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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Ausdehnung aller Großstaaten ist von jeher eine Grenze gesteckt gewesen und
ein Staatenbund, wie unsere Union, welche einen so ungeheuren Umfang
gewonnen hat, so verschiedene Klimate und so verschiedene Regionen und
Völkerbestandtheile in sich schließt, legt sich von selbst einmal auseinander.
Wird sich San Francisco, die Weltstadt der Zukunft, die vielleicht einmal
London übertreffen wird, von Washington gouverniren lassen? Das liegt
alles im Gange der geschichtlichen Entwicklung, die für uns keine Ausnahme
machen wird."

Bor der Hand hat es damit gute Wege, tritt aber der Zug gegen
Mexiko ein, dann kann der Zerfall sich vorbereiten. Wir haben ja nur
Maximilian aus Eifersucht gestürzt, damit er nicht die Frucht einheimse,
welche wir als unsere Ernte betrachteten. Nun müssen wir aber auch etwas
thun und es liegt sogar eine Art moralischer Verpflichtung vor, in Mexiko
einzugreifen! Die Geschichte hat ihre Analogien für die Mexikaner, wie für
uns. An der Schwelle der zerrütteten Creolen-Jndianerrepublik stehen wir
expanfionslustigen Menschen mit immerhin vorwiegend germanischem Blute
in den Adern. Einst auch klopften germanische Krieger an die Pforten des
römischen Kaiserreichs und verlangten Einlaß. Die Heerfürsten, Flibustier
ihrer Zeit, kamen mit ihren Gefolgeschaften und eröffneten den Kampf gegen
Rom in sehr mannigfaltiger Weise. Faßt man das Flibustierwesen geschicht¬
lich aus, so ist nicht zu verkennen, daß es seinen Anlaß in einem zutreffenden
Instinkte von Abenteurern hat, die gleichsam als Schneeflocken einer welt¬
geschichtlichen Lavine voran fliegen. Mexiko bietet einige Aehnlichkeit mit den
letzten Zeiten des römischen Kaiserreichs dar. Hier waren, in Folge der
-Mischung von Morgenland und Abendland, die alten Volkstümlichkeiten,
Sitten, Anschauungen und Glaubensmeinungen theils verloren oder abgeschwächt,
das Ganze ein wüstes Durcheinander geworden und dem Menschen die indi¬
viduelle wie nationale Kraft abhanden gekommen. Aus der chaotischen Masse
tauchten allerdings einige tüchtige Männer auf und arbeiteten gegen den
Strom, aber ihr Abmühen erschien vergeblich. Es war im römischen Cäsaren-
reich dahin gekommen, daß bald ein Räuberhauptmann aus Arabien, bald
ein pannonischer Hirt sich den Kaisermantel um die Schultern warf und von
den Legionen auf den Schild gehoben wurde. Aehnlich in Mexiko, wo oft
genug Abenteurer regierten, wo zeitweilig ein halbes Dutzend Häuptlinge,
Generäle und Jndianerchefs in den verschiedenen Provinzen Präsident spielte.
Dieses ganze Wesen gemahnt uns an die Zeiten der triZmta t^raimi als
Gallienus Imperator war. Damals schon war das römische Reich zur
Ernte reif und bald nachher kamen germanische Leute um es abzumähen.
Noch immer hat die Anarchie Staaten zu Grunde gerichtet. Das Kaiser¬
experiment in Mexiko wurde vereitelt, die Republik hat sich nicht geändert,


Ausdehnung aller Großstaaten ist von jeher eine Grenze gesteckt gewesen und
ein Staatenbund, wie unsere Union, welche einen so ungeheuren Umfang
gewonnen hat, so verschiedene Klimate und so verschiedene Regionen und
Völkerbestandtheile in sich schließt, legt sich von selbst einmal auseinander.
Wird sich San Francisco, die Weltstadt der Zukunft, die vielleicht einmal
London übertreffen wird, von Washington gouverniren lassen? Das liegt
alles im Gange der geschichtlichen Entwicklung, die für uns keine Ausnahme
machen wird."

Bor der Hand hat es damit gute Wege, tritt aber der Zug gegen
Mexiko ein, dann kann der Zerfall sich vorbereiten. Wir haben ja nur
Maximilian aus Eifersucht gestürzt, damit er nicht die Frucht einheimse,
welche wir als unsere Ernte betrachteten. Nun müssen wir aber auch etwas
thun und es liegt sogar eine Art moralischer Verpflichtung vor, in Mexiko
einzugreifen! Die Geschichte hat ihre Analogien für die Mexikaner, wie für
uns. An der Schwelle der zerrütteten Creolen-Jndianerrepublik stehen wir
expanfionslustigen Menschen mit immerhin vorwiegend germanischem Blute
in den Adern. Einst auch klopften germanische Krieger an die Pforten des
römischen Kaiserreichs und verlangten Einlaß. Die Heerfürsten, Flibustier
ihrer Zeit, kamen mit ihren Gefolgeschaften und eröffneten den Kampf gegen
Rom in sehr mannigfaltiger Weise. Faßt man das Flibustierwesen geschicht¬
lich aus, so ist nicht zu verkennen, daß es seinen Anlaß in einem zutreffenden
Instinkte von Abenteurern hat, die gleichsam als Schneeflocken einer welt¬
geschichtlichen Lavine voran fliegen. Mexiko bietet einige Aehnlichkeit mit den
letzten Zeiten des römischen Kaiserreichs dar. Hier waren, in Folge der
-Mischung von Morgenland und Abendland, die alten Volkstümlichkeiten,
Sitten, Anschauungen und Glaubensmeinungen theils verloren oder abgeschwächt,
das Ganze ein wüstes Durcheinander geworden und dem Menschen die indi¬
viduelle wie nationale Kraft abhanden gekommen. Aus der chaotischen Masse
tauchten allerdings einige tüchtige Männer auf und arbeiteten gegen den
Strom, aber ihr Abmühen erschien vergeblich. Es war im römischen Cäsaren-
reich dahin gekommen, daß bald ein Räuberhauptmann aus Arabien, bald
ein pannonischer Hirt sich den Kaisermantel um die Schultern warf und von
den Legionen auf den Schild gehoben wurde. Aehnlich in Mexiko, wo oft
genug Abenteurer regierten, wo zeitweilig ein halbes Dutzend Häuptlinge,
Generäle und Jndianerchefs in den verschiedenen Provinzen Präsident spielte.
Dieses ganze Wesen gemahnt uns an die Zeiten der triZmta t^raimi als
Gallienus Imperator war. Damals schon war das römische Reich zur
Ernte reif und bald nachher kamen germanische Leute um es abzumähen.
Noch immer hat die Anarchie Staaten zu Grunde gerichtet. Das Kaiser¬
experiment in Mexiko wurde vereitelt, die Republik hat sich nicht geändert,


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[0463] Ausdehnung aller Großstaaten ist von jeher eine Grenze gesteckt gewesen und ein Staatenbund, wie unsere Union, welche einen so ungeheuren Umfang gewonnen hat, so verschiedene Klimate und so verschiedene Regionen und Völkerbestandtheile in sich schließt, legt sich von selbst einmal auseinander. Wird sich San Francisco, die Weltstadt der Zukunft, die vielleicht einmal London übertreffen wird, von Washington gouverniren lassen? Das liegt alles im Gange der geschichtlichen Entwicklung, die für uns keine Ausnahme machen wird." Bor der Hand hat es damit gute Wege, tritt aber der Zug gegen Mexiko ein, dann kann der Zerfall sich vorbereiten. Wir haben ja nur Maximilian aus Eifersucht gestürzt, damit er nicht die Frucht einheimse, welche wir als unsere Ernte betrachteten. Nun müssen wir aber auch etwas thun und es liegt sogar eine Art moralischer Verpflichtung vor, in Mexiko einzugreifen! Die Geschichte hat ihre Analogien für die Mexikaner, wie für uns. An der Schwelle der zerrütteten Creolen-Jndianerrepublik stehen wir expanfionslustigen Menschen mit immerhin vorwiegend germanischem Blute in den Adern. Einst auch klopften germanische Krieger an die Pforten des römischen Kaiserreichs und verlangten Einlaß. Die Heerfürsten, Flibustier ihrer Zeit, kamen mit ihren Gefolgeschaften und eröffneten den Kampf gegen Rom in sehr mannigfaltiger Weise. Faßt man das Flibustierwesen geschicht¬ lich aus, so ist nicht zu verkennen, daß es seinen Anlaß in einem zutreffenden Instinkte von Abenteurern hat, die gleichsam als Schneeflocken einer welt¬ geschichtlichen Lavine voran fliegen. Mexiko bietet einige Aehnlichkeit mit den letzten Zeiten des römischen Kaiserreichs dar. Hier waren, in Folge der -Mischung von Morgenland und Abendland, die alten Volkstümlichkeiten, Sitten, Anschauungen und Glaubensmeinungen theils verloren oder abgeschwächt, das Ganze ein wüstes Durcheinander geworden und dem Menschen die indi¬ viduelle wie nationale Kraft abhanden gekommen. Aus der chaotischen Masse tauchten allerdings einige tüchtige Männer auf und arbeiteten gegen den Strom, aber ihr Abmühen erschien vergeblich. Es war im römischen Cäsaren- reich dahin gekommen, daß bald ein Räuberhauptmann aus Arabien, bald ein pannonischer Hirt sich den Kaisermantel um die Schultern warf und von den Legionen auf den Schild gehoben wurde. Aehnlich in Mexiko, wo oft genug Abenteurer regierten, wo zeitweilig ein halbes Dutzend Häuptlinge, Generäle und Jndianerchefs in den verschiedenen Provinzen Präsident spielte. Dieses ganze Wesen gemahnt uns an die Zeiten der triZmta t^raimi als Gallienus Imperator war. Damals schon war das römische Reich zur Ernte reif und bald nachher kamen germanische Leute um es abzumähen. Noch immer hat die Anarchie Staaten zu Grunde gerichtet. Das Kaiser¬ experiment in Mexiko wurde vereitelt, die Republik hat sich nicht geändert,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/463>, abgerufen am 03.07.2024.