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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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pariser Iriefe.

Die unterirdischen Mächte regieren die Welt, möchte man hier glauben,
und was auf der Oberfläche vorgeht ist nur für die einfältigen, naiven, leicht¬
gläubigen Leute geschaffen. Als ich in Boston war, hielt ich Daniel Webster
nach Washington für die erste Berühmtheit Amerika's und in meiner Ver¬
ehrung für ihn lernte ich seine berühmte Rede auswendig: "Mag die Sonne
einmal über die zerbrochenen und entehrten Reste eines einst glorreichen Bundes
scheinen"! Wie groß aber war mein Erstaunen, als mir bewiesen wurde,
daß der große Mann von den Pflanzern der Südstaaten 35,000 Dollars
bekommen habe, um die Sklaverei zu retten! Dann war auch einmal Cha¬
teaubriand mein Mann. Ich lernte auch seine Rede auswendig, wo er in
der Pairkammer sagte: "Ich unnütze Cassandra habe lange genug die Pairie
mit meinen fruchtlosen Warnungen belästigt." Und dazu Beranger's Lied:


Sie trugen Dich, die Varrikadensieger,
Wie die in eigner Faust zerfetzte Fahne.

Und nun habe ich erfahren, daß dieser große Mann eines Tages mit Bertin
zum Grafen Martignac, dem Minister des Innern veschieden wurde, der
ihnen sagte: "Wir wollen es also wieder zu den früheren Bedingungen auf¬
nehmen, diese Bedingungen waren 100,000 Franken jährlich für Chateau¬
briand und 60,000 für den Besitzer des Journal des Devats, aber der erste
erwiederte: -- "Ich habe fünf Jahre geruht und verlange für dieselben bezahlt
zu werden, was Bertin ermuthigte, auch 300,000 für sich zu verlangen. Der
Graf erwiederte, daß eine solche Summe weit über sein Budget reiche, er
wolle aber den König darum befragen. Der gute Karl X. willigte ein, und
gab die 800,000 Francs aus seiner eigenen Kasse her, dennoch erschien ein
Oppositions-Artikel in dem Journal des Devats, aus der Feder Chateau¬
briand's, und als Martignac ihn darüber zur Rede setzte, antwortete er-
"Ich verkaufe mich nicht." -- "Ich verstehe", sagte der Minister, "Sie thun
das Gute gern im Verborgenen und wünschen nicht, daß es bekannt werde."

Louis Philipp machte es nicht besser wie Karl X. und Guizot zahlte
u. A. an Heinrich Heine eine hübsche Summe, welche diesen in den Stand
setzte in der "Augsburger Allgemeinen Zeitung" für Frankreich zu schreiben,
und unter die Deutschensresser zu gehen, wofür denn auch bis heute sein Name
sich hier einer unaussprechlichen Beliebtheit erfreut.

Thiers kennt kein besseres Regierungswerkzeug als das "gemeine Metall"
und wenn er Paris eingenommen hat -- was die Deutschen bekanntlich nach
französischer Geschichtsschreibung nicht gethan haben -- so geschah es, weil


pariser Iriefe.

Die unterirdischen Mächte regieren die Welt, möchte man hier glauben,
und was auf der Oberfläche vorgeht ist nur für die einfältigen, naiven, leicht¬
gläubigen Leute geschaffen. Als ich in Boston war, hielt ich Daniel Webster
nach Washington für die erste Berühmtheit Amerika's und in meiner Ver¬
ehrung für ihn lernte ich seine berühmte Rede auswendig: „Mag die Sonne
einmal über die zerbrochenen und entehrten Reste eines einst glorreichen Bundes
scheinen"! Wie groß aber war mein Erstaunen, als mir bewiesen wurde,
daß der große Mann von den Pflanzern der Südstaaten 35,000 Dollars
bekommen habe, um die Sklaverei zu retten! Dann war auch einmal Cha¬
teaubriand mein Mann. Ich lernte auch seine Rede auswendig, wo er in
der Pairkammer sagte: „Ich unnütze Cassandra habe lange genug die Pairie
mit meinen fruchtlosen Warnungen belästigt." Und dazu Beranger's Lied:


Sie trugen Dich, die Varrikadensieger,
Wie die in eigner Faust zerfetzte Fahne.

Und nun habe ich erfahren, daß dieser große Mann eines Tages mit Bertin
zum Grafen Martignac, dem Minister des Innern veschieden wurde, der
ihnen sagte: „Wir wollen es also wieder zu den früheren Bedingungen auf¬
nehmen, diese Bedingungen waren 100,000 Franken jährlich für Chateau¬
briand und 60,000 für den Besitzer des Journal des Devats, aber der erste
erwiederte: — „Ich habe fünf Jahre geruht und verlange für dieselben bezahlt
zu werden, was Bertin ermuthigte, auch 300,000 für sich zu verlangen. Der
Graf erwiederte, daß eine solche Summe weit über sein Budget reiche, er
wolle aber den König darum befragen. Der gute Karl X. willigte ein, und
gab die 800,000 Francs aus seiner eigenen Kasse her, dennoch erschien ein
Oppositions-Artikel in dem Journal des Devats, aus der Feder Chateau¬
briand's, und als Martignac ihn darüber zur Rede setzte, antwortete er-
„Ich verkaufe mich nicht." — „Ich verstehe", sagte der Minister, „Sie thun
das Gute gern im Verborgenen und wünschen nicht, daß es bekannt werde."

Louis Philipp machte es nicht besser wie Karl X. und Guizot zahlte
u. A. an Heinrich Heine eine hübsche Summe, welche diesen in den Stand
setzte in der „Augsburger Allgemeinen Zeitung" für Frankreich zu schreiben,
und unter die Deutschensresser zu gehen, wofür denn auch bis heute sein Name
sich hier einer unaussprechlichen Beliebtheit erfreut.

Thiers kennt kein besseres Regierungswerkzeug als das „gemeine Metall"
und wenn er Paris eingenommen hat — was die Deutschen bekanntlich nach
französischer Geschichtsschreibung nicht gethan haben — so geschah es, weil


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[0199] pariser Iriefe. Die unterirdischen Mächte regieren die Welt, möchte man hier glauben, und was auf der Oberfläche vorgeht ist nur für die einfältigen, naiven, leicht¬ gläubigen Leute geschaffen. Als ich in Boston war, hielt ich Daniel Webster nach Washington für die erste Berühmtheit Amerika's und in meiner Ver¬ ehrung für ihn lernte ich seine berühmte Rede auswendig: „Mag die Sonne einmal über die zerbrochenen und entehrten Reste eines einst glorreichen Bundes scheinen"! Wie groß aber war mein Erstaunen, als mir bewiesen wurde, daß der große Mann von den Pflanzern der Südstaaten 35,000 Dollars bekommen habe, um die Sklaverei zu retten! Dann war auch einmal Cha¬ teaubriand mein Mann. Ich lernte auch seine Rede auswendig, wo er in der Pairkammer sagte: „Ich unnütze Cassandra habe lange genug die Pairie mit meinen fruchtlosen Warnungen belästigt." Und dazu Beranger's Lied: Sie trugen Dich, die Varrikadensieger, Wie die in eigner Faust zerfetzte Fahne. Und nun habe ich erfahren, daß dieser große Mann eines Tages mit Bertin zum Grafen Martignac, dem Minister des Innern veschieden wurde, der ihnen sagte: „Wir wollen es also wieder zu den früheren Bedingungen auf¬ nehmen, diese Bedingungen waren 100,000 Franken jährlich für Chateau¬ briand und 60,000 für den Besitzer des Journal des Devats, aber der erste erwiederte: — „Ich habe fünf Jahre geruht und verlange für dieselben bezahlt zu werden, was Bertin ermuthigte, auch 300,000 für sich zu verlangen. Der Graf erwiederte, daß eine solche Summe weit über sein Budget reiche, er wolle aber den König darum befragen. Der gute Karl X. willigte ein, und gab die 800,000 Francs aus seiner eigenen Kasse her, dennoch erschien ein Oppositions-Artikel in dem Journal des Devats, aus der Feder Chateau¬ briand's, und als Martignac ihn darüber zur Rede setzte, antwortete er- „Ich verkaufe mich nicht." — „Ich verstehe", sagte der Minister, „Sie thun das Gute gern im Verborgenen und wünschen nicht, daß es bekannt werde." Louis Philipp machte es nicht besser wie Karl X. und Guizot zahlte u. A. an Heinrich Heine eine hübsche Summe, welche diesen in den Stand setzte in der „Augsburger Allgemeinen Zeitung" für Frankreich zu schreiben, und unter die Deutschensresser zu gehen, wofür denn auch bis heute sein Name sich hier einer unaussprechlichen Beliebtheit erfreut. Thiers kennt kein besseres Regierungswerkzeug als das „gemeine Metall" und wenn er Paris eingenommen hat — was die Deutschen bekanntlich nach französischer Geschichtsschreibung nicht gethan haben — so geschah es, weil

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/199>, abgerufen am 22.12.2024.