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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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bekannt zu machen, aber die geographische Gesellschaft von Paris steht ihm
schlecht zur Seite und verbreitet mehr irrige als wahre Ansichten.

Fremde Sprachen können in Lyceen weder in einer noch in zwei wöchent¬
lichen Stunden erlernt werden, und die Hälfte der Lyceen zu Realschulen zu
machen, fällt den Mitgliedern der Internationale gar nicht ein. Man weiß
in Frankreich nicht ein Mal, ob man die letzteren Mvlss reales, reölles oder
rsalistes nennen foll. Man verwechselt sie mit den Gewerbschulen und will sie
üeolös pi'oksssionölles betiteln. Die Lyoner (wie Herr Veron vom Progrös)
empfehlen das amerikanische Schulwesen als Muster und geben sehr viel auf
"Sachenlehre" die praktisch sein mag, aber sicher lächerlich zugleich ist. Der
Schüler muß namentlich über die vorgelegte Sache Alles mögliche erzählen,
was einen amerikanischen Maler nicht verhindert hat, einem griechischen Phi¬
losophen Dinte und Feder, und zwar eine Gänsefeder, aus den Tisch zu setzen.




Lin Wort über Schützenfeste.

Es sind nur über zehn Jahre vergangen seit dem "ersten deutschen Bundes¬
schießen zu Frankfurt am Main." Aber mehr als ein Jahrhundert an ewig¬
lebenden Thaten und Ereignissen trennt uns von jenen Festtagen, wo bei
der florumhüllten Fahne der Schmerzenskinder aus Schleswig-Holstein der
Frankfurter Spießbürger unwillkührlich die Faust im Sack ballte, und eine
Schützenjoppe für einen deutschen Herzog die nächste Anwartschaft auf den
deutschen Kaiserthron begründete. Viele sagen: damals waren die Schützen¬
feste erwünscht, verdienstvoll, ja nothwendig, als nationales Bindemittel nach
langer Alleinherrschaft des reactionären Particularismus. Wir haben diese
Verdienste schon damals bestritten und wiederholen heut die damaligen Be¬
denken. Die erste und oberste Aufgabe des deutschen Patrioten und Politikers
war damals wie heute, sich frei zu machen aus der überaus mächtigen und
verderblichen Herrschaft der Phrase; von nüchternen politischen Dingen und zu¬
mal von der immer nur mit deutscher Prosa zu lösenden deutschen Frage nicht
zu reden mit heißem Kopf und heißem Herzen, sondern kalt und klar, in der
Stimmung und mit der Sorgfalt ernster Pflichterfüllung.

Haben die Schützenfeste etwa diese Aufgabe erfüllt? Mit Nichten. Im
Gegentheil erregte gleich die erste Andeutung einer Präcisirung der deutschen
Frage aus dem Munde von A. Metz, d. h. die Andeutung eines Ausschlusses von


Grenzboten III. 1872. 25

bekannt zu machen, aber die geographische Gesellschaft von Paris steht ihm
schlecht zur Seite und verbreitet mehr irrige als wahre Ansichten.

Fremde Sprachen können in Lyceen weder in einer noch in zwei wöchent¬
lichen Stunden erlernt werden, und die Hälfte der Lyceen zu Realschulen zu
machen, fällt den Mitgliedern der Internationale gar nicht ein. Man weiß
in Frankreich nicht ein Mal, ob man die letzteren Mvlss reales, reölles oder
rsalistes nennen foll. Man verwechselt sie mit den Gewerbschulen und will sie
üeolös pi'oksssionölles betiteln. Die Lyoner (wie Herr Veron vom Progrös)
empfehlen das amerikanische Schulwesen als Muster und geben sehr viel auf
„Sachenlehre" die praktisch sein mag, aber sicher lächerlich zugleich ist. Der
Schüler muß namentlich über die vorgelegte Sache Alles mögliche erzählen,
was einen amerikanischen Maler nicht verhindert hat, einem griechischen Phi¬
losophen Dinte und Feder, und zwar eine Gänsefeder, aus den Tisch zu setzen.




Lin Wort über Schützenfeste.

Es sind nur über zehn Jahre vergangen seit dem „ersten deutschen Bundes¬
schießen zu Frankfurt am Main." Aber mehr als ein Jahrhundert an ewig¬
lebenden Thaten und Ereignissen trennt uns von jenen Festtagen, wo bei
der florumhüllten Fahne der Schmerzenskinder aus Schleswig-Holstein der
Frankfurter Spießbürger unwillkührlich die Faust im Sack ballte, und eine
Schützenjoppe für einen deutschen Herzog die nächste Anwartschaft auf den
deutschen Kaiserthron begründete. Viele sagen: damals waren die Schützen¬
feste erwünscht, verdienstvoll, ja nothwendig, als nationales Bindemittel nach
langer Alleinherrschaft des reactionären Particularismus. Wir haben diese
Verdienste schon damals bestritten und wiederholen heut die damaligen Be¬
denken. Die erste und oberste Aufgabe des deutschen Patrioten und Politikers
war damals wie heute, sich frei zu machen aus der überaus mächtigen und
verderblichen Herrschaft der Phrase; von nüchternen politischen Dingen und zu¬
mal von der immer nur mit deutscher Prosa zu lösenden deutschen Frage nicht
zu reden mit heißem Kopf und heißem Herzen, sondern kalt und klar, in der
Stimmung und mit der Sorgfalt ernster Pflichterfüllung.

Haben die Schützenfeste etwa diese Aufgabe erfüllt? Mit Nichten. Im
Gegentheil erregte gleich die erste Andeutung einer Präcisirung der deutschen
Frage aus dem Munde von A. Metz, d. h. die Andeutung eines Ausschlusses von


Grenzboten III. 1872. 25
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[0201] bekannt zu machen, aber die geographische Gesellschaft von Paris steht ihm schlecht zur Seite und verbreitet mehr irrige als wahre Ansichten. Fremde Sprachen können in Lyceen weder in einer noch in zwei wöchent¬ lichen Stunden erlernt werden, und die Hälfte der Lyceen zu Realschulen zu machen, fällt den Mitgliedern der Internationale gar nicht ein. Man weiß in Frankreich nicht ein Mal, ob man die letzteren Mvlss reales, reölles oder rsalistes nennen foll. Man verwechselt sie mit den Gewerbschulen und will sie üeolös pi'oksssionölles betiteln. Die Lyoner (wie Herr Veron vom Progrös) empfehlen das amerikanische Schulwesen als Muster und geben sehr viel auf „Sachenlehre" die praktisch sein mag, aber sicher lächerlich zugleich ist. Der Schüler muß namentlich über die vorgelegte Sache Alles mögliche erzählen, was einen amerikanischen Maler nicht verhindert hat, einem griechischen Phi¬ losophen Dinte und Feder, und zwar eine Gänsefeder, aus den Tisch zu setzen. Lin Wort über Schützenfeste. Es sind nur über zehn Jahre vergangen seit dem „ersten deutschen Bundes¬ schießen zu Frankfurt am Main." Aber mehr als ein Jahrhundert an ewig¬ lebenden Thaten und Ereignissen trennt uns von jenen Festtagen, wo bei der florumhüllten Fahne der Schmerzenskinder aus Schleswig-Holstein der Frankfurter Spießbürger unwillkührlich die Faust im Sack ballte, und eine Schützenjoppe für einen deutschen Herzog die nächste Anwartschaft auf den deutschen Kaiserthron begründete. Viele sagen: damals waren die Schützen¬ feste erwünscht, verdienstvoll, ja nothwendig, als nationales Bindemittel nach langer Alleinherrschaft des reactionären Particularismus. Wir haben diese Verdienste schon damals bestritten und wiederholen heut die damaligen Be¬ denken. Die erste und oberste Aufgabe des deutschen Patrioten und Politikers war damals wie heute, sich frei zu machen aus der überaus mächtigen und verderblichen Herrschaft der Phrase; von nüchternen politischen Dingen und zu¬ mal von der immer nur mit deutscher Prosa zu lösenden deutschen Frage nicht zu reden mit heißem Kopf und heißem Herzen, sondern kalt und klar, in der Stimmung und mit der Sorgfalt ernster Pflichterfüllung. Haben die Schützenfeste etwa diese Aufgabe erfüllt? Mit Nichten. Im Gegentheil erregte gleich die erste Andeutung einer Präcisirung der deutschen Frage aus dem Munde von A. Metz, d. h. die Andeutung eines Ausschlusses von Grenzboten III. 1872. 25

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/201>, abgerufen am 22.12.2024.