Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.der Franzosen in diesem Kriege beobachtete. Kamen wir in ein Dorf oder in eine der Franzosen in diesem Kriege beobachtete. Kamen wir in ein Dorf oder in eine <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0371" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128299"/> <p xml:id="ID_1254" prev="#ID_1253" next="#ID_1255"> der Franzosen in diesem Kriege beobachtete. Kamen wir in ein Dorf oder in eine<lb/> Stadt, so waren alle Thüren und Fensterladen dicht verschlossen, die Menschen von den<lb/> Straßen verschwunden, die Behörden versteckt; hatte man den Maire endlich aufge¬<lb/> funden, so hieß es jedesmal, es sei nicht das Geringste zur Verpflegung der Truppen<lb/> vorhanden, vielfache Plünderung habe alles erschöpft, man bitte um gehörige Zeit, um<lb/> zu versuchen, ob aus den umliegenden Gemeinden etwas herbeizuschaffen sei. So ver¬<lb/> ging gewöhnlich eine geraume Zeit, wahrend welcher nichts geschah, als Wortemachen,<lb/> und nach langem Warten erschienen noch immer weder Lebensmittel noch Futter. Der<lb/> Soldat, der selten eines Augenblicks versichert ist und Nuhe und Erholung kaum auf¬<lb/> schieben darf, oder Gefahr läuft sie ganz zu verlieren, wurde ungeduldig, suchte nach<lb/> und fand gewöhnlich alles im Ueberflusse, und erbittert zu persönlicher Rache und über¬<lb/> müthiger Schadloshaltung, nahm er aus Küche und Keller das Beste den Leuten weg,<lb/> die ihn durch einen Bissen Brod würden befriedigt haben. Nahm ein Kosak ein Bund<lb/> Stroh vom Hofe, so schrie alles über Plünderung ; forderte er einen Kessel ins Lager<lb/> so klagte man über Gewalt, bis dann endlich Plünderung und Gewaltthätigkeit durch<lb/> solches Betragen in reichlichem Maße entstand. Daß die Wegweiser an Stricken um<lb/> den Hals mitgeführt wurden, war eine Folge ihres häufigen Cntspringens, und diese<lb/> Maßregel, die man im Moniteur als unerhörte Menschenherabwürdiguug darstellte,<lb/> hatten die Kosaken in Nußland von den Franzosen abgesehen. Bisweilen war die Art,<lb/> wie sich die französischen Bauern anstellten, nur lächerlich; begegnete man z. B. unver¬<lb/> mutet auf der Landstraße einigen Bauern, so war in der ganzen Champagne keine<lb/> Gegend, wo nicht alle sogleich anfingen zu hinken, um nicht als Wegweiser mitgehen zu<lb/> müssen. An denjenigen Orten, wo einsichtsvolle Maires und kluge Bürger den Be¬<lb/> dürfnissen der Truppen bereitwillig entgegenkamen, ging alles in größter Ordnung und<lb/> bester Freundlichkeit ab, die Mehrzahl der Ortschaften jedoch blieb in jener verderblichen<lb/> Halsstarrigkeit. Die Einwohner flüchteten sich häufig in die Wälder, wo Weiber und<lb/> Kinder bei den besten Habseligkeiten im Busch versteckt lagen, die Männer aber, mit<lb/> Flinten und Büchsen bewaffnet, am Nande des Waldes den vorüberziehenden Parteien,<lb/> Zufuhren und Courieren auflauerten. Entsprungene Kriegsgefangene, ausgediente Sol¬<lb/> daten, Förster, Gendarmen, und selbst Officiere, gesellten sich nach und nach zu ihnen<lb/> und brachten sie in mehr militärische Ordnung, für die der Franzose bis zu einem ge¬<lb/> wissen Grad überhaupt so leicht empfänglich ist. Aus den Festungen, die größtentheils<lb/> nicht umstellt, ja sogar kaum beobachtet waren, erhielten diese Volksbewaffnungen immer<lb/> mehr und mehr Unterstützung, Antrieb und Zusammenhang. Wirkliche Parteigänger<lb/> mit alten Truppen streiften im Rücken unserer Heere, und waren an jedem Ort so¬<lb/> gleich durch die bewaffneten Bauern verstärkt. Da die französischen Bauern fast ohne<lb/> Ausnahme blaue Kittel tragen, so gaben sie oft den Anschein von wirklichen Truppen,<lb/> nach deren Art sie Posten auf den Höhen aufstellten, Patrouillen machten, und in<lb/> Masse ausrückten. Legten sie die Waffen bei Seit, so erschienen sie als ruhiges Land¬<lb/> volk, und Hunderte von französischen Soldaten konnten in voller Uniform unter dem</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0371]
der Franzosen in diesem Kriege beobachtete. Kamen wir in ein Dorf oder in eine
Stadt, so waren alle Thüren und Fensterladen dicht verschlossen, die Menschen von den
Straßen verschwunden, die Behörden versteckt; hatte man den Maire endlich aufge¬
funden, so hieß es jedesmal, es sei nicht das Geringste zur Verpflegung der Truppen
vorhanden, vielfache Plünderung habe alles erschöpft, man bitte um gehörige Zeit, um
zu versuchen, ob aus den umliegenden Gemeinden etwas herbeizuschaffen sei. So ver¬
ging gewöhnlich eine geraume Zeit, wahrend welcher nichts geschah, als Wortemachen,
und nach langem Warten erschienen noch immer weder Lebensmittel noch Futter. Der
Soldat, der selten eines Augenblicks versichert ist und Nuhe und Erholung kaum auf¬
schieben darf, oder Gefahr läuft sie ganz zu verlieren, wurde ungeduldig, suchte nach
und fand gewöhnlich alles im Ueberflusse, und erbittert zu persönlicher Rache und über¬
müthiger Schadloshaltung, nahm er aus Küche und Keller das Beste den Leuten weg,
die ihn durch einen Bissen Brod würden befriedigt haben. Nahm ein Kosak ein Bund
Stroh vom Hofe, so schrie alles über Plünderung ; forderte er einen Kessel ins Lager
so klagte man über Gewalt, bis dann endlich Plünderung und Gewaltthätigkeit durch
solches Betragen in reichlichem Maße entstand. Daß die Wegweiser an Stricken um
den Hals mitgeführt wurden, war eine Folge ihres häufigen Cntspringens, und diese
Maßregel, die man im Moniteur als unerhörte Menschenherabwürdiguug darstellte,
hatten die Kosaken in Nußland von den Franzosen abgesehen. Bisweilen war die Art,
wie sich die französischen Bauern anstellten, nur lächerlich; begegnete man z. B. unver¬
mutet auf der Landstraße einigen Bauern, so war in der ganzen Champagne keine
Gegend, wo nicht alle sogleich anfingen zu hinken, um nicht als Wegweiser mitgehen zu
müssen. An denjenigen Orten, wo einsichtsvolle Maires und kluge Bürger den Be¬
dürfnissen der Truppen bereitwillig entgegenkamen, ging alles in größter Ordnung und
bester Freundlichkeit ab, die Mehrzahl der Ortschaften jedoch blieb in jener verderblichen
Halsstarrigkeit. Die Einwohner flüchteten sich häufig in die Wälder, wo Weiber und
Kinder bei den besten Habseligkeiten im Busch versteckt lagen, die Männer aber, mit
Flinten und Büchsen bewaffnet, am Nande des Waldes den vorüberziehenden Parteien,
Zufuhren und Courieren auflauerten. Entsprungene Kriegsgefangene, ausgediente Sol¬
daten, Förster, Gendarmen, und selbst Officiere, gesellten sich nach und nach zu ihnen
und brachten sie in mehr militärische Ordnung, für die der Franzose bis zu einem ge¬
wissen Grad überhaupt so leicht empfänglich ist. Aus den Festungen, die größtentheils
nicht umstellt, ja sogar kaum beobachtet waren, erhielten diese Volksbewaffnungen immer
mehr und mehr Unterstützung, Antrieb und Zusammenhang. Wirkliche Parteigänger
mit alten Truppen streiften im Rücken unserer Heere, und waren an jedem Ort so¬
gleich durch die bewaffneten Bauern verstärkt. Da die französischen Bauern fast ohne
Ausnahme blaue Kittel tragen, so gaben sie oft den Anschein von wirklichen Truppen,
nach deren Art sie Posten auf den Höhen aufstellten, Patrouillen machten, und in
Masse ausrückten. Legten sie die Waffen bei Seit, so erschienen sie als ruhiges Land¬
volk, und Hunderte von französischen Soldaten konnten in voller Uniform unter dem
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