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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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ansehnlichen Urverwandtschaft willfahrt und dieser Perregaux "aus sonder
Gnad das Leben geschenkt," jedoch mit dem Gebirg, daß angezogene
Verwandtschaft alle seit ihrer Behändigung erlaufene Kosten über sich nehme
und ersetze, sie die Perregaux auch hinfür verköstige und an solche sichere Orte
schaffe, daß weder durch sie, noch von ihretwegen weder dem Stand noch
irgend Jemand einiger Schaden oder Nachtheil zugefügt werden könne, darum
sie M, G. H. H. genugsam Bürgschaft und Sicherheit stellen sollen. Die 30
doppelten Dublonen dann betreffend, welche des Ambassadoren Secretarius
ihr jüngst hinzugestellt, um gewüße Personen damit zu bestechen, zu Handen
M. G. H, H. und Obern eonfiscirend.

Aetna den 18. Februar 1690.

Schon das Thurmbuch gibt indessen zu, daß obiges Urtheil auf Drängen
der Familie Wattenwyl von einem Todesurtheil absah, ja daß später unterm
24. März ihr auch die Bürgschaft für die Begnadigte erlassen und sie selbst
auf "der Pergantin Effecten und die noch nicht assignirten 30 Dublonen an¬
gewiesen wurde."

Aber noch klarer läßt uns die Perregaux selber in diese geheimen, ver¬
borgenen Verhandlungen hineinsehen. Sie erzählt:

"Die Richter fürchteten, wenn ich am Leben bliebe, könnte ich der ganzen
Welt ihre Grausamkeit und Ungerechtigkeit verkünden. Es blieb ihnen daher
kein ander Mittel die Erinnerung daran zu ersticken, als mein Tod. Ihr
Urtheil ging daher dahin, ich sollte mit dem Schwert vom Leben zum Tode
gebracht und mein Vermögen confiscire werden. Der Rath der Zweihundert
billigte diesen Entschluß ohne alle Opposition, weil meine sämmtlichen Ver¬
wandten abtreten mußten und so das Urtheil in den Händen von Leuten
niedrer Abkunft ohne alle Kenntniß- von Gesetz und Brauch lag. Das Ur¬
theil wurde mir sofort eröffnet. Die Geistlichen der Stadt erfüllten die traurige
Pflicht mich Tag und Nacht aus den Tag der Hinrichtung, der auf den
Samstag festgestellt war. vorzubereiten."

Bei diesem Anlaß war es, daß sie dem Helfer Bachmann, spätern Decan,
erklärte, sie sterbe im Vertrauen auf Gott; denn das Urtheil sei ungerecht,
da sie weder gegen den Staat noch gegen einzelne Personen conspirirt habe.
Sie werde daher sterben heldenmüthig wie die Blutzeugen der Vergangenheit;
die Richter aber hätten ohne Zweifel Rechenschaft zu geben von dem unge¬
rechten Blut, das sie vergossen!

Der Schreckenstag war endlich da: der Henker bereit, mit dem Schwerte
ihr das Haupt abzuschlagen. In der Nähe stand der schwarz ausgeschlagene
Wagen ihres Bruders um ihre Leiche aufzunehmen. Sie selbst erschien um¬
geben von Wachen und Dienern der Gerechtigkeit. Der Proceß und das


Grenzboten Hi. 1872. l 24

ansehnlichen Urverwandtschaft willfahrt und dieser Perregaux „aus sonder
Gnad das Leben geschenkt," jedoch mit dem Gebirg, daß angezogene
Verwandtschaft alle seit ihrer Behändigung erlaufene Kosten über sich nehme
und ersetze, sie die Perregaux auch hinfür verköstige und an solche sichere Orte
schaffe, daß weder durch sie, noch von ihretwegen weder dem Stand noch
irgend Jemand einiger Schaden oder Nachtheil zugefügt werden könne, darum
sie M, G. H. H. genugsam Bürgschaft und Sicherheit stellen sollen. Die 30
doppelten Dublonen dann betreffend, welche des Ambassadoren Secretarius
ihr jüngst hinzugestellt, um gewüße Personen damit zu bestechen, zu Handen
M. G. H, H. und Obern eonfiscirend.

Aetna den 18. Februar 1690.

Schon das Thurmbuch gibt indessen zu, daß obiges Urtheil auf Drängen
der Familie Wattenwyl von einem Todesurtheil absah, ja daß später unterm
24. März ihr auch die Bürgschaft für die Begnadigte erlassen und sie selbst
auf „der Pergantin Effecten und die noch nicht assignirten 30 Dublonen an¬
gewiesen wurde."

Aber noch klarer läßt uns die Perregaux selber in diese geheimen, ver¬
borgenen Verhandlungen hineinsehen. Sie erzählt:

„Die Richter fürchteten, wenn ich am Leben bliebe, könnte ich der ganzen
Welt ihre Grausamkeit und Ungerechtigkeit verkünden. Es blieb ihnen daher
kein ander Mittel die Erinnerung daran zu ersticken, als mein Tod. Ihr
Urtheil ging daher dahin, ich sollte mit dem Schwert vom Leben zum Tode
gebracht und mein Vermögen confiscire werden. Der Rath der Zweihundert
billigte diesen Entschluß ohne alle Opposition, weil meine sämmtlichen Ver¬
wandten abtreten mußten und so das Urtheil in den Händen von Leuten
niedrer Abkunft ohne alle Kenntniß- von Gesetz und Brauch lag. Das Ur¬
theil wurde mir sofort eröffnet. Die Geistlichen der Stadt erfüllten die traurige
Pflicht mich Tag und Nacht aus den Tag der Hinrichtung, der auf den
Samstag festgestellt war. vorzubereiten."

Bei diesem Anlaß war es, daß sie dem Helfer Bachmann, spätern Decan,
erklärte, sie sterbe im Vertrauen auf Gott; denn das Urtheil sei ungerecht,
da sie weder gegen den Staat noch gegen einzelne Personen conspirirt habe.
Sie werde daher sterben heldenmüthig wie die Blutzeugen der Vergangenheit;
die Richter aber hätten ohne Zweifel Rechenschaft zu geben von dem unge¬
rechten Blut, das sie vergossen!

Der Schreckenstag war endlich da: der Henker bereit, mit dem Schwerte
ihr das Haupt abzuschlagen. In der Nähe stand der schwarz ausgeschlagene
Wagen ihres Bruders um ihre Leiche aufzunehmen. Sie selbst erschien um¬
geben von Wachen und Dienern der Gerechtigkeit. Der Proceß und das


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[0193] ansehnlichen Urverwandtschaft willfahrt und dieser Perregaux „aus sonder Gnad das Leben geschenkt," jedoch mit dem Gebirg, daß angezogene Verwandtschaft alle seit ihrer Behändigung erlaufene Kosten über sich nehme und ersetze, sie die Perregaux auch hinfür verköstige und an solche sichere Orte schaffe, daß weder durch sie, noch von ihretwegen weder dem Stand noch irgend Jemand einiger Schaden oder Nachtheil zugefügt werden könne, darum sie M, G. H. H. genugsam Bürgschaft und Sicherheit stellen sollen. Die 30 doppelten Dublonen dann betreffend, welche des Ambassadoren Secretarius ihr jüngst hinzugestellt, um gewüße Personen damit zu bestechen, zu Handen M. G. H, H. und Obern eonfiscirend. Aetna den 18. Februar 1690. Schon das Thurmbuch gibt indessen zu, daß obiges Urtheil auf Drängen der Familie Wattenwyl von einem Todesurtheil absah, ja daß später unterm 24. März ihr auch die Bürgschaft für die Begnadigte erlassen und sie selbst auf „der Pergantin Effecten und die noch nicht assignirten 30 Dublonen an¬ gewiesen wurde." Aber noch klarer läßt uns die Perregaux selber in diese geheimen, ver¬ borgenen Verhandlungen hineinsehen. Sie erzählt: „Die Richter fürchteten, wenn ich am Leben bliebe, könnte ich der ganzen Welt ihre Grausamkeit und Ungerechtigkeit verkünden. Es blieb ihnen daher kein ander Mittel die Erinnerung daran zu ersticken, als mein Tod. Ihr Urtheil ging daher dahin, ich sollte mit dem Schwert vom Leben zum Tode gebracht und mein Vermögen confiscire werden. Der Rath der Zweihundert billigte diesen Entschluß ohne alle Opposition, weil meine sämmtlichen Ver¬ wandten abtreten mußten und so das Urtheil in den Händen von Leuten niedrer Abkunft ohne alle Kenntniß- von Gesetz und Brauch lag. Das Ur¬ theil wurde mir sofort eröffnet. Die Geistlichen der Stadt erfüllten die traurige Pflicht mich Tag und Nacht aus den Tag der Hinrichtung, der auf den Samstag festgestellt war. vorzubereiten." Bei diesem Anlaß war es, daß sie dem Helfer Bachmann, spätern Decan, erklärte, sie sterbe im Vertrauen auf Gott; denn das Urtheil sei ungerecht, da sie weder gegen den Staat noch gegen einzelne Personen conspirirt habe. Sie werde daher sterben heldenmüthig wie die Blutzeugen der Vergangenheit; die Richter aber hätten ohne Zweifel Rechenschaft zu geben von dem unge¬ rechten Blut, das sie vergossen! Der Schreckenstag war endlich da: der Henker bereit, mit dem Schwerte ihr das Haupt abzuschlagen. In der Nähe stand der schwarz ausgeschlagene Wagen ihres Bruders um ihre Leiche aufzunehmen. Sie selbst erschien um¬ geben von Wachen und Dienern der Gerechtigkeit. Der Proceß und das Grenzboten Hi. 1872. l 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/193>, abgerufen am 23.07.2024.