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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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richtungen des Kaiserthums doch auch ihr Gutes gehabt: dem Taglöhner und
Handwerker hatte die Conscription, dem Fabrikanten das Continentalsystem
den Vortheil geringer Concurrenz verschafft.

Wol bemerkte der Hof die wachsende Unzufriedenheit. Es galt Vorsorge
zu treffen gegen das Uebelwollen der Armee. Weder neue Auszeichnungen der
Marschälle, noch die 10,000 Mann starke Hausgarde gaben ausreichende Ga¬
rantien. Da aber die Nationalgarde bei Ankunft der Bourbonen willige
Dienste geleistet, so beschäftigte man sich mit ihrer Reorganisation: man setzte
sie möglichst aus den Mittelklassen zusammen und entzog sie dem Zusammen¬
hange mit der Armee, indem man sie den Civilbehörden unterstellte. Das
Wichtigste aber war eine kräftigere Besetzung des Kriegsministeriums. Du-
pont's Unfähigkeit lag am Tage, er hatte nicht einmal die Hauptstadt von
den vielen trotzigen Officieren, die zu ihren Corps gehörten, befreien können.
So ernannte man denn Soult zum Kriegminister, der in der Bretagne als
ein Royalist reinsten Wassers aufgetreten war und der in der That mit gro¬
ßer Energie an seine Aufgabe ging*). Aber bei seinem scharfen Vorgehen
erlitt er bald eine empfindliche Niederlage. Er hatte den tapferen General
Excelmans wegen einer Correspondenz mit Murat auf Halbsold gesetzt und
aus Paris verwiesen. Excelmans und mit ihm Hunderte von Officieren, die in
gleicher Lage waren, behauptete, einem auf Halbsold gesetzten Officier könne
kein bestimmter Aufenthaltsort angewiesen werden. Es entstand ein großer
Lärm; die Sache wurde einem Kriegsgerichte überwiesen und dies entschied zu
Gunsten Excelmans'.

Ein so empfindlicher Schlag gegen die Regierung fachte die Gluth der bo¬
napartistischen Verschwörung mächtig an. Die Generale Lefebvre. Dernouettes,
die beiden Lallement und namentlich der feurige junge Oberst Labedoyere wa¬
ren zu jedem Wagniß für den Kaiser bereit; sie eröffneten sich dem Herzoge
von Bassano und überlegten, wie sie Napoleon den Weg bereiten könnten.
In mancher Garnison redeten die Soldaten den ganzen Winter vom kleinen
Corporal und behaupteten gut gelaunt, er werde mit den Veilchen kommen.
Ohne daß sie um irgend ein Vorhaben gewußt hätten, thaten sie, als ob sie
wieder dem Kaiser angehörten.

Indessen wurde angesichts der Unruhen in Italien ein Beobachtungscorps
von 30,000 Mann zwischen Lyon und Grenoble zusammengezogen. "Wie ge¬
mahnte die Truppen ihr Auszug an den Kaiser! Auf dieselbe Weise traten
sie den Marsch an, wie in alle seine großen Kriege. Auch in diese waren
sie erst allein ausgerückt, ohne das Ziel zu kennen. Wenn sie dann im Felde
standen, kam der Kaiser nachgereist; sie erriethen allmählich etwas von seinen



") Ott, a. a. O.

richtungen des Kaiserthums doch auch ihr Gutes gehabt: dem Taglöhner und
Handwerker hatte die Conscription, dem Fabrikanten das Continentalsystem
den Vortheil geringer Concurrenz verschafft.

Wol bemerkte der Hof die wachsende Unzufriedenheit. Es galt Vorsorge
zu treffen gegen das Uebelwollen der Armee. Weder neue Auszeichnungen der
Marschälle, noch die 10,000 Mann starke Hausgarde gaben ausreichende Ga¬
rantien. Da aber die Nationalgarde bei Ankunft der Bourbonen willige
Dienste geleistet, so beschäftigte man sich mit ihrer Reorganisation: man setzte
sie möglichst aus den Mittelklassen zusammen und entzog sie dem Zusammen¬
hange mit der Armee, indem man sie den Civilbehörden unterstellte. Das
Wichtigste aber war eine kräftigere Besetzung des Kriegsministeriums. Du-
pont's Unfähigkeit lag am Tage, er hatte nicht einmal die Hauptstadt von
den vielen trotzigen Officieren, die zu ihren Corps gehörten, befreien können.
So ernannte man denn Soult zum Kriegminister, der in der Bretagne als
ein Royalist reinsten Wassers aufgetreten war und der in der That mit gro¬
ßer Energie an seine Aufgabe ging*). Aber bei seinem scharfen Vorgehen
erlitt er bald eine empfindliche Niederlage. Er hatte den tapferen General
Excelmans wegen einer Correspondenz mit Murat auf Halbsold gesetzt und
aus Paris verwiesen. Excelmans und mit ihm Hunderte von Officieren, die in
gleicher Lage waren, behauptete, einem auf Halbsold gesetzten Officier könne
kein bestimmter Aufenthaltsort angewiesen werden. Es entstand ein großer
Lärm; die Sache wurde einem Kriegsgerichte überwiesen und dies entschied zu
Gunsten Excelmans'.

Ein so empfindlicher Schlag gegen die Regierung fachte die Gluth der bo¬
napartistischen Verschwörung mächtig an. Die Generale Lefebvre. Dernouettes,
die beiden Lallement und namentlich der feurige junge Oberst Labedoyere wa¬
ren zu jedem Wagniß für den Kaiser bereit; sie eröffneten sich dem Herzoge
von Bassano und überlegten, wie sie Napoleon den Weg bereiten könnten.
In mancher Garnison redeten die Soldaten den ganzen Winter vom kleinen
Corporal und behaupteten gut gelaunt, er werde mit den Veilchen kommen.
Ohne daß sie um irgend ein Vorhaben gewußt hätten, thaten sie, als ob sie
wieder dem Kaiser angehörten.

Indessen wurde angesichts der Unruhen in Italien ein Beobachtungscorps
von 30,000 Mann zwischen Lyon und Grenoble zusammengezogen. „Wie ge¬
mahnte die Truppen ihr Auszug an den Kaiser! Auf dieselbe Weise traten
sie den Marsch an, wie in alle seine großen Kriege. Auch in diese waren
sie erst allein ausgerückt, ohne das Ziel zu kennen. Wenn sie dann im Felde
standen, kam der Kaiser nachgereist; sie erriethen allmählich etwas von seinen



") Ott, a. a. O.
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[0405] richtungen des Kaiserthums doch auch ihr Gutes gehabt: dem Taglöhner und Handwerker hatte die Conscription, dem Fabrikanten das Continentalsystem den Vortheil geringer Concurrenz verschafft. Wol bemerkte der Hof die wachsende Unzufriedenheit. Es galt Vorsorge zu treffen gegen das Uebelwollen der Armee. Weder neue Auszeichnungen der Marschälle, noch die 10,000 Mann starke Hausgarde gaben ausreichende Ga¬ rantien. Da aber die Nationalgarde bei Ankunft der Bourbonen willige Dienste geleistet, so beschäftigte man sich mit ihrer Reorganisation: man setzte sie möglichst aus den Mittelklassen zusammen und entzog sie dem Zusammen¬ hange mit der Armee, indem man sie den Civilbehörden unterstellte. Das Wichtigste aber war eine kräftigere Besetzung des Kriegsministeriums. Du- pont's Unfähigkeit lag am Tage, er hatte nicht einmal die Hauptstadt von den vielen trotzigen Officieren, die zu ihren Corps gehörten, befreien können. So ernannte man denn Soult zum Kriegminister, der in der Bretagne als ein Royalist reinsten Wassers aufgetreten war und der in der That mit gro¬ ßer Energie an seine Aufgabe ging*). Aber bei seinem scharfen Vorgehen erlitt er bald eine empfindliche Niederlage. Er hatte den tapferen General Excelmans wegen einer Correspondenz mit Murat auf Halbsold gesetzt und aus Paris verwiesen. Excelmans und mit ihm Hunderte von Officieren, die in gleicher Lage waren, behauptete, einem auf Halbsold gesetzten Officier könne kein bestimmter Aufenthaltsort angewiesen werden. Es entstand ein großer Lärm; die Sache wurde einem Kriegsgerichte überwiesen und dies entschied zu Gunsten Excelmans'. Ein so empfindlicher Schlag gegen die Regierung fachte die Gluth der bo¬ napartistischen Verschwörung mächtig an. Die Generale Lefebvre. Dernouettes, die beiden Lallement und namentlich der feurige junge Oberst Labedoyere wa¬ ren zu jedem Wagniß für den Kaiser bereit; sie eröffneten sich dem Herzoge von Bassano und überlegten, wie sie Napoleon den Weg bereiten könnten. In mancher Garnison redeten die Soldaten den ganzen Winter vom kleinen Corporal und behaupteten gut gelaunt, er werde mit den Veilchen kommen. Ohne daß sie um irgend ein Vorhaben gewußt hätten, thaten sie, als ob sie wieder dem Kaiser angehörten. Indessen wurde angesichts der Unruhen in Italien ein Beobachtungscorps von 30,000 Mann zwischen Lyon und Grenoble zusammengezogen. „Wie ge¬ mahnte die Truppen ihr Auszug an den Kaiser! Auf dieselbe Weise traten sie den Marsch an, wie in alle seine großen Kriege. Auch in diese waren sie erst allein ausgerückt, ohne das Ziel zu kennen. Wenn sie dann im Felde standen, kam der Kaiser nachgereist; sie erriethen allmählich etwas von seinen ") Ott, a. a. O.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/405>, abgerufen am 22.07.2024.