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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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kann sich leicht denken, welche Rolle bei diesem Güterschacher die Localgewalt-
haber, d. h. die einzelnen französischen Officiere, spielten. Der Haß der Ein¬
geborenen stieg in Folge der grausamen und frechen Treulosigkeiten, welche sich
der Oberbefehlshaber zu Schulden kommen ließ, und die Beschwerden über
Savary wurden endlich so laut, daß er im März 1833 abberufen und durch
den General Tre'zel ersetzt ward. Aber auch dieser blieb wenig länger als
ein Jahr in seiner Stellung. Im Juni 1834 wurde der orleanistische Ver¬
schwörer von 181S, General Drouet d'Erlon, zum Generalgouvemeur,
"der französischen Besitzungen in Nordafrika" ernannt. Jedoch der häufige
Wechsel der Befehlshaber half dem sich mühsam behauptenden Heere durchaus
nicht auf; an der Malta erfocht der Emir Abtei Kader einen nicht unbe¬
deutenden Sieg. Unwille und Bestürzung wurden in Frankreich laut, man
war nahe daran, die Colonie ganz aufzugeben, und die Opposition verlangte
aufs Heftigste die Wiedereinsetzung des Marschall Clauzel als Gouverneur.
So sehr die Regierung Ursache hatte, diesem Manne, der beim Pariser Auf¬
stande eine so verdächtige Rolle gespielt, zu mißtrauen, so gab sie doch nach,
und Clauzel übernahm aufs Neue den Oberbefehl. Zwar siegte er in mehreren
heißen Treffen über Abtei Kader; aber sein verwegener Zug nach Constantine
lief um so trauriger ab. Die Schuld trugen großentheils politische und per¬
sonelle Verhältnisse in Paris. Das unternehmungslustige Ministerium Thiers
war gefallen. Mole! verweigerte weitere Unterstützungen, ohne den Befehl zur
Unternehmung gegen Constantine zurückzunehmen, die auch der hartnäckige
Clauzel keineswegs aufgab. In ungünstiger Jahreszeit und mit ganz unzu¬
reichenden Mitteln ins Werk gesetzt, scheiterte die Erpedition total; nur die
kaltblütige Energie Clauzel's rettete das Heer vor völliger Vernichtung. In¬
deß -- er hatte Unglück gehabt, seine Popularität war hin; er wurde abbe¬
rufen; General Damre^mont trat an seine Stelle. Nach mehreren verlorenen
Treffen bequemte sich Abtei Kader im October 1837 zum Frieden*), und eine
zweite Expedition gegen Constantine, brachte endlich auch diese Stadt in die
Hände der Franzosen. Sie verfiel der schonungslosesten Plünderung, und
selbst nachdem die militärische Ordnung wieder hergestellt war, wurde
diese Plünderung fortgesetzt, zwar nicht mehr von den Soldaten, wohl
aber seitens einer sog. "wissenschaftlichen Commission," die Alles fort¬
nahm, was ihr Interesse einflößte, namentlich alte Bücher. Der Raub
der letzteren wurde später bei ähnlichen Gelegenheiten fortgesetzt und so
systematisch betrieben, daß die arabische Literatur und die in ihr ruhende Bil-



") Ein heimlicher Artikel des Vertrages machte für den General Bugeaud ein Geschenk
von 100,00" Budschus (--Francs) aus -- eine Sache, die, als sie später bekannt wurde, viel
böses Blut in Frankreich machte.

kann sich leicht denken, welche Rolle bei diesem Güterschacher die Localgewalt-
haber, d. h. die einzelnen französischen Officiere, spielten. Der Haß der Ein¬
geborenen stieg in Folge der grausamen und frechen Treulosigkeiten, welche sich
der Oberbefehlshaber zu Schulden kommen ließ, und die Beschwerden über
Savary wurden endlich so laut, daß er im März 1833 abberufen und durch
den General Tre'zel ersetzt ward. Aber auch dieser blieb wenig länger als
ein Jahr in seiner Stellung. Im Juni 1834 wurde der orleanistische Ver¬
schwörer von 181S, General Drouet d'Erlon, zum Generalgouvemeur,
„der französischen Besitzungen in Nordafrika" ernannt. Jedoch der häufige
Wechsel der Befehlshaber half dem sich mühsam behauptenden Heere durchaus
nicht auf; an der Malta erfocht der Emir Abtei Kader einen nicht unbe¬
deutenden Sieg. Unwille und Bestürzung wurden in Frankreich laut, man
war nahe daran, die Colonie ganz aufzugeben, und die Opposition verlangte
aufs Heftigste die Wiedereinsetzung des Marschall Clauzel als Gouverneur.
So sehr die Regierung Ursache hatte, diesem Manne, der beim Pariser Auf¬
stande eine so verdächtige Rolle gespielt, zu mißtrauen, so gab sie doch nach,
und Clauzel übernahm aufs Neue den Oberbefehl. Zwar siegte er in mehreren
heißen Treffen über Abtei Kader; aber sein verwegener Zug nach Constantine
lief um so trauriger ab. Die Schuld trugen großentheils politische und per¬
sonelle Verhältnisse in Paris. Das unternehmungslustige Ministerium Thiers
war gefallen. Mole! verweigerte weitere Unterstützungen, ohne den Befehl zur
Unternehmung gegen Constantine zurückzunehmen, die auch der hartnäckige
Clauzel keineswegs aufgab. In ungünstiger Jahreszeit und mit ganz unzu¬
reichenden Mitteln ins Werk gesetzt, scheiterte die Erpedition total; nur die
kaltblütige Energie Clauzel's rettete das Heer vor völliger Vernichtung. In¬
deß — er hatte Unglück gehabt, seine Popularität war hin; er wurde abbe¬
rufen; General Damre^mont trat an seine Stelle. Nach mehreren verlorenen
Treffen bequemte sich Abtei Kader im October 1837 zum Frieden*), und eine
zweite Expedition gegen Constantine, brachte endlich auch diese Stadt in die
Hände der Franzosen. Sie verfiel der schonungslosesten Plünderung, und
selbst nachdem die militärische Ordnung wieder hergestellt war, wurde
diese Plünderung fortgesetzt, zwar nicht mehr von den Soldaten, wohl
aber seitens einer sog. „wissenschaftlichen Commission," die Alles fort¬
nahm, was ihr Interesse einflößte, namentlich alte Bücher. Der Raub
der letzteren wurde später bei ähnlichen Gelegenheiten fortgesetzt und so
systematisch betrieben, daß die arabische Literatur und die in ihr ruhende Bil-



") Ein heimlicher Artikel des Vertrages machte für den General Bugeaud ein Geschenk
von 100,00» Budschus (—Francs) aus — eine Sache, die, als sie später bekannt wurde, viel
böses Blut in Frankreich machte.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/502>, abgerufen am 03.07.2024.