Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

der Stadt regelmäßig'durchgeführt werden, nachdem die von vielen Regimen¬
tern ungestüm geforderte Zahlung des rückständigen Soldes durch einen Vor¬
schuß von 2 Millionen ermöglicht worden war, den der Bankier Lafitte der
Negierung leistete.

Die Stimmung der Truppen gegenüber den Bourbons zeigte sich übrigens
so unversöhnlich, daß der Kriegsminister Davoust sogar, der schon tagelang
eifrig mit den Agenten Louis' XVIII. verhandelte, es gerathen fand, sich einer
leidenschaftlichen Protestation anzuschließen, die im Namen des Heeres gegen
die Wiederherstellung der Bourbonen gerichtet ward. -- Am 8. Juli hielt
indessen der König seinen Wiedereinzug in Paris und ernannte sein Ministerium.
Gouvion Saint-Cyr übernahm das des Krieges. Die Armee behauptete
demgegenüber jenseits der Loire eine selbstständige Stellung. Davoust bot
ihre Unterwerfung endlich unter der Bedingung an, daß der König jeder
politischen Verfolgung entsage und das Heer bis zum Abmarsch der Fremden
beibehalte. Die Antwort war ein Haftbefehl gegen Ney, Labedoyere und
siebzehn weitere GeHülsen bei Napoleon's Zug nach Paris; achtunddreißig
andere wurden unter Polizeiaufsicht gestellt. Davoust zeigte sich empört
darüber, er erklärte: viele jener Männer hätten aus seinen Befehl gehandelt;
man solle seinen Namen statt ihrer auf die Liste setzen. Er wurde in Folge
dessen im Commando von Macdonald abgelöst. Als dieser mit der weißen
Cocarde erschien, wollten die Truppen freilich nichts von ihm wissen. Unauf¬
haltsam aber ging doch der Zersetzungsproceß in der Armee vor sich; man
mißtraute sich untereinander mehr als je, und in fortschreitender Zerrüttung
verloren die Regimenter jegliche Widerstandskraft. Die Auflösung des Loire¬
heeres war die erste Friedensbedingung der Alliirten; man konnte sie jetzt
wagen und sie erfolgte sogar durch einfache Vorzeigung jener Ordonnanz,
durch welche der König bereits im März, als er Frankreich verließ, die Armee
für aufgelöst erklärt hatte. -- An der Loire und an den meisten andern
Orten ging das Heer ruhig auseinander; nur in Straßburg kam es zu einem
bedeutenderen Soldatenaufstande, der jedoch keinen politischen Charakter hatte.
Als Rapp, der hier commandirte, Befehl erhielt, seine Truppen zu verab¬
schieden, weigerten sich diese nämlich, vor Empfang ihres rückständigen Soldes
auseinander zu gehn. Mit merkwürdiger Geschicklichkeit und Schnelligkeit
bemächtigte sich ihr Rädelsführer, der Sergeant-Major Dalhousie, der sich
"General Garnison" nannte, des Zeughauses, der Thore, des Telegraphen
und der Sturmglocken; er consignirte die Offiziere und schloß Rapp in seinem
Palaste ein, sorgte aber für gute Mannszucht. Darauf berief er den Municipal¬
rath und forderte, daß die Stadt die zu voller Befriedigung der Truppen
noch fehlenden 700,000 Francs vorstrecke. Als die Bürger diese Summe
durch freiwillige Anleihe zusammengebracht, war die Meuterei zu Ende und


der Stadt regelmäßig'durchgeführt werden, nachdem die von vielen Regimen¬
tern ungestüm geforderte Zahlung des rückständigen Soldes durch einen Vor¬
schuß von 2 Millionen ermöglicht worden war, den der Bankier Lafitte der
Negierung leistete.

Die Stimmung der Truppen gegenüber den Bourbons zeigte sich übrigens
so unversöhnlich, daß der Kriegsminister Davoust sogar, der schon tagelang
eifrig mit den Agenten Louis' XVIII. verhandelte, es gerathen fand, sich einer
leidenschaftlichen Protestation anzuschließen, die im Namen des Heeres gegen
die Wiederherstellung der Bourbonen gerichtet ward. — Am 8. Juli hielt
indessen der König seinen Wiedereinzug in Paris und ernannte sein Ministerium.
Gouvion Saint-Cyr übernahm das des Krieges. Die Armee behauptete
demgegenüber jenseits der Loire eine selbstständige Stellung. Davoust bot
ihre Unterwerfung endlich unter der Bedingung an, daß der König jeder
politischen Verfolgung entsage und das Heer bis zum Abmarsch der Fremden
beibehalte. Die Antwort war ein Haftbefehl gegen Ney, Labedoyere und
siebzehn weitere GeHülsen bei Napoleon's Zug nach Paris; achtunddreißig
andere wurden unter Polizeiaufsicht gestellt. Davoust zeigte sich empört
darüber, er erklärte: viele jener Männer hätten aus seinen Befehl gehandelt;
man solle seinen Namen statt ihrer auf die Liste setzen. Er wurde in Folge
dessen im Commando von Macdonald abgelöst. Als dieser mit der weißen
Cocarde erschien, wollten die Truppen freilich nichts von ihm wissen. Unauf¬
haltsam aber ging doch der Zersetzungsproceß in der Armee vor sich; man
mißtraute sich untereinander mehr als je, und in fortschreitender Zerrüttung
verloren die Regimenter jegliche Widerstandskraft. Die Auflösung des Loire¬
heeres war die erste Friedensbedingung der Alliirten; man konnte sie jetzt
wagen und sie erfolgte sogar durch einfache Vorzeigung jener Ordonnanz,
durch welche der König bereits im März, als er Frankreich verließ, die Armee
für aufgelöst erklärt hatte. — An der Loire und an den meisten andern
Orten ging das Heer ruhig auseinander; nur in Straßburg kam es zu einem
bedeutenderen Soldatenaufstande, der jedoch keinen politischen Charakter hatte.
Als Rapp, der hier commandirte, Befehl erhielt, seine Truppen zu verab¬
schieden, weigerten sich diese nämlich, vor Empfang ihres rückständigen Soldes
auseinander zu gehn. Mit merkwürdiger Geschicklichkeit und Schnelligkeit
bemächtigte sich ihr Rädelsführer, der Sergeant-Major Dalhousie, der sich
„General Garnison" nannte, des Zeughauses, der Thore, des Telegraphen
und der Sturmglocken; er consignirte die Offiziere und schloß Rapp in seinem
Palaste ein, sorgte aber für gute Mannszucht. Darauf berief er den Municipal¬
rath und forderte, daß die Stadt die zu voller Befriedigung der Truppen
noch fehlenden 700,000 Francs vorstrecke. Als die Bürger diese Summe
durch freiwillige Anleihe zusammengebracht, war die Meuterei zu Ende und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0416" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128344"/>
          <p xml:id="ID_1411" prev="#ID_1410"> der Stadt regelmäßig'durchgeführt werden, nachdem die von vielen Regimen¬<lb/>
tern ungestüm geforderte Zahlung des rückständigen Soldes durch einen Vor¬<lb/>
schuß von 2 Millionen ermöglicht worden war, den der Bankier Lafitte der<lb/>
Negierung leistete.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1412" next="#ID_1413"> Die Stimmung der Truppen gegenüber den Bourbons zeigte sich übrigens<lb/>
so unversöhnlich, daß der Kriegsminister Davoust sogar, der schon tagelang<lb/>
eifrig mit den Agenten Louis' XVIII. verhandelte, es gerathen fand, sich einer<lb/>
leidenschaftlichen Protestation anzuschließen, die im Namen des Heeres gegen<lb/>
die Wiederherstellung der Bourbonen gerichtet ward. &#x2014; Am 8. Juli hielt<lb/>
indessen der König seinen Wiedereinzug in Paris und ernannte sein Ministerium.<lb/>
Gouvion Saint-Cyr übernahm das des Krieges. Die Armee behauptete<lb/>
demgegenüber jenseits der Loire eine selbstständige Stellung. Davoust bot<lb/>
ihre Unterwerfung endlich unter der Bedingung an, daß der König jeder<lb/>
politischen Verfolgung entsage und das Heer bis zum Abmarsch der Fremden<lb/>
beibehalte. Die Antwort war ein Haftbefehl gegen Ney, Labedoyere und<lb/>
siebzehn weitere GeHülsen bei Napoleon's Zug nach Paris; achtunddreißig<lb/>
andere wurden unter Polizeiaufsicht gestellt. Davoust zeigte sich empört<lb/>
darüber, er erklärte: viele jener Männer hätten aus seinen Befehl gehandelt;<lb/>
man solle seinen Namen statt ihrer auf die Liste setzen. Er wurde in Folge<lb/>
dessen im Commando von Macdonald abgelöst. Als dieser mit der weißen<lb/>
Cocarde erschien, wollten die Truppen freilich nichts von ihm wissen. Unauf¬<lb/>
haltsam aber ging doch der Zersetzungsproceß in der Armee vor sich; man<lb/>
mißtraute sich untereinander mehr als je, und in fortschreitender Zerrüttung<lb/>
verloren die Regimenter jegliche Widerstandskraft. Die Auflösung des Loire¬<lb/>
heeres war die erste Friedensbedingung der Alliirten; man konnte sie jetzt<lb/>
wagen und sie erfolgte sogar durch einfache Vorzeigung jener Ordonnanz,<lb/>
durch welche der König bereits im März, als er Frankreich verließ, die Armee<lb/>
für aufgelöst erklärt hatte. &#x2014; An der Loire und an den meisten andern<lb/>
Orten ging das Heer ruhig auseinander; nur in Straßburg kam es zu einem<lb/>
bedeutenderen Soldatenaufstande, der jedoch keinen politischen Charakter hatte.<lb/>
Als Rapp, der hier commandirte, Befehl erhielt, seine Truppen zu verab¬<lb/>
schieden, weigerten sich diese nämlich, vor Empfang ihres rückständigen Soldes<lb/>
auseinander zu gehn. Mit merkwürdiger Geschicklichkeit und Schnelligkeit<lb/>
bemächtigte sich ihr Rädelsführer, der Sergeant-Major Dalhousie, der sich<lb/>
&#x201E;General Garnison" nannte, des Zeughauses, der Thore, des Telegraphen<lb/>
und der Sturmglocken; er consignirte die Offiziere und schloß Rapp in seinem<lb/>
Palaste ein, sorgte aber für gute Mannszucht. Darauf berief er den Municipal¬<lb/>
rath und forderte, daß die Stadt die zu voller Befriedigung der Truppen<lb/>
noch fehlenden 700,000 Francs vorstrecke. Als die Bürger diese Summe<lb/>
durch freiwillige Anleihe zusammengebracht, war die Meuterei zu Ende und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0416] der Stadt regelmäßig'durchgeführt werden, nachdem die von vielen Regimen¬ tern ungestüm geforderte Zahlung des rückständigen Soldes durch einen Vor¬ schuß von 2 Millionen ermöglicht worden war, den der Bankier Lafitte der Negierung leistete. Die Stimmung der Truppen gegenüber den Bourbons zeigte sich übrigens so unversöhnlich, daß der Kriegsminister Davoust sogar, der schon tagelang eifrig mit den Agenten Louis' XVIII. verhandelte, es gerathen fand, sich einer leidenschaftlichen Protestation anzuschließen, die im Namen des Heeres gegen die Wiederherstellung der Bourbonen gerichtet ward. — Am 8. Juli hielt indessen der König seinen Wiedereinzug in Paris und ernannte sein Ministerium. Gouvion Saint-Cyr übernahm das des Krieges. Die Armee behauptete demgegenüber jenseits der Loire eine selbstständige Stellung. Davoust bot ihre Unterwerfung endlich unter der Bedingung an, daß der König jeder politischen Verfolgung entsage und das Heer bis zum Abmarsch der Fremden beibehalte. Die Antwort war ein Haftbefehl gegen Ney, Labedoyere und siebzehn weitere GeHülsen bei Napoleon's Zug nach Paris; achtunddreißig andere wurden unter Polizeiaufsicht gestellt. Davoust zeigte sich empört darüber, er erklärte: viele jener Männer hätten aus seinen Befehl gehandelt; man solle seinen Namen statt ihrer auf die Liste setzen. Er wurde in Folge dessen im Commando von Macdonald abgelöst. Als dieser mit der weißen Cocarde erschien, wollten die Truppen freilich nichts von ihm wissen. Unauf¬ haltsam aber ging doch der Zersetzungsproceß in der Armee vor sich; man mißtraute sich untereinander mehr als je, und in fortschreitender Zerrüttung verloren die Regimenter jegliche Widerstandskraft. Die Auflösung des Loire¬ heeres war die erste Friedensbedingung der Alliirten; man konnte sie jetzt wagen und sie erfolgte sogar durch einfache Vorzeigung jener Ordonnanz, durch welche der König bereits im März, als er Frankreich verließ, die Armee für aufgelöst erklärt hatte. — An der Loire und an den meisten andern Orten ging das Heer ruhig auseinander; nur in Straßburg kam es zu einem bedeutenderen Soldatenaufstande, der jedoch keinen politischen Charakter hatte. Als Rapp, der hier commandirte, Befehl erhielt, seine Truppen zu verab¬ schieden, weigerten sich diese nämlich, vor Empfang ihres rückständigen Soldes auseinander zu gehn. Mit merkwürdiger Geschicklichkeit und Schnelligkeit bemächtigte sich ihr Rädelsführer, der Sergeant-Major Dalhousie, der sich „General Garnison" nannte, des Zeughauses, der Thore, des Telegraphen und der Sturmglocken; er consignirte die Offiziere und schloß Rapp in seinem Palaste ein, sorgte aber für gute Mannszucht. Darauf berief er den Municipal¬ rath und forderte, daß die Stadt die zu voller Befriedigung der Truppen noch fehlenden 700,000 Francs vorstrecke. Als die Bürger diese Summe durch freiwillige Anleihe zusammengebracht, war die Meuterei zu Ende und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/416
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/416>, abgerufen am 04.07.2024.