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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Thüngen ein, ihn zu Bismarckzu begleiten, damit er Zeuge ihres Gesprächs
sei, und seine Ueberzeugung auch selbst beredt vertheidigen möge. Baron von
Thüngen machte sich voller Hoffnungen mit Hohenlohe auf nach Berlin.
Bismarck empfing die Herren mit gewohnter Freundlichkeit, namentlich Herrn
von Thüngen. Aber


Was er allda gesehen und erfahren,
Hat seine Zunge nie bekannt. Auf ewig
War seines Lebens Heiterkeit dahin,

und Thüngen derjenige, der nach seiner Rückkehr nach München seiner Kam¬
mer die einstimmige Annahme der Zollvereinsverträge empfahl.

Hohenlohe hat den entscheidenden Sieg, den er damals über die Häupter
seiner Gegner davontrug, so klug und ergiebig benutzt, als möglich. Nament¬
lich gebührt ihm das Lob.' mit Hülfe des wackern Kriegsministers, den sprich¬
wörtlichen Schlendrian der weiland bayerischen Armee ausgerottet und das
Heer, soweit sich das mit den berechtigten bayerischen Eigenthümlichkeiten ver¬
trug, noch vor dem Krieg von 1870 nahezu auf den strengen Fuß und die
zuchtvolle Tüchtigkeit der norddeutschen Heereskörper gebracht zu haben. Was
das heißen will in etwa zwei Jahren, und in einem Lande, wo die Rauferei
mit dem Schlagring zum "braven Bua" gehörte, und eine halbe Kreuzer¬
schwankung im Bierpreis ernstlich gefährliche Staatsrevolutionen erzeugte, wo
endlich bis 1868 jeder halbwegs anständige Mensch sich vom Militärdienst
loskaufen konnte, und für die beschränkteren Söhne wohlhabender Eltern der
landesübliche Trost galt: "Zum Lieutenant ist er noch immer g'sehen genug",
kann man sich wohl vorstellen. Größer noch wird das Verdienst, wenn man
bedenkt, daß ihm gelungen ist, die übrigen süddeutschen Regierungen, nament¬
lich das damals völlig centrifugale Württemberg, zu einer gewissen Einmüthig-
keit mit Bayern in der militärischen Reorganisation zu veranlassen, und daß
er 1869 soweit gelangte, eine süddeutsche Festungscommission ins Leben zu
rufen, welche den kriegstüchtigen Stand der süddeutschen Festungen im In¬
teresse des ganzen Vaterlandes zu prüfen und unterhalten bestimmt war. So
lassen auch die scheinbar nur für die transmainanischen Stämme geschaffenen
Institutionen, die er ins Leben rief, die bedeutende Beziehung zum Gesammt-
vaterlande und das Gegentheil von separatistischer Arbeit deutlich erkennen.
Und nicht am geringsten wollen wir ihm anrechnen seine Circulardepesche vom
9. April 1869 über das vaticanische Concil und die geplante Unfehlbarkeit
des Papstes, in welcher das Unheil der bösen Saat, die seitdem überall
hoch aufgeschossen ist, ganz Europa klar prophezeiht wird. Doppelt hoch
war der Muth solcher That anzuschlagen in einem Lande, wo seit Menschen¬
gedenken nur Rheinbündler. Satrapen der Habsburgischen Hauspolitik oder


Thüngen ein, ihn zu Bismarckzu begleiten, damit er Zeuge ihres Gesprächs
sei, und seine Ueberzeugung auch selbst beredt vertheidigen möge. Baron von
Thüngen machte sich voller Hoffnungen mit Hohenlohe auf nach Berlin.
Bismarck empfing die Herren mit gewohnter Freundlichkeit, namentlich Herrn
von Thüngen. Aber


Was er allda gesehen und erfahren,
Hat seine Zunge nie bekannt. Auf ewig
War seines Lebens Heiterkeit dahin,

und Thüngen derjenige, der nach seiner Rückkehr nach München seiner Kam¬
mer die einstimmige Annahme der Zollvereinsverträge empfahl.

Hohenlohe hat den entscheidenden Sieg, den er damals über die Häupter
seiner Gegner davontrug, so klug und ergiebig benutzt, als möglich. Nament¬
lich gebührt ihm das Lob.' mit Hülfe des wackern Kriegsministers, den sprich¬
wörtlichen Schlendrian der weiland bayerischen Armee ausgerottet und das
Heer, soweit sich das mit den berechtigten bayerischen Eigenthümlichkeiten ver¬
trug, noch vor dem Krieg von 1870 nahezu auf den strengen Fuß und die
zuchtvolle Tüchtigkeit der norddeutschen Heereskörper gebracht zu haben. Was
das heißen will in etwa zwei Jahren, und in einem Lande, wo die Rauferei
mit dem Schlagring zum „braven Bua" gehörte, und eine halbe Kreuzer¬
schwankung im Bierpreis ernstlich gefährliche Staatsrevolutionen erzeugte, wo
endlich bis 1868 jeder halbwegs anständige Mensch sich vom Militärdienst
loskaufen konnte, und für die beschränkteren Söhne wohlhabender Eltern der
landesübliche Trost galt: „Zum Lieutenant ist er noch immer g'sehen genug",
kann man sich wohl vorstellen. Größer noch wird das Verdienst, wenn man
bedenkt, daß ihm gelungen ist, die übrigen süddeutschen Regierungen, nament¬
lich das damals völlig centrifugale Württemberg, zu einer gewissen Einmüthig-
keit mit Bayern in der militärischen Reorganisation zu veranlassen, und daß
er 1869 soweit gelangte, eine süddeutsche Festungscommission ins Leben zu
rufen, welche den kriegstüchtigen Stand der süddeutschen Festungen im In¬
teresse des ganzen Vaterlandes zu prüfen und unterhalten bestimmt war. So
lassen auch die scheinbar nur für die transmainanischen Stämme geschaffenen
Institutionen, die er ins Leben rief, die bedeutende Beziehung zum Gesammt-
vaterlande und das Gegentheil von separatistischer Arbeit deutlich erkennen.
Und nicht am geringsten wollen wir ihm anrechnen seine Circulardepesche vom
9. April 1869 über das vaticanische Concil und die geplante Unfehlbarkeit
des Papstes, in welcher das Unheil der bösen Saat, die seitdem überall
hoch aufgeschossen ist, ganz Europa klar prophezeiht wird. Doppelt hoch
war der Muth solcher That anzuschlagen in einem Lande, wo seit Menschen¬
gedenken nur Rheinbündler. Satrapen der Habsburgischen Hauspolitik oder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/56>, abgerufen am 22.12.2024.