Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Meilen. Außerdem kommt die Überlegenheit der Schienenstraße in Bezug
auf die Schnelligkeit zur Geltung.

Von noch größeren Dimensionen und nicht geringer an Bedeutung ist
der neuerdings von Dr. Meissel näher beleuchtete russische Plan der Verbin¬
dung Europas und Chinas durch eine Weltbahn, welcher, ganz unabhängig
von den Fortschritten Rußlands auf dem Wege vom schwarzen und kaspischen
Meere durch Afghanistan nach Ostindien und Tübet, nur einen Theil der ge¬
waltigen Operationen bildet, mit welchen Nußland die Erlangung des Prin-
cipals in Ostasien betreibt. Nach Ostasten sind neuerdings alle Blicke gerichtet;
erst kürzlich wurde der Welt das Schauspiel bereitet, daß der japanische Herr¬
scher europäische Sitte und Cultur für sich und seine Staaten zum Gesetz er¬
hob; ungeheure Schätze sind noch in Ostasien verborgen und harren der Aus¬
beute. Längst hat der Scharfblick der Jankees dies erkannt und danach ge¬
handelt. Die amerikanischen Dampferlinien (San Francisco-Nokohama-Shang-
Hai-Hongkong) umfassen bereits alle Hauptemporien der ostasiatischen Küsten¬
länder und Inseln; die Pacificbahn verleiht diesem Verbindungsstreben einen
bedeutenden Nachdruck, und so gravitiren die Chancen gegenwärtig nach ame¬
rikanischer Seite hin. Japan wird von New-Uork aus der modernen Cultur
gewonnen; Amerikas Ueberlegenheit auf diesem Schauplatze ist eine natürliche
Folge des besseren Communicationssystemes. Noch aber ist China im Wesent¬
lichen unberührt von occidentalischen Einflüsse; sein weites Gebiet von etwa
74,000 Quadratmeilen mit gegen 460 Millionen Einwohnern (während das
gesammte übrige Asien nur wenig über 300 Millionen Einwohner zählt) bietet
mit seinem Productenreichthum, seinem großartigen Gewerbfleiße, seiner Jahr¬
tausende alten Staatsbildung dem andringenden Weltverkehr noch immer un-
übersteigliche Schranken. Allerdings ist der Gesammtwerth der Ausfuhr zur
See, welcher nach officiellen Berichten*) 1844 nur 34 Millionen Thaler be¬
trug, bis 1864 auf 189 Millionen, der Werth des Imports von 33 auf 197
Millionen Thaler gestiegen, das auswärtige Geschäft Chinas zur See hat also
in 20 Jahren sich um das 5Vsfache vermehrt. Allein der Waarenaustausch
zu Lande weist immer noch sehr niedrige Zahlen auf; derselbe hat mit Ru߬
land über Kicichta im Jahre 1864 nur 30 Millionen Thaler betragen und
ist seitdem nicht beträchtlich gestiegen. Die Ursachen dieser Erscheinung sind,
wenn man von der immer noch starken Neigung der Chinesen zur Abgeschlossen¬
heit absieht, ausschließlich in dem Mangel verbesserter Verkehrsmittel zu suchen.
Zwei Drittel der Bevölkerung unseres Erdballs, auf der einen Seite das hoch,
entwickelte West- und Mittel-Europa, auf der anderen das fleißige China, mit¬
hin etwa 780 Millionen Menschen, entbehren der völkereinenden Verbindungs-



') Ltatemsnt ot Alp torvign tira? ^viel" Oliwa ceo. Ilou^Koug, I^edi'u^r 1844.

Meilen. Außerdem kommt die Überlegenheit der Schienenstraße in Bezug
auf die Schnelligkeit zur Geltung.

Von noch größeren Dimensionen und nicht geringer an Bedeutung ist
der neuerdings von Dr. Meissel näher beleuchtete russische Plan der Verbin¬
dung Europas und Chinas durch eine Weltbahn, welcher, ganz unabhängig
von den Fortschritten Rußlands auf dem Wege vom schwarzen und kaspischen
Meere durch Afghanistan nach Ostindien und Tübet, nur einen Theil der ge¬
waltigen Operationen bildet, mit welchen Nußland die Erlangung des Prin-
cipals in Ostasien betreibt. Nach Ostasten sind neuerdings alle Blicke gerichtet;
erst kürzlich wurde der Welt das Schauspiel bereitet, daß der japanische Herr¬
scher europäische Sitte und Cultur für sich und seine Staaten zum Gesetz er¬
hob; ungeheure Schätze sind noch in Ostasien verborgen und harren der Aus¬
beute. Längst hat der Scharfblick der Jankees dies erkannt und danach ge¬
handelt. Die amerikanischen Dampferlinien (San Francisco-Nokohama-Shang-
Hai-Hongkong) umfassen bereits alle Hauptemporien der ostasiatischen Küsten¬
länder und Inseln; die Pacificbahn verleiht diesem Verbindungsstreben einen
bedeutenden Nachdruck, und so gravitiren die Chancen gegenwärtig nach ame¬
rikanischer Seite hin. Japan wird von New-Uork aus der modernen Cultur
gewonnen; Amerikas Ueberlegenheit auf diesem Schauplatze ist eine natürliche
Folge des besseren Communicationssystemes. Noch aber ist China im Wesent¬
lichen unberührt von occidentalischen Einflüsse; sein weites Gebiet von etwa
74,000 Quadratmeilen mit gegen 460 Millionen Einwohnern (während das
gesammte übrige Asien nur wenig über 300 Millionen Einwohner zählt) bietet
mit seinem Productenreichthum, seinem großartigen Gewerbfleiße, seiner Jahr¬
tausende alten Staatsbildung dem andringenden Weltverkehr noch immer un-
übersteigliche Schranken. Allerdings ist der Gesammtwerth der Ausfuhr zur
See, welcher nach officiellen Berichten*) 1844 nur 34 Millionen Thaler be¬
trug, bis 1864 auf 189 Millionen, der Werth des Imports von 33 auf 197
Millionen Thaler gestiegen, das auswärtige Geschäft Chinas zur See hat also
in 20 Jahren sich um das 5Vsfache vermehrt. Allein der Waarenaustausch
zu Lande weist immer noch sehr niedrige Zahlen auf; derselbe hat mit Ru߬
land über Kicichta im Jahre 1864 nur 30 Millionen Thaler betragen und
ist seitdem nicht beträchtlich gestiegen. Die Ursachen dieser Erscheinung sind,
wenn man von der immer noch starken Neigung der Chinesen zur Abgeschlossen¬
heit absieht, ausschließlich in dem Mangel verbesserter Verkehrsmittel zu suchen.
Zwei Drittel der Bevölkerung unseres Erdballs, auf der einen Seite das hoch,
entwickelte West- und Mittel-Europa, auf der anderen das fleißige China, mit¬
hin etwa 780 Millionen Menschen, entbehren der völkereinenden Verbindungs-



') Ltatemsnt ot Alp torvign tira? ^viel» Oliwa ceo. Ilou^Koug, I^edi'u^r 1844.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0347" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128275"/>
          <p xml:id="ID_1170" prev="#ID_1169"> Meilen. Außerdem kommt die Überlegenheit der Schienenstraße in Bezug<lb/>
auf die Schnelligkeit zur Geltung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1171" next="#ID_1172"> Von noch größeren Dimensionen und nicht geringer an Bedeutung ist<lb/>
der neuerdings von Dr. Meissel näher beleuchtete russische Plan der Verbin¬<lb/>
dung Europas und Chinas durch eine Weltbahn, welcher, ganz unabhängig<lb/>
von den Fortschritten Rußlands auf dem Wege vom schwarzen und kaspischen<lb/>
Meere durch Afghanistan nach Ostindien und Tübet, nur einen Theil der ge¬<lb/>
waltigen Operationen bildet, mit welchen Nußland die Erlangung des Prin-<lb/>
cipals in Ostasien betreibt. Nach Ostasten sind neuerdings alle Blicke gerichtet;<lb/>
erst kürzlich wurde der Welt das Schauspiel bereitet, daß der japanische Herr¬<lb/>
scher europäische Sitte und Cultur für sich und seine Staaten zum Gesetz er¬<lb/>
hob; ungeheure Schätze sind noch in Ostasien verborgen und harren der Aus¬<lb/>
beute. Längst hat der Scharfblick der Jankees dies erkannt und danach ge¬<lb/>
handelt. Die amerikanischen Dampferlinien (San Francisco-Nokohama-Shang-<lb/>
Hai-Hongkong) umfassen bereits alle Hauptemporien der ostasiatischen Küsten¬<lb/>
länder und Inseln; die Pacificbahn verleiht diesem Verbindungsstreben einen<lb/>
bedeutenden Nachdruck, und so gravitiren die Chancen gegenwärtig nach ame¬<lb/>
rikanischer Seite hin. Japan wird von New-Uork aus der modernen Cultur<lb/>
gewonnen; Amerikas Ueberlegenheit auf diesem Schauplatze ist eine natürliche<lb/>
Folge des besseren Communicationssystemes. Noch aber ist China im Wesent¬<lb/>
lichen unberührt von occidentalischen Einflüsse; sein weites Gebiet von etwa<lb/>
74,000 Quadratmeilen mit gegen 460 Millionen Einwohnern (während das<lb/>
gesammte übrige Asien nur wenig über 300 Millionen Einwohner zählt) bietet<lb/>
mit seinem Productenreichthum, seinem großartigen Gewerbfleiße, seiner Jahr¬<lb/>
tausende alten Staatsbildung dem andringenden Weltverkehr noch immer un-<lb/>
übersteigliche Schranken. Allerdings ist der Gesammtwerth der Ausfuhr zur<lb/>
See, welcher nach officiellen Berichten*) 1844 nur 34 Millionen Thaler be¬<lb/>
trug, bis 1864 auf 189 Millionen, der Werth des Imports von 33 auf 197<lb/>
Millionen Thaler gestiegen, das auswärtige Geschäft Chinas zur See hat also<lb/>
in 20 Jahren sich um das 5Vsfache vermehrt. Allein der Waarenaustausch<lb/>
zu Lande weist immer noch sehr niedrige Zahlen auf; derselbe hat mit Ru߬<lb/>
land über Kicichta im Jahre 1864 nur 30 Millionen Thaler betragen und<lb/>
ist seitdem nicht beträchtlich gestiegen. Die Ursachen dieser Erscheinung sind,<lb/>
wenn man von der immer noch starken Neigung der Chinesen zur Abgeschlossen¬<lb/>
heit absieht, ausschließlich in dem Mangel verbesserter Verkehrsmittel zu suchen.<lb/>
Zwei Drittel der Bevölkerung unseres Erdballs, auf der einen Seite das hoch,<lb/>
entwickelte West- und Mittel-Europa, auf der anderen das fleißige China, mit¬<lb/>
hin etwa 780 Millionen Menschen, entbehren der völkereinenden Verbindungs-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_87" place="foot"> ') Ltatemsnt ot Alp torvign tira? ^viel» Oliwa ceo.  Ilou^Koug, I^edi'u^r 1844.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0347] Meilen. Außerdem kommt die Überlegenheit der Schienenstraße in Bezug auf die Schnelligkeit zur Geltung. Von noch größeren Dimensionen und nicht geringer an Bedeutung ist der neuerdings von Dr. Meissel näher beleuchtete russische Plan der Verbin¬ dung Europas und Chinas durch eine Weltbahn, welcher, ganz unabhängig von den Fortschritten Rußlands auf dem Wege vom schwarzen und kaspischen Meere durch Afghanistan nach Ostindien und Tübet, nur einen Theil der ge¬ waltigen Operationen bildet, mit welchen Nußland die Erlangung des Prin- cipals in Ostasien betreibt. Nach Ostasten sind neuerdings alle Blicke gerichtet; erst kürzlich wurde der Welt das Schauspiel bereitet, daß der japanische Herr¬ scher europäische Sitte und Cultur für sich und seine Staaten zum Gesetz er¬ hob; ungeheure Schätze sind noch in Ostasien verborgen und harren der Aus¬ beute. Längst hat der Scharfblick der Jankees dies erkannt und danach ge¬ handelt. Die amerikanischen Dampferlinien (San Francisco-Nokohama-Shang- Hai-Hongkong) umfassen bereits alle Hauptemporien der ostasiatischen Küsten¬ länder und Inseln; die Pacificbahn verleiht diesem Verbindungsstreben einen bedeutenden Nachdruck, und so gravitiren die Chancen gegenwärtig nach ame¬ rikanischer Seite hin. Japan wird von New-Uork aus der modernen Cultur gewonnen; Amerikas Ueberlegenheit auf diesem Schauplatze ist eine natürliche Folge des besseren Communicationssystemes. Noch aber ist China im Wesent¬ lichen unberührt von occidentalischen Einflüsse; sein weites Gebiet von etwa 74,000 Quadratmeilen mit gegen 460 Millionen Einwohnern (während das gesammte übrige Asien nur wenig über 300 Millionen Einwohner zählt) bietet mit seinem Productenreichthum, seinem großartigen Gewerbfleiße, seiner Jahr¬ tausende alten Staatsbildung dem andringenden Weltverkehr noch immer un- übersteigliche Schranken. Allerdings ist der Gesammtwerth der Ausfuhr zur See, welcher nach officiellen Berichten*) 1844 nur 34 Millionen Thaler be¬ trug, bis 1864 auf 189 Millionen, der Werth des Imports von 33 auf 197 Millionen Thaler gestiegen, das auswärtige Geschäft Chinas zur See hat also in 20 Jahren sich um das 5Vsfache vermehrt. Allein der Waarenaustausch zu Lande weist immer noch sehr niedrige Zahlen auf; derselbe hat mit Ru߬ land über Kicichta im Jahre 1864 nur 30 Millionen Thaler betragen und ist seitdem nicht beträchtlich gestiegen. Die Ursachen dieser Erscheinung sind, wenn man von der immer noch starken Neigung der Chinesen zur Abgeschlossen¬ heit absieht, ausschließlich in dem Mangel verbesserter Verkehrsmittel zu suchen. Zwei Drittel der Bevölkerung unseres Erdballs, auf der einen Seite das hoch, entwickelte West- und Mittel-Europa, auf der anderen das fleißige China, mit¬ hin etwa 780 Millionen Menschen, entbehren der völkereinenden Verbindungs- ') Ltatemsnt ot Alp torvign tira? ^viel» Oliwa ceo. Ilou^Koug, I^edi'u^r 1844.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/347
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/347>, abgerufen am 22.12.2024.