Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ausgehen, damit Du und die Kinder doch wohin kommen .... -- Diese
Tage sind keine Verhandlungen von Bedeutung: Geschäftsordnung, Wahlen,
u. s. w. langweilig und doch nothwendig. Lebe wohl, die Pflicht ruft! Grüße
und küsse die Kinder und empfiehl mich allen Bekannten, die Du siehst. --
Bleibe nur gesund und spare nicht etwa zu sehr, so daß Hans sagt: wir
essen nichts!

Nochmals lebe wohl und nimm Gruß und Kuß von Deinem
Robert."

30. Mai 1848.

"Frankfurt, 25. Juni.

"Liebe Jenny. Das waren schwere, schwere vierzehn Tage; die schwersten,
die ich je erlebt habe. Von Sonnabend den 10. bis Mittwoch 14. in uner¬
meßlicher Fest- und Reiseanstrengung, von Mittwoch an bis heute in Arbeit.
Berge von Stößen haben sich aufgehäuft, aber bei einer halbtägigen Pause
am Donnerstage, wo hier Fronleichnamsfest war, vermochte Riem and etwas
zu thun, wir mußten ruhen und flegelten uns im Garten herum. Ueber
die "Reise der Linken"*) schreibe ich nichts mehr. Du hast sie ja gelesen; nur
war das Bild schwach, weil sich meine Feder sträubte, niederzuschreiben was
mir selbst wiederfuhr und doch sich alle Huldigungen eben auf mich -- den
Führer -- wendeten. Wenn Du besorgst, diese und besonders die der Frauen
möchten mich schwindlich machen, so kannst Du deshalb ruhig seyn. Zwar
sind die Frauen allerdings fanatisch hier im Süden und ihre Theilnahmsbe¬
zeugungen steigen bis zu Unglaublichen. Bei einer lebendigen Verhandlung,
einem entschiedenen Auftreten nimmt das Klatschen, das Wehen mit Tüchern,
das Zuwerfen von Blumen und Kußhändchen, oder die Uebersendung von
Bouquets oft gar kein Ende. Und das geschieht offen, ohne Prüderie, Allen
sichtbar, oft unter rasendem Beifall der Gallerie und die ganze Nationalver¬
sammlung platzt vor Aerger, denn es hat es noch keine andre Seite, noch
Niemand zu einem derartigen Zeichen gebracht als wir. Als ich jüngst
über die Centralgewalt sprach und am Schlüsse sehr ernst und feierlich wurde,
schwamm das Frauenauditorium in Thränen und schluchzend streckte man mir
hundert Hände entgegen, als ich herab kam. Das ist ein schönes Zeichen,
aber vor Eitelkeit, d. h. persönlicher bewahrt mich 1) jeder Blick in den
Spiegel, der mir sagt, daß ich nicht schön und 40 Jahre alt bin, 2) das
klare Bewußtseyn, daß es nicht dem Manne, sondern dem Parteiführer
gilt und ich also stets mit meinen Getreuen theilen muß, wobei mir sehr
wenig bleibt. Kommt der Mangel an Zeit dazu, der mir jede Bekanntschaft
in Familien unmöglich macht und mich gegen die wenigen, die ich gemacht
habe, zwingt unartig zu sein, so bleibt die Sache rein politisch und daist
sie allerdings ein gewaltiger Hebel, gegen den Du nichts haben wirst. Ging



") In die Rheinpfalz, zu Pfingsten 1848.

ausgehen, damit Du und die Kinder doch wohin kommen .... — Diese
Tage sind keine Verhandlungen von Bedeutung: Geschäftsordnung, Wahlen,
u. s. w. langweilig und doch nothwendig. Lebe wohl, die Pflicht ruft! Grüße
und küsse die Kinder und empfiehl mich allen Bekannten, die Du siehst. —
Bleibe nur gesund und spare nicht etwa zu sehr, so daß Hans sagt: wir
essen nichts!

Nochmals lebe wohl und nimm Gruß und Kuß von Deinem
Robert."

30. Mai 1848.

„Frankfurt, 25. Juni.

„Liebe Jenny. Das waren schwere, schwere vierzehn Tage; die schwersten,
die ich je erlebt habe. Von Sonnabend den 10. bis Mittwoch 14. in uner¬
meßlicher Fest- und Reiseanstrengung, von Mittwoch an bis heute in Arbeit.
Berge von Stößen haben sich aufgehäuft, aber bei einer halbtägigen Pause
am Donnerstage, wo hier Fronleichnamsfest war, vermochte Riem and etwas
zu thun, wir mußten ruhen und flegelten uns im Garten herum. Ueber
die „Reise der Linken"*) schreibe ich nichts mehr. Du hast sie ja gelesen; nur
war das Bild schwach, weil sich meine Feder sträubte, niederzuschreiben was
mir selbst wiederfuhr und doch sich alle Huldigungen eben auf mich — den
Führer — wendeten. Wenn Du besorgst, diese und besonders die der Frauen
möchten mich schwindlich machen, so kannst Du deshalb ruhig seyn. Zwar
sind die Frauen allerdings fanatisch hier im Süden und ihre Theilnahmsbe¬
zeugungen steigen bis zu Unglaublichen. Bei einer lebendigen Verhandlung,
einem entschiedenen Auftreten nimmt das Klatschen, das Wehen mit Tüchern,
das Zuwerfen von Blumen und Kußhändchen, oder die Uebersendung von
Bouquets oft gar kein Ende. Und das geschieht offen, ohne Prüderie, Allen
sichtbar, oft unter rasendem Beifall der Gallerie und die ganze Nationalver¬
sammlung platzt vor Aerger, denn es hat es noch keine andre Seite, noch
Niemand zu einem derartigen Zeichen gebracht als wir. Als ich jüngst
über die Centralgewalt sprach und am Schlüsse sehr ernst und feierlich wurde,
schwamm das Frauenauditorium in Thränen und schluchzend streckte man mir
hundert Hände entgegen, als ich herab kam. Das ist ein schönes Zeichen,
aber vor Eitelkeit, d. h. persönlicher bewahrt mich 1) jeder Blick in den
Spiegel, der mir sagt, daß ich nicht schön und 40 Jahre alt bin, 2) das
klare Bewußtseyn, daß es nicht dem Manne, sondern dem Parteiführer
gilt und ich also stets mit meinen Getreuen theilen muß, wobei mir sehr
wenig bleibt. Kommt der Mangel an Zeit dazu, der mir jede Bekanntschaft
in Familien unmöglich macht und mich gegen die wenigen, die ich gemacht
habe, zwingt unartig zu sein, so bleibt die Sache rein politisch und daist
sie allerdings ein gewaltiger Hebel, gegen den Du nichts haben wirst. Ging



") In die Rheinpfalz, zu Pfingsten 1848.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0218" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128146"/>
          <p xml:id="ID_719" prev="#ID_718"> ausgehen, damit Du und die Kinder doch wohin kommen .... &#x2014; Diese<lb/>
Tage sind keine Verhandlungen von Bedeutung: Geschäftsordnung, Wahlen,<lb/>
u. s. w. langweilig und doch nothwendig. Lebe wohl, die Pflicht ruft! Grüße<lb/>
und küsse die Kinder und empfiehl mich allen Bekannten, die Du siehst. &#x2014;<lb/>
Bleibe nur gesund und spare nicht etwa zu sehr, so daß Hans sagt: wir<lb/>
essen nichts!</p>
          <note type="closer"> Nochmals lebe wohl und nimm Gruß und Kuß von Deinem</note><lb/>
          <note type="bibl"> Robert."</note><lb/>
          <p xml:id="ID_720"> 30. Mai 1848.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_721"> &#x201E;Frankfurt, 25. Juni.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_722" next="#ID_723"><note type="salute"> &#x201E;Liebe Jenny. </note> Das waren schwere, schwere vierzehn Tage; die schwersten,<lb/>
die ich je erlebt habe. Von Sonnabend den 10. bis Mittwoch 14. in uner¬<lb/>
meßlicher Fest- und Reiseanstrengung, von Mittwoch an bis heute in Arbeit.<lb/>
Berge von Stößen haben sich aufgehäuft, aber bei einer halbtägigen Pause<lb/>
am Donnerstage, wo hier Fronleichnamsfest war, vermochte Riem and etwas<lb/>
zu thun, wir mußten ruhen und flegelten uns im Garten herum. Ueber<lb/>
die &#x201E;Reise der Linken"*) schreibe ich nichts mehr. Du hast sie ja gelesen; nur<lb/>
war das Bild schwach, weil sich meine Feder sträubte, niederzuschreiben was<lb/>
mir selbst wiederfuhr und doch sich alle Huldigungen eben auf mich &#x2014; den<lb/>
Führer &#x2014; wendeten. Wenn Du besorgst, diese und besonders die der Frauen<lb/>
möchten mich schwindlich machen, so kannst Du deshalb ruhig seyn. Zwar<lb/>
sind die Frauen allerdings fanatisch hier im Süden und ihre Theilnahmsbe¬<lb/>
zeugungen steigen bis zu Unglaublichen. Bei einer lebendigen Verhandlung,<lb/>
einem entschiedenen Auftreten nimmt das Klatschen, das Wehen mit Tüchern,<lb/>
das Zuwerfen von Blumen und Kußhändchen, oder die Uebersendung von<lb/>
Bouquets oft gar kein Ende. Und das geschieht offen, ohne Prüderie, Allen<lb/>
sichtbar, oft unter rasendem Beifall der Gallerie und die ganze Nationalver¬<lb/>
sammlung platzt vor Aerger, denn es hat es noch keine andre Seite, noch<lb/>
Niemand zu einem derartigen Zeichen gebracht als wir. Als ich jüngst<lb/>
über die Centralgewalt sprach und am Schlüsse sehr ernst und feierlich wurde,<lb/>
schwamm das Frauenauditorium in Thränen und schluchzend streckte man mir<lb/>
hundert Hände entgegen, als ich herab kam. Das ist ein schönes Zeichen,<lb/>
aber vor Eitelkeit, d. h. persönlicher bewahrt mich 1) jeder Blick in den<lb/>
Spiegel, der mir sagt, daß ich nicht schön und 40 Jahre alt bin, 2) das<lb/>
klare Bewußtseyn, daß es nicht dem Manne, sondern dem Parteiführer<lb/>
gilt und ich also stets mit meinen Getreuen theilen muß, wobei mir sehr<lb/>
wenig bleibt. Kommt der Mangel an Zeit dazu, der mir jede Bekanntschaft<lb/>
in Familien unmöglich macht und mich gegen die wenigen, die ich gemacht<lb/>
habe, zwingt unartig zu sein, so bleibt die Sache rein politisch und daist<lb/>
sie allerdings ein gewaltiger Hebel, gegen den Du nichts haben wirst. Ging</p><lb/>
          <note xml:id="FID_53" place="foot"> ") In die Rheinpfalz, zu Pfingsten 1848.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0218] ausgehen, damit Du und die Kinder doch wohin kommen .... — Diese Tage sind keine Verhandlungen von Bedeutung: Geschäftsordnung, Wahlen, u. s. w. langweilig und doch nothwendig. Lebe wohl, die Pflicht ruft! Grüße und küsse die Kinder und empfiehl mich allen Bekannten, die Du siehst. — Bleibe nur gesund und spare nicht etwa zu sehr, so daß Hans sagt: wir essen nichts! Nochmals lebe wohl und nimm Gruß und Kuß von Deinem Robert." 30. Mai 1848. „Frankfurt, 25. Juni. „Liebe Jenny. Das waren schwere, schwere vierzehn Tage; die schwersten, die ich je erlebt habe. Von Sonnabend den 10. bis Mittwoch 14. in uner¬ meßlicher Fest- und Reiseanstrengung, von Mittwoch an bis heute in Arbeit. Berge von Stößen haben sich aufgehäuft, aber bei einer halbtägigen Pause am Donnerstage, wo hier Fronleichnamsfest war, vermochte Riem and etwas zu thun, wir mußten ruhen und flegelten uns im Garten herum. Ueber die „Reise der Linken"*) schreibe ich nichts mehr. Du hast sie ja gelesen; nur war das Bild schwach, weil sich meine Feder sträubte, niederzuschreiben was mir selbst wiederfuhr und doch sich alle Huldigungen eben auf mich — den Führer — wendeten. Wenn Du besorgst, diese und besonders die der Frauen möchten mich schwindlich machen, so kannst Du deshalb ruhig seyn. Zwar sind die Frauen allerdings fanatisch hier im Süden und ihre Theilnahmsbe¬ zeugungen steigen bis zu Unglaublichen. Bei einer lebendigen Verhandlung, einem entschiedenen Auftreten nimmt das Klatschen, das Wehen mit Tüchern, das Zuwerfen von Blumen und Kußhändchen, oder die Uebersendung von Bouquets oft gar kein Ende. Und das geschieht offen, ohne Prüderie, Allen sichtbar, oft unter rasendem Beifall der Gallerie und die ganze Nationalver¬ sammlung platzt vor Aerger, denn es hat es noch keine andre Seite, noch Niemand zu einem derartigen Zeichen gebracht als wir. Als ich jüngst über die Centralgewalt sprach und am Schlüsse sehr ernst und feierlich wurde, schwamm das Frauenauditorium in Thränen und schluchzend streckte man mir hundert Hände entgegen, als ich herab kam. Das ist ein schönes Zeichen, aber vor Eitelkeit, d. h. persönlicher bewahrt mich 1) jeder Blick in den Spiegel, der mir sagt, daß ich nicht schön und 40 Jahre alt bin, 2) das klare Bewußtseyn, daß es nicht dem Manne, sondern dem Parteiführer gilt und ich also stets mit meinen Getreuen theilen muß, wobei mir sehr wenig bleibt. Kommt der Mangel an Zeit dazu, der mir jede Bekanntschaft in Familien unmöglich macht und mich gegen die wenigen, die ich gemacht habe, zwingt unartig zu sein, so bleibt die Sache rein politisch und daist sie allerdings ein gewaltiger Hebel, gegen den Du nichts haben wirst. Ging ") In die Rheinpfalz, zu Pfingsten 1848.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/218
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/218>, abgerufen am 22.12.2024.