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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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indem sie sich in den engen Kreis der Familie trennt und dort mit ver¬
hältnißmäßig ungeheuren Kosten Alles besorgt und anschafft, was in der
Vergesellschaftung unendlich billiger und besser zu haben wäre. Auf
diesem Gebiete kann man also dem Socialismus eine bedeutende Zukunft
vorhersagen." Seite 424 aber faßt er die "Lehren" des Socialismus dahin
zusammen: Gerechtere Vertheilung der Güter der Erde, nicht durch Ge¬
walt, sondern durch friedliche Ausgleichung; Beschränkung der
unheilvollen Uebermacht des Geldes; genügender und entsprechender Lohn
der Arbeit und des Verdienstes; Erhebung der sogenannt untern Classen zu
gleichem Menschenrecht und gleichem staatlichen Rechte." Indem
Robert Blum dieses als "Lehre" des Socialismus bezeichnet, und also fort¬
fährt: "Es ist eine Lehre, die. nicht nach den vorliegenden Formen, sondern
nach dem Inhalte, jeder Menschen- und Freiheitsfreund bekennen muß,
deren Verwirklichung die Gestaltung der Gesellschaft fordert, täglich gebieterischer
und nothwendig macht, in der das einzige Heil der Zukunft, die einzig wahre
Gerechtigkeit liegt," steht er der werkthätigen Menschenliebe eines Schulze-De-
litzsch und selbst den maßvollen Gedanken eines Heinrich von Sybel über den
Socialismus sicherlich bei weitem näher, als Jene, welche den Samen der
Zwietracht gewerbsmäßig ausstreuen, und die vermeintlichen Keime der rothen
Revolution mit Jubel hervorbrechen sehen, weil sie in dem ersehnten allge¬
meinen Vernichtungskampf nichts verlieren, nur gewinnen können. --

Der erste hier mitzutheilende Brief Blums (an seine Frau) stammt aus
den bewegtesten Stunden des Vorparlaments -- die Empfängerin hat den 2. April
als Tag der Absendung daraus vermerkt. Bekanntlich ist es Blums uner¬
schütterlicher Ruhe und Besonnenheit und Stimmenkraft c^s ersten Vicepräsi-
denten wesentlich zu danken, daß die über fünfhundert Köpfe starke Ver¬
sammlung, deren Leitung der erste Präsident Soiron entschieden nicht zu be¬
herrschen vermochte, nicht schon am ersten Tag in tiefster gegenseitiger Ver¬
bitterung auseinander stürmte, nachdem Gustav Struve mit seinem wahn¬
sinnigen Antrag auf Abschaffung, Auflösung und Aufhebung aller bestehenden
Zustände in die Versammlung gepoltert war und mit Hecker den noch geistes¬
dunkleren Antrag gestellt hatte, die Versammlung möge sich bis zur Be¬
rathung und Beschlußfaßung über diese maAng, eliarrg, deutscher Nation
permanent erklären *). Blum war es. der inmitten des Tobens der äußersten
Linken und der Gallerien sich muthig diesem ersten Attentat der rothen
Revolution auf die gesetzliche Entwickelung des deutschen Verfassungswerkes
mit seiner machtvollen und doch ergreifenden Beredsamkeit in den Wegwarf**)



") Verhandlungen des deutschen Parlaments. Offizielle Ausgabe, 1. Lieferung S. 5 fg.
14 fg. ") Edda S, 10 fg. 24 fg.

indem sie sich in den engen Kreis der Familie trennt und dort mit ver¬
hältnißmäßig ungeheuren Kosten Alles besorgt und anschafft, was in der
Vergesellschaftung unendlich billiger und besser zu haben wäre. Auf
diesem Gebiete kann man also dem Socialismus eine bedeutende Zukunft
vorhersagen." Seite 424 aber faßt er die „Lehren" des Socialismus dahin
zusammen: Gerechtere Vertheilung der Güter der Erde, nicht durch Ge¬
walt, sondern durch friedliche Ausgleichung; Beschränkung der
unheilvollen Uebermacht des Geldes; genügender und entsprechender Lohn
der Arbeit und des Verdienstes; Erhebung der sogenannt untern Classen zu
gleichem Menschenrecht und gleichem staatlichen Rechte." Indem
Robert Blum dieses als „Lehre" des Socialismus bezeichnet, und also fort¬
fährt: „Es ist eine Lehre, die. nicht nach den vorliegenden Formen, sondern
nach dem Inhalte, jeder Menschen- und Freiheitsfreund bekennen muß,
deren Verwirklichung die Gestaltung der Gesellschaft fordert, täglich gebieterischer
und nothwendig macht, in der das einzige Heil der Zukunft, die einzig wahre
Gerechtigkeit liegt," steht er der werkthätigen Menschenliebe eines Schulze-De-
litzsch und selbst den maßvollen Gedanken eines Heinrich von Sybel über den
Socialismus sicherlich bei weitem näher, als Jene, welche den Samen der
Zwietracht gewerbsmäßig ausstreuen, und die vermeintlichen Keime der rothen
Revolution mit Jubel hervorbrechen sehen, weil sie in dem ersehnten allge¬
meinen Vernichtungskampf nichts verlieren, nur gewinnen können. —

Der erste hier mitzutheilende Brief Blums (an seine Frau) stammt aus
den bewegtesten Stunden des Vorparlaments — die Empfängerin hat den 2. April
als Tag der Absendung daraus vermerkt. Bekanntlich ist es Blums uner¬
schütterlicher Ruhe und Besonnenheit und Stimmenkraft c^s ersten Vicepräsi-
denten wesentlich zu danken, daß die über fünfhundert Köpfe starke Ver¬
sammlung, deren Leitung der erste Präsident Soiron entschieden nicht zu be¬
herrschen vermochte, nicht schon am ersten Tag in tiefster gegenseitiger Ver¬
bitterung auseinander stürmte, nachdem Gustav Struve mit seinem wahn¬
sinnigen Antrag auf Abschaffung, Auflösung und Aufhebung aller bestehenden
Zustände in die Versammlung gepoltert war und mit Hecker den noch geistes¬
dunkleren Antrag gestellt hatte, die Versammlung möge sich bis zur Be¬
rathung und Beschlußfaßung über diese maAng, eliarrg, deutscher Nation
permanent erklären *). Blum war es. der inmitten des Tobens der äußersten
Linken und der Gallerien sich muthig diesem ersten Attentat der rothen
Revolution auf die gesetzliche Entwickelung des deutschen Verfassungswerkes
mit seiner machtvollen und doch ergreifenden Beredsamkeit in den Wegwarf**)



") Verhandlungen des deutschen Parlaments. Offizielle Ausgabe, 1. Lieferung S. 5 fg.
14 fg. ") Edda S, 10 fg. 24 fg.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/211>, abgerufen am 02.07.2024.