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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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-- nämlich eine 1so6ö <zu masse*). Erst um Mitte Februar zeigten sich
in der Gegend von Epernay Widersetzlichkeiten, deren unmittelbare Veranlas¬
sung ohne Zweifel der Druck des Requisitionssystems war, der einzigen Un¬
terhaltsquelle der schlesischen Armee. Napoleon's Siege sachter den glimmen¬
den Funken an**); zur Flamme aber ward er, als Napoleon, nach dem Ver¬
lust der Schlacht bei Bar sur Aube und der von Soissons, am 5. März von
Fismes aus den Befehl an alle französischen Bürger erließ, zu den Waffen
zu greifen, die Sturmglocken zu läuten, sobald das Geschütz die Nähe der Ar¬
mee verkünde, sich zusammen zu rotten, die Wälder zu durchsuchen, die Brücken
abzuwerfen, die Wege zu sperren und dem Feind in Flanken und Rücken zu
fallen. -- Das war nun wirklich ein Aufgebot der Massen. Wie weit
dasselbe wirksam ward, darüber lassen wir einen Augenzeugen sprechen, der
mit ruhigem Blick die Verhältnisse unbefangen betrachten konnte***). Er be¬
richtet:

"Das unverhinderte Hin- und Hermarschiren und beliebige Vorrücken Napoleon's
hatte, wenn auch keinen andern, doch den Erfolg, daß es seinen heftigen und unabläs¬
sigen Anregungen mehr und mehr gelang, das Landvolk gegen uns zu bewaffnen. An¬
fangs beschränkte sich dies allein auf die Ortschaften, wo er mit seinem Heere erschien
oder unmittelbar hinwirken konnte, in diesen waren die Einwohner gezwungen mit den
Soldaten gemeinschaftliche Sache zu machen; fast überall hätten sie lieber vermeiden
mögen, ihr Leben und ihre Habseligkeiten durch diese Theilnahme aufs Spiel zu setzen,
allein in Napoleon's Willen lag zwingende Gewalt, er mißhandelte die Maires, schmähte
und strafte die Gemeinden, welche seinen Aufforderungen nicht Folge geleistet hatten,
und brachte es am Ende dahin, daß die Leute den Schein und das Verdienst frei¬
willigen Aufstandes dem Zwange der Nothwendigkeit, dem sie doch nicht entgehen konnten,
vorzogen. Einmal bewaffnet und der Theilnahme am Streit schuldig geworden, sahen
sie selten einen Rückweg offen, und mußten nun für ihr eigenes Heil fortsetzen, was
sie ungern begonnen hatten. Die Ausschweifungen unserer Truppen, von welchen die
französischen Blätter schreckliche Beschreibungen machten und von denen Napoleon nicht
aufhörte dem. Volke vorzureden, waren weit geringer, nicht nur als jene Beschreibungen,
sondern sogar als diejenigen, welche sich die französischen Soldaten in ihrem eigenen
Lande erlaubten; allein der Eindruck des Schreckens, der durch diese wiederholten Vor¬
spiegelungen entstand, begann allmählich diejenigen Anordnungen und Gewaltsamkeiten
hervorzurufen, die früher blos erlogen waren. Niemals nämlich kann ein unklugeres
und blödsinnigeres Betragen gefunden werden, als das von dem nicht streitenden Theile





") Pertz: "Das Leben des Ministers Freiherrn vom Stein."
") Geschichte der Kriege in Europa seit 1792. Xll. 1.
Varnhagen von Ense: Denkwürdigkeiten des eigenen Lebens.

— nämlich eine 1so6ö <zu masse*). Erst um Mitte Februar zeigten sich
in der Gegend von Epernay Widersetzlichkeiten, deren unmittelbare Veranlas¬
sung ohne Zweifel der Druck des Requisitionssystems war, der einzigen Un¬
terhaltsquelle der schlesischen Armee. Napoleon's Siege sachter den glimmen¬
den Funken an**); zur Flamme aber ward er, als Napoleon, nach dem Ver¬
lust der Schlacht bei Bar sur Aube und der von Soissons, am 5. März von
Fismes aus den Befehl an alle französischen Bürger erließ, zu den Waffen
zu greifen, die Sturmglocken zu läuten, sobald das Geschütz die Nähe der Ar¬
mee verkünde, sich zusammen zu rotten, die Wälder zu durchsuchen, die Brücken
abzuwerfen, die Wege zu sperren und dem Feind in Flanken und Rücken zu
fallen. — Das war nun wirklich ein Aufgebot der Massen. Wie weit
dasselbe wirksam ward, darüber lassen wir einen Augenzeugen sprechen, der
mit ruhigem Blick die Verhältnisse unbefangen betrachten konnte***). Er be¬
richtet:

„Das unverhinderte Hin- und Hermarschiren und beliebige Vorrücken Napoleon's
hatte, wenn auch keinen andern, doch den Erfolg, daß es seinen heftigen und unabläs¬
sigen Anregungen mehr und mehr gelang, das Landvolk gegen uns zu bewaffnen. An¬
fangs beschränkte sich dies allein auf die Ortschaften, wo er mit seinem Heere erschien
oder unmittelbar hinwirken konnte, in diesen waren die Einwohner gezwungen mit den
Soldaten gemeinschaftliche Sache zu machen; fast überall hätten sie lieber vermeiden
mögen, ihr Leben und ihre Habseligkeiten durch diese Theilnahme aufs Spiel zu setzen,
allein in Napoleon's Willen lag zwingende Gewalt, er mißhandelte die Maires, schmähte
und strafte die Gemeinden, welche seinen Aufforderungen nicht Folge geleistet hatten,
und brachte es am Ende dahin, daß die Leute den Schein und das Verdienst frei¬
willigen Aufstandes dem Zwange der Nothwendigkeit, dem sie doch nicht entgehen konnten,
vorzogen. Einmal bewaffnet und der Theilnahme am Streit schuldig geworden, sahen
sie selten einen Rückweg offen, und mußten nun für ihr eigenes Heil fortsetzen, was
sie ungern begonnen hatten. Die Ausschweifungen unserer Truppen, von welchen die
französischen Blätter schreckliche Beschreibungen machten und von denen Napoleon nicht
aufhörte dem. Volke vorzureden, waren weit geringer, nicht nur als jene Beschreibungen,
sondern sogar als diejenigen, welche sich die französischen Soldaten in ihrem eigenen
Lande erlaubten; allein der Eindruck des Schreckens, der durch diese wiederholten Vor¬
spiegelungen entstand, begann allmählich diejenigen Anordnungen und Gewaltsamkeiten
hervorzurufen, die früher blos erlogen waren. Niemals nämlich kann ein unklugeres
und blödsinnigeres Betragen gefunden werden, als das von dem nicht streitenden Theile





") Pertz: „Das Leben des Ministers Freiherrn vom Stein."
") Geschichte der Kriege in Europa seit 1792. Xll. 1.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/370>, abgerufen am 22.07.2024.