Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.wieder, während welcher sie weniger noch durch die Entfernung, als durch die Britische und deutsche Tapferkeit und Ausdauer gewannen die Schlacht wieder, während welcher sie weniger noch durch die Entfernung, als durch die Britische und deutsche Tapferkeit und Ausdauer gewannen die Schlacht <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0414" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128342"/> <p xml:id="ID_1407" prev="#ID_1406"> wieder, während welcher sie weniger noch durch die Entfernung, als durch die<lb/> Gefühle, die Lebensgewohnheiten geschieden waren, denen sich ein Jeder unter<lb/> dem Einfluß des wechselnden Kriegslebens in oft so verschiedenen Ländern<lb/> hingegeben hatte. Mit unbegrenztem Zutrauen kam der Soldat Napoleon<lb/> entgegen, keineswegs aber seinen andern Führern. Nicht umsonst hatte ihnen<lb/> der Kaiser in seinen Proklamationen gesagt, daß sie 1814 von ihren Mar-<lb/> schällen verrathen worden seien. Konnte das nicht wieder geschehen? Wußte<lb/> man nicht, wie ungern viele dieser Generale von ihren behaglichen Schlössern<lb/> zu neuen Kämpfen aufgebrochen waren? Hatte man nicht diese Glücksritter<lb/> in einem Zeitraume von kaum einem Jahre mit gleichem Enthusiasmus vom<lb/> Kaiser zu den Bourbonen, von den Bourbonen zum Kaiser übergehn sehn?<lb/> Hatte man sie nicht in unzähligen Tagesbefehlen den Herrn von gestern be¬<lb/> schimpfen, den Herrn von heut vergöttern hören? Große Verräthereien schie¬<lb/> nen in der Lust zu liegen und tiefes Mißtrauen erfüllte jedes Soldatenherz.<lb/> Man beobachtete, man verdächtigte sich. — Dieser Mangel an Harmonie, an<lb/> innerem Zusammenhang läßt sich in allen Momenten der so kurzen Opera¬<lb/> tionen in Belgien erkennen und prägt dem Feldzuge von 1813 einen beson¬<lb/> deren Stempel auf.</p><lb/> <p xml:id="ID_1408" next="#ID_1409"> Britische und deutsche Tapferkeit und Ausdauer gewannen die Schlacht<lb/> von Belle-Alliance. .Wie einst nach dem Fehlschlagen des Kriegszugs im<lb/> Orient und wie auf dem Rückzüge aus Rußland, so ließ Napoleon auch jetzt<lb/> sein zu Grunde gerichtetes Heer im Stich. Mochte es doch verbluten; wenn<lb/> er nur sich, wenn er seinen Thron nur retten konnte. Er kam nach Paris<lb/> mit der Absicht, sich die Diktatur übertragen zu lassen und jede kriegerische<lb/> Faser des französischen Volks zur Vertheidigung des Vaterlandes anzuspannen.<lb/> Aber wie er sein Heer verlassen, so verließ ihn die Nation. Ein Wort La-<lb/> fahette's wurde die Losung. „Seit mehr als zehn Jahren." so rief er, „sind<lb/> drei Millionen Franzosen für einen Mann gestorben, der heute noch den<lb/> Kampf mit ganz Europa bestehen will! Wir haben genug für ihn gethan;<lb/> es ist jetzt unsere Pflicht, das Vaterland zu retten." So richtete sich denn<lb/> zu Paris eine provisorische Regierung ein, welche die Abdankung<lb/> des Kaisers erzwang. — Ohne Napoleon war eine Fortsetzung des Krieges<lb/> allerdings undenkbar und Frankreich den Verbündeten auf Gnade und<lb/> Ungnade Preis gegeben Aber in unglaublicher und feiger Selbstver¬<lb/> blendung trösteten sich die Wortführer der Kammern mit der früheren<lb/> Erklärung der Alliirten, daß diese Napoleon als ihren einzigen Feind be¬<lb/> trachteten. Vollständig vergaßen sie, daß sie sich durch ihre unbedingte Hin¬<lb/> gabe an ihn, durch den Kriegszug mit ihm zu seinen Mitschuldigen ge¬<lb/> macht, daß seine Schuld nun ihre Schuld sei — sie traten damals genau so<lb/> auf wie 1870 nach Sedan. Auch in Napoleon's Abdankung hieß es: „Ich</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0414]
wieder, während welcher sie weniger noch durch die Entfernung, als durch die
Gefühle, die Lebensgewohnheiten geschieden waren, denen sich ein Jeder unter
dem Einfluß des wechselnden Kriegslebens in oft so verschiedenen Ländern
hingegeben hatte. Mit unbegrenztem Zutrauen kam der Soldat Napoleon
entgegen, keineswegs aber seinen andern Führern. Nicht umsonst hatte ihnen
der Kaiser in seinen Proklamationen gesagt, daß sie 1814 von ihren Mar-
schällen verrathen worden seien. Konnte das nicht wieder geschehen? Wußte
man nicht, wie ungern viele dieser Generale von ihren behaglichen Schlössern
zu neuen Kämpfen aufgebrochen waren? Hatte man nicht diese Glücksritter
in einem Zeitraume von kaum einem Jahre mit gleichem Enthusiasmus vom
Kaiser zu den Bourbonen, von den Bourbonen zum Kaiser übergehn sehn?
Hatte man sie nicht in unzähligen Tagesbefehlen den Herrn von gestern be¬
schimpfen, den Herrn von heut vergöttern hören? Große Verräthereien schie¬
nen in der Lust zu liegen und tiefes Mißtrauen erfüllte jedes Soldatenherz.
Man beobachtete, man verdächtigte sich. — Dieser Mangel an Harmonie, an
innerem Zusammenhang läßt sich in allen Momenten der so kurzen Opera¬
tionen in Belgien erkennen und prägt dem Feldzuge von 1813 einen beson¬
deren Stempel auf.
Britische und deutsche Tapferkeit und Ausdauer gewannen die Schlacht
von Belle-Alliance. .Wie einst nach dem Fehlschlagen des Kriegszugs im
Orient und wie auf dem Rückzüge aus Rußland, so ließ Napoleon auch jetzt
sein zu Grunde gerichtetes Heer im Stich. Mochte es doch verbluten; wenn
er nur sich, wenn er seinen Thron nur retten konnte. Er kam nach Paris
mit der Absicht, sich die Diktatur übertragen zu lassen und jede kriegerische
Faser des französischen Volks zur Vertheidigung des Vaterlandes anzuspannen.
Aber wie er sein Heer verlassen, so verließ ihn die Nation. Ein Wort La-
fahette's wurde die Losung. „Seit mehr als zehn Jahren." so rief er, „sind
drei Millionen Franzosen für einen Mann gestorben, der heute noch den
Kampf mit ganz Europa bestehen will! Wir haben genug für ihn gethan;
es ist jetzt unsere Pflicht, das Vaterland zu retten." So richtete sich denn
zu Paris eine provisorische Regierung ein, welche die Abdankung
des Kaisers erzwang. — Ohne Napoleon war eine Fortsetzung des Krieges
allerdings undenkbar und Frankreich den Verbündeten auf Gnade und
Ungnade Preis gegeben Aber in unglaublicher und feiger Selbstver¬
blendung trösteten sich die Wortführer der Kammern mit der früheren
Erklärung der Alliirten, daß diese Napoleon als ihren einzigen Feind be¬
trachteten. Vollständig vergaßen sie, daß sie sich durch ihre unbedingte Hin¬
gabe an ihn, durch den Kriegszug mit ihm zu seinen Mitschuldigen ge¬
macht, daß seine Schuld nun ihre Schuld sei — sie traten damals genau so
auf wie 1870 nach Sedan. Auch in Napoleon's Abdankung hieß es: „Ich
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