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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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und dadurch auf alle gemäßigten Geister der Linken den wohlthätigsten Ein¬
fluß übte. Aus diesen Stimmungen schrieb er:


"Frau und Freunde!

Heut scheint der letzte Tag zu sein, dann muß ich mich einen Tag aus¬
ruhen, ganz ausruhen, denn ich bin wie ein Mensch, der durch fortwährendes
Trinken sich vor dem Katzenjammer schützt, diese Aufregung Tag und Nacht
reibt auf. Aber sie ist süß, bezaubernd, schwelgerisch wie ein Champagner¬
rausch. Wenn ich hier bleibe -- was unsre Leute wollen und was ge¬
schehen muß, wenn die Mehrheit nicht zum Anspucken perfid ist") -- so gebeich
"Rückblicke" auf die Versammlung heraus, komme aber jedenfalls, wenn
der Ausschuß im Gleise ist, auf 8 Tage nach Hause; dann wird mich ohnehin
die constituirende Nationalversammlug -- M. wenn ich hineinkomme! -- lange
genug fesseln. Struve und Hecker sind wahre Viehkerls, rennen
durch die Wand wie geschlagene Ochsen und haben uns den
Sieg furchtbar schwer gemacht. Aber wir haben gesiegt in Allem.

Unter den stürmischsten Verhandlungen geschrieben.


Gruß und Kuß.
B."

Der zweite Brief, den wir nur als Stimmungsbild aus dem "tollen Jahr"
mittheilen, ist ohne Datum und Ortsangabe, trägt aber den Briefstempel
"A. Welter, Hotel de Mayence, Cologne", und kann nur in der Zeit vom
16--28. April geschrieben sein, wo Blum in Cöln verweilte, also nach Schluß
des Vorparlaments, während der Tage des Fünfziger Ausschusses. Dieser Brief
lautet -

"Liebe Jenny. Du mußt den guten Willen für das Werk und diese
zwei Zeilen, die ich im Sturme schreibe, für einen Brief nehmen. Wir
kommen aus den Conferenzen nicht heraus und es ist wahrlich mit uns wie
mit den ehemaligen Fürsten, zu denen sich von nah und fern Alles drängt.
Dazu muß ich mir persönlich noch täglich von einer Menge Polen, die massen¬
weise hier durchziehen, Complimente schneiden und mich von Fürstinnen --
küssen lassen. Aber es war leider nur die alte, die dies that, die junge hat
mir blos eine Hand gegeben. Laß Dir also von Georg sagen, wie's mir
geht. Meine Schwestern habe ich gestern nur eine Viertelstunde, heut nebst
der Mutter"*) eine Stunde gesehen. Sie sind alle wohl und lassen Euch
herzlichst grüßen. Sobald ich kann, erhälst Du auch wieder einen Brief
Robert. von Deinem treuergebnen

Gruß und Kuß Dir und den Kindern."




") Diese Befürchtung trat nicht ein, denn bekanntlich wurde Vlnm mit drittgrößter Stim¬
menzahl (435) in den Fünfzigerausschuß gewählt. Verhandlungen des deutschen Parlaments
Seite 16l.
") Seine Mutter, Margaretha Schilder, vero. gewesene Blum, geb, Vrabcndcr, geht. den
8. October 1865 über 8V Jahre alt.

und dadurch auf alle gemäßigten Geister der Linken den wohlthätigsten Ein¬
fluß übte. Aus diesen Stimmungen schrieb er:


„Frau und Freunde!

Heut scheint der letzte Tag zu sein, dann muß ich mich einen Tag aus¬
ruhen, ganz ausruhen, denn ich bin wie ein Mensch, der durch fortwährendes
Trinken sich vor dem Katzenjammer schützt, diese Aufregung Tag und Nacht
reibt auf. Aber sie ist süß, bezaubernd, schwelgerisch wie ein Champagner¬
rausch. Wenn ich hier bleibe — was unsre Leute wollen und was ge¬
schehen muß, wenn die Mehrheit nicht zum Anspucken perfid ist") — so gebeich
„Rückblicke" auf die Versammlung heraus, komme aber jedenfalls, wenn
der Ausschuß im Gleise ist, auf 8 Tage nach Hause; dann wird mich ohnehin
die constituirende Nationalversammlug — M. wenn ich hineinkomme! — lange
genug fesseln. Struve und Hecker sind wahre Viehkerls, rennen
durch die Wand wie geschlagene Ochsen und haben uns den
Sieg furchtbar schwer gemacht. Aber wir haben gesiegt in Allem.

Unter den stürmischsten Verhandlungen geschrieben.


Gruß und Kuß.
B."

Der zweite Brief, den wir nur als Stimmungsbild aus dem „tollen Jahr"
mittheilen, ist ohne Datum und Ortsangabe, trägt aber den Briefstempel
„A. Welter, Hotel de Mayence, Cologne", und kann nur in der Zeit vom
16—28. April geschrieben sein, wo Blum in Cöln verweilte, also nach Schluß
des Vorparlaments, während der Tage des Fünfziger Ausschusses. Dieser Brief
lautet -

„Liebe Jenny. Du mußt den guten Willen für das Werk und diese
zwei Zeilen, die ich im Sturme schreibe, für einen Brief nehmen. Wir
kommen aus den Conferenzen nicht heraus und es ist wahrlich mit uns wie
mit den ehemaligen Fürsten, zu denen sich von nah und fern Alles drängt.
Dazu muß ich mir persönlich noch täglich von einer Menge Polen, die massen¬
weise hier durchziehen, Complimente schneiden und mich von Fürstinnen —
küssen lassen. Aber es war leider nur die alte, die dies that, die junge hat
mir blos eine Hand gegeben. Laß Dir also von Georg sagen, wie's mir
geht. Meine Schwestern habe ich gestern nur eine Viertelstunde, heut nebst
der Mutter"*) eine Stunde gesehen. Sie sind alle wohl und lassen Euch
herzlichst grüßen. Sobald ich kann, erhälst Du auch wieder einen Brief
Robert. von Deinem treuergebnen

Gruß und Kuß Dir und den Kindern."




") Diese Befürchtung trat nicht ein, denn bekanntlich wurde Vlnm mit drittgrößter Stim¬
menzahl (435) in den Fünfzigerausschuß gewählt. Verhandlungen des deutschen Parlaments
Seite 16l.
") Seine Mutter, Margaretha Schilder, vero. gewesene Blum, geb, Vrabcndcr, geht. den
8. October 1865 über 8V Jahre alt.
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[0212] und dadurch auf alle gemäßigten Geister der Linken den wohlthätigsten Ein¬ fluß übte. Aus diesen Stimmungen schrieb er: „Frau und Freunde! Heut scheint der letzte Tag zu sein, dann muß ich mich einen Tag aus¬ ruhen, ganz ausruhen, denn ich bin wie ein Mensch, der durch fortwährendes Trinken sich vor dem Katzenjammer schützt, diese Aufregung Tag und Nacht reibt auf. Aber sie ist süß, bezaubernd, schwelgerisch wie ein Champagner¬ rausch. Wenn ich hier bleibe — was unsre Leute wollen und was ge¬ schehen muß, wenn die Mehrheit nicht zum Anspucken perfid ist") — so gebeich „Rückblicke" auf die Versammlung heraus, komme aber jedenfalls, wenn der Ausschuß im Gleise ist, auf 8 Tage nach Hause; dann wird mich ohnehin die constituirende Nationalversammlug — M. wenn ich hineinkomme! — lange genug fesseln. Struve und Hecker sind wahre Viehkerls, rennen durch die Wand wie geschlagene Ochsen und haben uns den Sieg furchtbar schwer gemacht. Aber wir haben gesiegt in Allem. Unter den stürmischsten Verhandlungen geschrieben. Gruß und Kuß. B." Der zweite Brief, den wir nur als Stimmungsbild aus dem „tollen Jahr" mittheilen, ist ohne Datum und Ortsangabe, trägt aber den Briefstempel „A. Welter, Hotel de Mayence, Cologne", und kann nur in der Zeit vom 16—28. April geschrieben sein, wo Blum in Cöln verweilte, also nach Schluß des Vorparlaments, während der Tage des Fünfziger Ausschusses. Dieser Brief lautet - „Liebe Jenny. Du mußt den guten Willen für das Werk und diese zwei Zeilen, die ich im Sturme schreibe, für einen Brief nehmen. Wir kommen aus den Conferenzen nicht heraus und es ist wahrlich mit uns wie mit den ehemaligen Fürsten, zu denen sich von nah und fern Alles drängt. Dazu muß ich mir persönlich noch täglich von einer Menge Polen, die massen¬ weise hier durchziehen, Complimente schneiden und mich von Fürstinnen — küssen lassen. Aber es war leider nur die alte, die dies that, die junge hat mir blos eine Hand gegeben. Laß Dir also von Georg sagen, wie's mir geht. Meine Schwestern habe ich gestern nur eine Viertelstunde, heut nebst der Mutter"*) eine Stunde gesehen. Sie sind alle wohl und lassen Euch herzlichst grüßen. Sobald ich kann, erhälst Du auch wieder einen Brief Robert. von Deinem treuergebnen Gruß und Kuß Dir und den Kindern." ") Diese Befürchtung trat nicht ein, denn bekanntlich wurde Vlnm mit drittgrößter Stim¬ menzahl (435) in den Fünfzigerausschuß gewählt. Verhandlungen des deutschen Parlaments Seite 16l. ") Seine Mutter, Margaretha Schilder, vero. gewesene Blum, geb, Vrabcndcr, geht. den 8. October 1865 über 8V Jahre alt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/212>, abgerufen am 04.07.2024.