Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.opfere mich dem Hasse der Feinde Frankreichs. Möge ihre Erklärung, daß Seiner Gewohnheit nach suchte der Imperator die Schuld an dem Un¬ opfere mich dem Hasse der Feinde Frankreichs. Möge ihre Erklärung, daß Seiner Gewohnheit nach suchte der Imperator die Schuld an dem Un¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0415" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128343"/> <p xml:id="ID_1409" prev="#ID_1408"> opfere mich dem Hasse der Feinde Frankreichs. Möge ihre Erklärung, daß<lb/> sie es nur auf meine Person abgesehen haben, aufrichtig gemeint gewesen<lb/> sein." Vergaß Napoleon selbst, daß er ein Princip vertrat?</p><lb/> <p xml:id="ID_1410" next="#ID_1411"> Seiner Gewohnheit nach suchte der Imperator die Schuld an dem Un¬<lb/> glück von Waterloo wieder auf fremde Schultern zu wälzen; diesmal war es<lb/> der Marschall Grouchy, welcher zum „Verräther" gestempelt wurde. Längst<lb/> ist nachgewiesen, daß der Marquis diesen Namen in keiner Weise verdient.<lb/> Im Gegentheil: durch sein kräftiges Eingreifen nach der Niederlage brachte<lb/> er die Heerestrümmer zum Stehen, wurde deßhalb von der provisorischen Regie¬<lb/> rung zum Oberbefehlshaber ernannt und führte auf des Kriegsministers Davoust<lb/> Befehl das Heer in Stärke von 50,000 Mann unter die Mauern von Paris.<lb/> Er that das, was Napoleon hätte thun sollen. Ein Zuzug von der Loire<lb/> verstärkte das Heer bei Paris auf 60 bis 80,000 Mann. Davoust übernahm<lb/> den Oberbefehl. Beim Durchzuge durch die Stadt riefen aber die Truppen<lb/> zum Schreck der provisorischen Regierung beständig ihr Vive 1'Lmxereur!<lb/> Man rieth der Kammer, Repräsentanten bei der Armee zu wählen, und eifrig<lb/> folgte sie diesem Beispiele des alten Convents. Ihre Abgesandten fanden bei<lb/> allen Corps Feuer und Ungeduld, sahen sich selbst jedoch mit tiefem Mißtrauen<lb/> empfangen; sie erkannten, daß die Armee noch durchaus buonapartistisch sei.<lb/> — Blücher, welcher dem englischen Heere um zwei Tagemarsche voraus war,<lb/> hatte kaum 60,000 Mann zur Stelle; aber er war entschlossen, Paris zu<lb/> nehmen. Als er den kühnen Zug um die Stadt machte, um diese von der<lb/> schwächeren Südseite angreifen zu können, bot Napoleon, begierig, diese Ver¬<lb/> wegenheit zu strafen, noch einmal seine Dienste an; er wurde abgewiesen. Ein<lb/> Kriegsrath in Paris erwog die Chancen des Widerstandes. Soult und Mas¬<lb/> sen« erklärten, daß sie es nicht übernehmen würden, die Stadt zu halten,<lb/> worüber der alte Kellermann tiefes Befremden aussprach; Carnot schlug der<lb/> Regierung einen Volksaufstand der nächsten Departements zur Unterstützung<lb/> der Armee vor; Ney und Oudinot jedoch schlössen sich dem Urtheile Soult's<lb/> an. Am 3. Juli wurde zu Se. Cloud die Capitulation abgeschlossen, welche<lb/> Paris in die Gewalt der Verbündeten gab, indem sie die französischen Trup¬<lb/> pen verpflichtete, die Hauptstadt zu räumen und sich hinter die Loire zurück¬<lb/> zuziehen. Von den Kammern und der besitzenden Bevölkerung wurde dies<lb/> Abkommen freudig begrüßt, unter den Truppen und dem Proletariat erregte<lb/> es den heftigsten Unwillen. Wüthende Anklagen auf „Verrath" wurden ge¬<lb/> gen Davoust geschleudert; die Truppen drohten die Stadt zu plündern, und<lb/> die Föderirten der Vorstädte bemächtigten sich der Höhen und begannen aus<lb/> den Batterien zu feuern. Indeß blieb es bei einzelnen Schüssen; die Natio¬<lb/> nalgarde schritt mit ungewöhnlicher Energie ein; einflußreiche Generale, na¬<lb/> mentlich Drouot, beschwichtigten die Truppen, und so konnte die Uebergabe</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0415]
opfere mich dem Hasse der Feinde Frankreichs. Möge ihre Erklärung, daß
sie es nur auf meine Person abgesehen haben, aufrichtig gemeint gewesen
sein." Vergaß Napoleon selbst, daß er ein Princip vertrat?
Seiner Gewohnheit nach suchte der Imperator die Schuld an dem Un¬
glück von Waterloo wieder auf fremde Schultern zu wälzen; diesmal war es
der Marschall Grouchy, welcher zum „Verräther" gestempelt wurde. Längst
ist nachgewiesen, daß der Marquis diesen Namen in keiner Weise verdient.
Im Gegentheil: durch sein kräftiges Eingreifen nach der Niederlage brachte
er die Heerestrümmer zum Stehen, wurde deßhalb von der provisorischen Regie¬
rung zum Oberbefehlshaber ernannt und führte auf des Kriegsministers Davoust
Befehl das Heer in Stärke von 50,000 Mann unter die Mauern von Paris.
Er that das, was Napoleon hätte thun sollen. Ein Zuzug von der Loire
verstärkte das Heer bei Paris auf 60 bis 80,000 Mann. Davoust übernahm
den Oberbefehl. Beim Durchzuge durch die Stadt riefen aber die Truppen
zum Schreck der provisorischen Regierung beständig ihr Vive 1'Lmxereur!
Man rieth der Kammer, Repräsentanten bei der Armee zu wählen, und eifrig
folgte sie diesem Beispiele des alten Convents. Ihre Abgesandten fanden bei
allen Corps Feuer und Ungeduld, sahen sich selbst jedoch mit tiefem Mißtrauen
empfangen; sie erkannten, daß die Armee noch durchaus buonapartistisch sei.
— Blücher, welcher dem englischen Heere um zwei Tagemarsche voraus war,
hatte kaum 60,000 Mann zur Stelle; aber er war entschlossen, Paris zu
nehmen. Als er den kühnen Zug um die Stadt machte, um diese von der
schwächeren Südseite angreifen zu können, bot Napoleon, begierig, diese Ver¬
wegenheit zu strafen, noch einmal seine Dienste an; er wurde abgewiesen. Ein
Kriegsrath in Paris erwog die Chancen des Widerstandes. Soult und Mas¬
sen« erklärten, daß sie es nicht übernehmen würden, die Stadt zu halten,
worüber der alte Kellermann tiefes Befremden aussprach; Carnot schlug der
Regierung einen Volksaufstand der nächsten Departements zur Unterstützung
der Armee vor; Ney und Oudinot jedoch schlössen sich dem Urtheile Soult's
an. Am 3. Juli wurde zu Se. Cloud die Capitulation abgeschlossen, welche
Paris in die Gewalt der Verbündeten gab, indem sie die französischen Trup¬
pen verpflichtete, die Hauptstadt zu räumen und sich hinter die Loire zurück¬
zuziehen. Von den Kammern und der besitzenden Bevölkerung wurde dies
Abkommen freudig begrüßt, unter den Truppen und dem Proletariat erregte
es den heftigsten Unwillen. Wüthende Anklagen auf „Verrath" wurden ge¬
gen Davoust geschleudert; die Truppen drohten die Stadt zu plündern, und
die Föderirten der Vorstädte bemächtigten sich der Höhen und begannen aus
den Batterien zu feuern. Indeß blieb es bei einzelnen Schüssen; die Natio¬
nalgarde schritt mit ungewöhnlicher Energie ein; einflußreiche Generale, na¬
mentlich Drouot, beschwichtigten die Truppen, und so konnte die Uebergabe
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