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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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es doch dem alten, häßlichen Mirabeau gerade so; hoffentlich werde ich dem¬
selben in andrer Beziehung nicht ähnlich.

Wenn ich nach Hause komme werde ich etwas taumeln, wie ein Auf¬
stehender aus dem Schlafe nach einem Champagnerrausch, mir die Stirn
reiben und die tollen Träume vergessen, die bunt und schön, aber -- Träume
waren. Ich wünschte herzlich, es könnte bald sehn! Sechs Tage haben wir
nun schon geschlagen und ich darf wohl sagen gesiegt; denn sollte die Ab¬
stimmung gegen uns ausfallen, so geschieht dies mit einer solchen imposanten
Minderheit, daß die tyrannische Einsetzung doch unmöglich wird.*)

Anfang Juli wurde Blum durch eine Zuschrift Haubolds überrascht, der
eine Anweisung auf 3S0 Thaler beilag, welche die Bourgeoisie Leipzigs ihrem
Abgeordneten als Ersatz für dessen finanzielle Opfer überreichte. Blum ant¬
wortete hieraus am S. Juli an Haubold:


"Mein theurer und verehrter Freund!

Dein Schreiben vom 17. vorigen Monats, welches ich wie Du weißt
erst jetzt erhalten habe, hat mich zu gleicher Zeit hoch erhoben und tief be¬
schämt: hoch erhoben, denn in dem Sturm der Revolution, in dem wirren
Treiben der Parteikämpfe, welche sie nothwendig mit sich führt ist die Aner¬
kennung edler Menschen doppelt wohlthuend, ermunternd und anspornend; --
tief beschämt, weil Du mir im Namen so vieler edeln Männer eine so große
und werthvolle Gabe bietest (groß und werthvoll besonders durch den Sinn
der Geber!), die nicht verdient zu haben ich nur zu sehr fühle. Ich habe
nur meine Pflicht gethan, das mir vom Schöpfer verliehene Pfand ver¬
wendet zum Besten meiner Mitmenschen, wie es meine Schuldigkeit war und
die mir verliehene Kraft gebraucht, wohin sie gehörte. Haben meine Mit¬
bürger in der Nähe und Ferne mich dafür weit über Gebühr ausgezeichnet,
so wurde mir diese Auszeichnung weniger durch eigenes Verdienst als durch
das fluchwürdige Bestreben des gestürzten Systems zu Theil,
die Pflichterfüllung für das Vaterland zu hintertreiben und
zu ächten, und diese in einem durch Bevormundung entarteten
Geschlecht zur Seltenheit zu machen. Die Neuzeit wird edlere Kräfte
lösen und auf den Schauplatz rufen; und dessen wird sich niemand inniger
und herzlicher freuen, als ich.

Nehme ich nun die mir gebotene Gabe mit Beschämung und innigster
Dankbarkeit an, so betrachte ich dieselbe doch nur als ein Darlehen, als eine
heilige Schuld, die ich dem Vaterlande abzutragen habe. Und ich kann sie
nicht besser abtragen, als wenn ich dem Vaterlande, der Freiheit,
der Verbesserung der politischen und socialen Zustände meine



") Die Einsetzung des Reichsverwesers.

es doch dem alten, häßlichen Mirabeau gerade so; hoffentlich werde ich dem¬
selben in andrer Beziehung nicht ähnlich.

Wenn ich nach Hause komme werde ich etwas taumeln, wie ein Auf¬
stehender aus dem Schlafe nach einem Champagnerrausch, mir die Stirn
reiben und die tollen Träume vergessen, die bunt und schön, aber — Träume
waren. Ich wünschte herzlich, es könnte bald sehn! Sechs Tage haben wir
nun schon geschlagen und ich darf wohl sagen gesiegt; denn sollte die Ab¬
stimmung gegen uns ausfallen, so geschieht dies mit einer solchen imposanten
Minderheit, daß die tyrannische Einsetzung doch unmöglich wird.*)

Anfang Juli wurde Blum durch eine Zuschrift Haubolds überrascht, der
eine Anweisung auf 3S0 Thaler beilag, welche die Bourgeoisie Leipzigs ihrem
Abgeordneten als Ersatz für dessen finanzielle Opfer überreichte. Blum ant¬
wortete hieraus am S. Juli an Haubold:


„Mein theurer und verehrter Freund!

Dein Schreiben vom 17. vorigen Monats, welches ich wie Du weißt
erst jetzt erhalten habe, hat mich zu gleicher Zeit hoch erhoben und tief be¬
schämt: hoch erhoben, denn in dem Sturm der Revolution, in dem wirren
Treiben der Parteikämpfe, welche sie nothwendig mit sich führt ist die Aner¬
kennung edler Menschen doppelt wohlthuend, ermunternd und anspornend; —
tief beschämt, weil Du mir im Namen so vieler edeln Männer eine so große
und werthvolle Gabe bietest (groß und werthvoll besonders durch den Sinn
der Geber!), die nicht verdient zu haben ich nur zu sehr fühle. Ich habe
nur meine Pflicht gethan, das mir vom Schöpfer verliehene Pfand ver¬
wendet zum Besten meiner Mitmenschen, wie es meine Schuldigkeit war und
die mir verliehene Kraft gebraucht, wohin sie gehörte. Haben meine Mit¬
bürger in der Nähe und Ferne mich dafür weit über Gebühr ausgezeichnet,
so wurde mir diese Auszeichnung weniger durch eigenes Verdienst als durch
das fluchwürdige Bestreben des gestürzten Systems zu Theil,
die Pflichterfüllung für das Vaterland zu hintertreiben und
zu ächten, und diese in einem durch Bevormundung entarteten
Geschlecht zur Seltenheit zu machen. Die Neuzeit wird edlere Kräfte
lösen und auf den Schauplatz rufen; und dessen wird sich niemand inniger
und herzlicher freuen, als ich.

Nehme ich nun die mir gebotene Gabe mit Beschämung und innigster
Dankbarkeit an, so betrachte ich dieselbe doch nur als ein Darlehen, als eine
heilige Schuld, die ich dem Vaterlande abzutragen habe. Und ich kann sie
nicht besser abtragen, als wenn ich dem Vaterlande, der Freiheit,
der Verbesserung der politischen und socialen Zustände meine



") Die Einsetzung des Reichsverwesers.
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[0219] es doch dem alten, häßlichen Mirabeau gerade so; hoffentlich werde ich dem¬ selben in andrer Beziehung nicht ähnlich. Wenn ich nach Hause komme werde ich etwas taumeln, wie ein Auf¬ stehender aus dem Schlafe nach einem Champagnerrausch, mir die Stirn reiben und die tollen Träume vergessen, die bunt und schön, aber — Träume waren. Ich wünschte herzlich, es könnte bald sehn! Sechs Tage haben wir nun schon geschlagen und ich darf wohl sagen gesiegt; denn sollte die Ab¬ stimmung gegen uns ausfallen, so geschieht dies mit einer solchen imposanten Minderheit, daß die tyrannische Einsetzung doch unmöglich wird.*) Anfang Juli wurde Blum durch eine Zuschrift Haubolds überrascht, der eine Anweisung auf 3S0 Thaler beilag, welche die Bourgeoisie Leipzigs ihrem Abgeordneten als Ersatz für dessen finanzielle Opfer überreichte. Blum ant¬ wortete hieraus am S. Juli an Haubold: „Mein theurer und verehrter Freund! Dein Schreiben vom 17. vorigen Monats, welches ich wie Du weißt erst jetzt erhalten habe, hat mich zu gleicher Zeit hoch erhoben und tief be¬ schämt: hoch erhoben, denn in dem Sturm der Revolution, in dem wirren Treiben der Parteikämpfe, welche sie nothwendig mit sich führt ist die Aner¬ kennung edler Menschen doppelt wohlthuend, ermunternd und anspornend; — tief beschämt, weil Du mir im Namen so vieler edeln Männer eine so große und werthvolle Gabe bietest (groß und werthvoll besonders durch den Sinn der Geber!), die nicht verdient zu haben ich nur zu sehr fühle. Ich habe nur meine Pflicht gethan, das mir vom Schöpfer verliehene Pfand ver¬ wendet zum Besten meiner Mitmenschen, wie es meine Schuldigkeit war und die mir verliehene Kraft gebraucht, wohin sie gehörte. Haben meine Mit¬ bürger in der Nähe und Ferne mich dafür weit über Gebühr ausgezeichnet, so wurde mir diese Auszeichnung weniger durch eigenes Verdienst als durch das fluchwürdige Bestreben des gestürzten Systems zu Theil, die Pflichterfüllung für das Vaterland zu hintertreiben und zu ächten, und diese in einem durch Bevormundung entarteten Geschlecht zur Seltenheit zu machen. Die Neuzeit wird edlere Kräfte lösen und auf den Schauplatz rufen; und dessen wird sich niemand inniger und herzlicher freuen, als ich. Nehme ich nun die mir gebotene Gabe mit Beschämung und innigster Dankbarkeit an, so betrachte ich dieselbe doch nur als ein Darlehen, als eine heilige Schuld, die ich dem Vaterlande abzutragen habe. Und ich kann sie nicht besser abtragen, als wenn ich dem Vaterlande, der Freiheit, der Verbesserung der politischen und socialen Zustände meine ") Die Einsetzung des Reichsverwesers.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/219>, abgerufen am 22.07.2024.