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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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er den Grundsatz Philipp's von Macedonien kennt, daß es keine Festung gibt,
in die nicht ein mit Gold beladener Maulesel hineingelangen könnte. So hat
Thiers von Emil Ollivier gesagt: "der Narr hat sich hingegeben, ehe er be.
zahlt worden ist." Guizot wußte einst, zu welchem Preise das Gewissen eines
jeden Deputaten zu haben war. Vater Thiers weiß das vielleicht auch, aber
es fehlt ihm am Gelde. Wir werden gut thun, noch oft dieser Thatsachen
zu gedenken, wenn uns das eine oder andere Ereigniß in Frankreich räthsel¬
haft erscheinen sollte.

O Jugurtha, o Fabricius!

Die Commission der Assemblee für Volksaufklärung in Frankreich hat
endlich ihren Bericht erstattet. Sie stimmt für die moralische obligatorische
Erziehung. Gegen die Moral wird nun aber freilich in Frankreich schon
jetzt soviel gesündigt, daß diesem Gesetze zu wünschen wäre, daß sich die Assemblee
zum Zwecke seiner Befestigung im französischen Volke nach einem festeren
Zwirn umgesehen hätte.

Herr Dürüy, der Professor war, ehe er Minister wurde, hatte eine päda¬
gogische Erfahrung, die Herrn Jules Simon vollkommen abgebet. Er meinte
es wohl besonders gut mit den Lehrern, deren Zustand er verbessern wollte,
allein damals stemmte sich der Senat dagegen. Hätte Guizot die Reform
von 1833 fortgesetzt, so hätte er Alles wünschenswerthe in der Richtung
realisirt. Statt dessen haben wir's nun mit einem halben Radicalen und
einem halben Clerikalen zu thun, einem schwachen Manne, dessen Wirksamkeit
mit seinen Worten in offenem Widerspruche steht.

Von der Privat-Initiative ist gar Nichts zu erwarten, denn alle Privat-
Anstalten gehen durch die Concurrenz der Klöster zu Grunde und mit wie
vielen Förmlichkeiten und Forderungen sind sie belastet!

Der Protestantismus hat die Religion in Deutschland gerettet und wird
vielleicht auch Italien retten, aber für Frankreich kommt er zu spät und keine
Regierung wird sich hier unterstehen, mit der Kirche sich zu entzweien. Die
Inspection der Schule ist den Congregationen überlassen und weltliche Er¬
ziehung ist ein Ausdruck ohne Sinn in Frankreich. Namentlich sind die
Lehrerinnen so schlecht gestellt, daß sie oft vorziehen Dienstmägde zu werden.
Sie erhalten einen halben Franc täglich, so daß sie den Tag ohne Brod
bleiben müssen, wenn sie einen Brief auf die Post legen.

Universitäten im deutschen Sinne wird wohl Frankreich nie bekommen.
Denn die Universität ist hier nur ein Despot, ein alter KM des Ministers,
welcher die alte Ordnung der Dinge aufrecht erhält und die klassische Bildung
vertheidigt, ohne einzusehen, daß die französischen Normalschulen, die eine Art
von Cadettenhaus sind, nur Romanfabrikanten ganz gewöhnlichen Schlages
erziehen. Herr Jules Simon hat versprochen die Franzosen mit der Geographie


er den Grundsatz Philipp's von Macedonien kennt, daß es keine Festung gibt,
in die nicht ein mit Gold beladener Maulesel hineingelangen könnte. So hat
Thiers von Emil Ollivier gesagt: „der Narr hat sich hingegeben, ehe er be.
zahlt worden ist." Guizot wußte einst, zu welchem Preise das Gewissen eines
jeden Deputaten zu haben war. Vater Thiers weiß das vielleicht auch, aber
es fehlt ihm am Gelde. Wir werden gut thun, noch oft dieser Thatsachen
zu gedenken, wenn uns das eine oder andere Ereigniß in Frankreich räthsel¬
haft erscheinen sollte.

O Jugurtha, o Fabricius!

Die Commission der Assemblee für Volksaufklärung in Frankreich hat
endlich ihren Bericht erstattet. Sie stimmt für die moralische obligatorische
Erziehung. Gegen die Moral wird nun aber freilich in Frankreich schon
jetzt soviel gesündigt, daß diesem Gesetze zu wünschen wäre, daß sich die Assemblee
zum Zwecke seiner Befestigung im französischen Volke nach einem festeren
Zwirn umgesehen hätte.

Herr Dürüy, der Professor war, ehe er Minister wurde, hatte eine päda¬
gogische Erfahrung, die Herrn Jules Simon vollkommen abgebet. Er meinte
es wohl besonders gut mit den Lehrern, deren Zustand er verbessern wollte,
allein damals stemmte sich der Senat dagegen. Hätte Guizot die Reform
von 1833 fortgesetzt, so hätte er Alles wünschenswerthe in der Richtung
realisirt. Statt dessen haben wir's nun mit einem halben Radicalen und
einem halben Clerikalen zu thun, einem schwachen Manne, dessen Wirksamkeit
mit seinen Worten in offenem Widerspruche steht.

Von der Privat-Initiative ist gar Nichts zu erwarten, denn alle Privat-
Anstalten gehen durch die Concurrenz der Klöster zu Grunde und mit wie
vielen Förmlichkeiten und Forderungen sind sie belastet!

Der Protestantismus hat die Religion in Deutschland gerettet und wird
vielleicht auch Italien retten, aber für Frankreich kommt er zu spät und keine
Regierung wird sich hier unterstehen, mit der Kirche sich zu entzweien. Die
Inspection der Schule ist den Congregationen überlassen und weltliche Er¬
ziehung ist ein Ausdruck ohne Sinn in Frankreich. Namentlich sind die
Lehrerinnen so schlecht gestellt, daß sie oft vorziehen Dienstmägde zu werden.
Sie erhalten einen halben Franc täglich, so daß sie den Tag ohne Brod
bleiben müssen, wenn sie einen Brief auf die Post legen.

Universitäten im deutschen Sinne wird wohl Frankreich nie bekommen.
Denn die Universität ist hier nur ein Despot, ein alter KM des Ministers,
welcher die alte Ordnung der Dinge aufrecht erhält und die klassische Bildung
vertheidigt, ohne einzusehen, daß die französischen Normalschulen, die eine Art
von Cadettenhaus sind, nur Romanfabrikanten ganz gewöhnlichen Schlages
erziehen. Herr Jules Simon hat versprochen die Franzosen mit der Geographie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/200>, abgerufen am 29.06.2024.