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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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zwei Monate lang Widerstand zu leisten und seinen Kriegen einen Feldzug
hinzuzufügen, der allerdings etwas Friedericianisches hat, dessen "beispiel¬
lose Genialität" aber bis zur neuesten Zeit weit überschätzt worden ist. Das
Bleigewicht der Lauheit und Langsamkeit, welches das österreichische Haupt¬
quartier dem Adlerfluge der Blücher'schen Heeresleitung ansaugte, hat viel
kostbares Blut frevelhaft verschwendet.

Nach dem unentschiedenen Treffen von Brienne kündigte sich mit dem
Siege von la Rothiere eine neue Zeit an. "Es war zum erstenmal, daß
Buonaparte auf französischem Boden besiegt ward; es war überhaupt seit den
Tagen der sächsischen Kaiser, seit mehr als sieben Jahrhunderten, das erste
Mal, daß Frankreich auf altfranzösischen Boden eine offene Feldschlacht ver¬
lor!" Aber Kleinmuth und Befangenheit im österreichischen Hauptquartier
waren so groß, daß man nach diesem Siege und nach der Eroberung von
Holland auf dem Congreß von Chatillon dem französischen Kaiser die Gren¬
zen von 1792 bot. Die Verhandlungen gewährten Napoleon Zeit, und diese
benutzte er, die getrennt marschirenden Corps erst der schlesischen, dann der
böhmischen Armee in dem Winkel zwischen Marne und Seine zu schlagen.
Eine bedeutende Vermehrung durch Ersatzmannschaften und durch 18 Bataillone,
25 Schwadronen der Pyrenäen-Armee kam ihm dabei zu Statten. Die
Reiterei zählte seitdem 22,000 Mann und jene 18 Bataillone wurden mit
11 Bataillonen der jungen Garde zu einem VII. Armee-Corps unter dem
Marschall Oudinot formirt. Die Erfolge von Montmirail und Vaurchamp,
von Guignes, Mormant, Nangis und Donnemarie (11. bis 17. Februar) er¬
füllten die Seele Napoleon's mit dem alten Cäsarenhochmuth, und genährt
wurde dieser durch das Wachsthum seines Heeres, dessen Gros er in Troyes
auf 70,000 Mann brachte, und durch die ersten Anzeichen selbstthätigen Wi¬
derstandes in der Landbevölkerung. Anfangs, und zumal so lange die Heere
der Verbündeten Landschaften durchzogen, die der deutschen Zunge angehörten,
war von dergleichen keine Rede gewesen; schrieb doch Müffling aus Kreuznach
an Knesebeck: "Wir werden so aufgenommen, daß der General Sacken hat
befehlen müssen, die Unterthanen sollten seinen Leuten nur das Nöthige
an Wein und Branntwein reichen;" und aus Langres schrieb Stein, die Ein¬
wohner seien "still, niedergeschlagen und über Napoleon aufgebracht; das
Volk wünsche laut, daß die Verbündeten diesen Taugenichts vernichten möchten."
Er meldet, wie die Franzosen ihre eigenen Zustände durch Carrikaturen ver¬
spotteten und z. B. eine Partie Boston ersonnen hätten, bei welcher der Kaiser
Alexander sage: Ich spiele! -- der König von Preußen: Ich unterstütze! --
während Napoleon eine große Misere verlöre, weil er eine Levee gemacht habe


Grenzboten III. 1872. 47

zwei Monate lang Widerstand zu leisten und seinen Kriegen einen Feldzug
hinzuzufügen, der allerdings etwas Friedericianisches hat, dessen „beispiel¬
lose Genialität" aber bis zur neuesten Zeit weit überschätzt worden ist. Das
Bleigewicht der Lauheit und Langsamkeit, welches das österreichische Haupt¬
quartier dem Adlerfluge der Blücher'schen Heeresleitung ansaugte, hat viel
kostbares Blut frevelhaft verschwendet.

Nach dem unentschiedenen Treffen von Brienne kündigte sich mit dem
Siege von la Rothiere eine neue Zeit an. „Es war zum erstenmal, daß
Buonaparte auf französischem Boden besiegt ward; es war überhaupt seit den
Tagen der sächsischen Kaiser, seit mehr als sieben Jahrhunderten, das erste
Mal, daß Frankreich auf altfranzösischen Boden eine offene Feldschlacht ver¬
lor!" Aber Kleinmuth und Befangenheit im österreichischen Hauptquartier
waren so groß, daß man nach diesem Siege und nach der Eroberung von
Holland auf dem Congreß von Chatillon dem französischen Kaiser die Gren¬
zen von 1792 bot. Die Verhandlungen gewährten Napoleon Zeit, und diese
benutzte er, die getrennt marschirenden Corps erst der schlesischen, dann der
böhmischen Armee in dem Winkel zwischen Marne und Seine zu schlagen.
Eine bedeutende Vermehrung durch Ersatzmannschaften und durch 18 Bataillone,
25 Schwadronen der Pyrenäen-Armee kam ihm dabei zu Statten. Die
Reiterei zählte seitdem 22,000 Mann und jene 18 Bataillone wurden mit
11 Bataillonen der jungen Garde zu einem VII. Armee-Corps unter dem
Marschall Oudinot formirt. Die Erfolge von Montmirail und Vaurchamp,
von Guignes, Mormant, Nangis und Donnemarie (11. bis 17. Februar) er¬
füllten die Seele Napoleon's mit dem alten Cäsarenhochmuth, und genährt
wurde dieser durch das Wachsthum seines Heeres, dessen Gros er in Troyes
auf 70,000 Mann brachte, und durch die ersten Anzeichen selbstthätigen Wi¬
derstandes in der Landbevölkerung. Anfangs, und zumal so lange die Heere
der Verbündeten Landschaften durchzogen, die der deutschen Zunge angehörten,
war von dergleichen keine Rede gewesen; schrieb doch Müffling aus Kreuznach
an Knesebeck: „Wir werden so aufgenommen, daß der General Sacken hat
befehlen müssen, die Unterthanen sollten seinen Leuten nur das Nöthige
an Wein und Branntwein reichen;" und aus Langres schrieb Stein, die Ein¬
wohner seien „still, niedergeschlagen und über Napoleon aufgebracht; das
Volk wünsche laut, daß die Verbündeten diesen Taugenichts vernichten möchten."
Er meldet, wie die Franzosen ihre eigenen Zustände durch Carrikaturen ver¬
spotteten und z. B. eine Partie Boston ersonnen hätten, bei welcher der Kaiser
Alexander sage: Ich spiele! — der König von Preußen: Ich unterstütze! —
während Napoleon eine große Misere verlöre, weil er eine Levee gemacht habe


Grenzboten III. 1872. 47
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[0369] zwei Monate lang Widerstand zu leisten und seinen Kriegen einen Feldzug hinzuzufügen, der allerdings etwas Friedericianisches hat, dessen „beispiel¬ lose Genialität" aber bis zur neuesten Zeit weit überschätzt worden ist. Das Bleigewicht der Lauheit und Langsamkeit, welches das österreichische Haupt¬ quartier dem Adlerfluge der Blücher'schen Heeresleitung ansaugte, hat viel kostbares Blut frevelhaft verschwendet. Nach dem unentschiedenen Treffen von Brienne kündigte sich mit dem Siege von la Rothiere eine neue Zeit an. „Es war zum erstenmal, daß Buonaparte auf französischem Boden besiegt ward; es war überhaupt seit den Tagen der sächsischen Kaiser, seit mehr als sieben Jahrhunderten, das erste Mal, daß Frankreich auf altfranzösischen Boden eine offene Feldschlacht ver¬ lor!" Aber Kleinmuth und Befangenheit im österreichischen Hauptquartier waren so groß, daß man nach diesem Siege und nach der Eroberung von Holland auf dem Congreß von Chatillon dem französischen Kaiser die Gren¬ zen von 1792 bot. Die Verhandlungen gewährten Napoleon Zeit, und diese benutzte er, die getrennt marschirenden Corps erst der schlesischen, dann der böhmischen Armee in dem Winkel zwischen Marne und Seine zu schlagen. Eine bedeutende Vermehrung durch Ersatzmannschaften und durch 18 Bataillone, 25 Schwadronen der Pyrenäen-Armee kam ihm dabei zu Statten. Die Reiterei zählte seitdem 22,000 Mann und jene 18 Bataillone wurden mit 11 Bataillonen der jungen Garde zu einem VII. Armee-Corps unter dem Marschall Oudinot formirt. Die Erfolge von Montmirail und Vaurchamp, von Guignes, Mormant, Nangis und Donnemarie (11. bis 17. Februar) er¬ füllten die Seele Napoleon's mit dem alten Cäsarenhochmuth, und genährt wurde dieser durch das Wachsthum seines Heeres, dessen Gros er in Troyes auf 70,000 Mann brachte, und durch die ersten Anzeichen selbstthätigen Wi¬ derstandes in der Landbevölkerung. Anfangs, und zumal so lange die Heere der Verbündeten Landschaften durchzogen, die der deutschen Zunge angehörten, war von dergleichen keine Rede gewesen; schrieb doch Müffling aus Kreuznach an Knesebeck: „Wir werden so aufgenommen, daß der General Sacken hat befehlen müssen, die Unterthanen sollten seinen Leuten nur das Nöthige an Wein und Branntwein reichen;" und aus Langres schrieb Stein, die Ein¬ wohner seien „still, niedergeschlagen und über Napoleon aufgebracht; das Volk wünsche laut, daß die Verbündeten diesen Taugenichts vernichten möchten." Er meldet, wie die Franzosen ihre eigenen Zustände durch Carrikaturen ver¬ spotteten und z. B. eine Partie Boston ersonnen hätten, bei welcher der Kaiser Alexander sage: Ich spiele! — der König von Preußen: Ich unterstütze! — während Napoleon eine große Misere verlöre, weil er eine Levee gemacht habe Grenzboten III. 1872. 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/369>, abgerufen am 22.12.2024.