterlassungssünde — denn wer möchte daran zweifeln, daß
z. B. die Reservatrechte der Krone Bayern, wie sie die deutsche Reichs-
verfassung gewährleistet, von einem rein nationalen bayerischen Ministerium
von der Farbe Hohenlohe's zum größten Theil nicht begehrt worden wären?
Wie ganz anders würde heute ein Cabinet Hohenlohe den Ultramontanen
aufspielen, als Herr von Lutz! Und wenn auch so weittragende Folgen Anfang
Winters 18K9 Niemand überblicken konnte, so mußte der Fürst doch auch
damals schon, wo er im Ministerium mit seiner nationalen Politik fast allein
stand, seiner Niederlage gewiß sein, sobald die ultramontanen Patrioten die
Mehrheit bei den Neuwahlen davontrugen; denn nur ein solidarisches Cabinet
hätte nach constitutionellen Staatsrecht zur Kammerauflvsung schreiten dürfen.
Dieser Fall trat im Winter 1869 ein. Schon die Wahlen im Sommer 18K9
hatten das überraschende Resultat ergeben, daß die beiden Parteien des Landes sich
in ganz gleicher Zahl gegenüberstanden. Die Präsidentenwahl brachte dieses Ver¬
hältniß zum Ausdruck. Keine Partei wollte nachgeben und jeder neue Wahlgang
brachte wieder Gleichheit der Stimmen. Die Versuche Hohenlohe's, ein Compromiß
zu Stande zu bringen, scheiterten an der Hoffnung, mit welcher sich ebenmäßig
beide Parteien trugen, in einer neuen Wahl zum Abgeordnetenhaus^ die Ma¬
jorität der Stimmen zu erlangen. Die Führer beider Parteien riethen zur
Grenzbotc» III. 1872. 7
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