Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Prangerstellen durch Strafmandate in öffentlichen Blättern wirkte ebenso ver¬
derblich, als es lächerlich wäre, wenn man es damals verstanden oder gewagt
hätte, die stilistisch komischen Publicationen Weimarischer Behörden vom lite¬
rarischen Standpunkte aus einer Kritik zu unterstellen. Da meldet beispiels¬
weise eine Behörde, daß der Zuchthauswächter H, wegen Ausbreitung lügen¬
hafter Gerüchte "zum Schrecken schwächlicher Gemüther" mit Stock¬
schlägen abgefunden sei. Aehnliche Publicationen kamen in Folge des Kar¬
tenschlagens; beide Theile setzte man 14 Tage bei Wasser und Brod hin. Der
politischen Prozesse, des "übermäßigen Raisonnirens" und des freien Laufes
eines Hündchens nicht zu gedenken, das sich nicht erkühnen durfte, ohne seinen
Herrn nach 9 Uhr Morgens eine kleine Promenade anzutreten.

So sorgte man überall für die Wohlanständigkeit der Residenz, die nur
eines Elementes, des Jenaischen Studenten nicht sicher Herr wurde. Versetzen
wir uns in die eigne Vergangenheit, so klopft wohl hie und da manches
Herz über die in der Residenz von Jena aus begangenen übermüthigen Aus¬
lassungen. Damals kam aber der Student meist zu Pferde, wenn die armen
Thiere diesen Namen verdienen. Thurmförmige Mützen mit Schnüren, Troddeln
und Quasten von allerlei Farben, kurze Jacken mit bunten Aufschlägen zierten
im Beginn des Jahrhunderts den Musensohn, von dessen brüllenden Gesang
der erste Fremdenführer Weimars gar wenig entzückt ist. Und doch betont
er, daß ihr Ausbleiben empfindlich, namentlich das Theater darunter leiden,
und die Gastwirthe Schaden haben würden. Desto größere Noth hatte Goethe
im Theater. Bereits 1797 war er -- wie ein noch ungedrucktes Promemoria
zeigt, doch soweit in der Praris, daß er alte und junge Studenten nach ihren
Leistungen wohl zu unterscheiden wußte. Diesmal -- schrieb er bei einem
Exceß -- scheinen nur neue Studirende ihr Probestückchen abgelegt zu
haben. Seit 1797 datirt daher die doppelte Aufstellung einer Sicherheitswache
im Parterre, aus dem die beiden Husaren ihre Opfer bequem nach beiden
Seiten hinausschleppen konnten, da das Theater in wohlberechneter Weise auch
rechts einen Ausgang erhalten hatte. --

Gehen wir zu den Verkehr San se alten der Stadt über, so ^findet man
noch das mehrfach reorganisirte Portchaiseninstitut thätig, welches bei
fast gänzlich mangelnden Privatequipagen den Verkehr vermittelte. Stark
war dieser unmöglich, da erst 1807 eine dritte Portchaise mit 2 Laternen an¬
geschafft wurde. Diese verteuerten den Gebrauch um 6 Pfennige, aber man
konnte diese auch sparen, wenn man die Erpedition im Dunkeln beliebte. Ueber¬
haupt kam "der 3te Waggon" nur bei Hoffestlichkeiten und sonstigen städtischen
oder privaten Feierlichkeiten in Gebrauch, weil mehr und mehr das Tragen
der Ueberschuhe Mode wurde, die man in Weimar selbst mit hohen Absätzen
erfunden hatte. Andererseits hatte man bei der Benutzung des Instituts


Prangerstellen durch Strafmandate in öffentlichen Blättern wirkte ebenso ver¬
derblich, als es lächerlich wäre, wenn man es damals verstanden oder gewagt
hätte, die stilistisch komischen Publicationen Weimarischer Behörden vom lite¬
rarischen Standpunkte aus einer Kritik zu unterstellen. Da meldet beispiels¬
weise eine Behörde, daß der Zuchthauswächter H, wegen Ausbreitung lügen¬
hafter Gerüchte „zum Schrecken schwächlicher Gemüther" mit Stock¬
schlägen abgefunden sei. Aehnliche Publicationen kamen in Folge des Kar¬
tenschlagens; beide Theile setzte man 14 Tage bei Wasser und Brod hin. Der
politischen Prozesse, des „übermäßigen Raisonnirens" und des freien Laufes
eines Hündchens nicht zu gedenken, das sich nicht erkühnen durfte, ohne seinen
Herrn nach 9 Uhr Morgens eine kleine Promenade anzutreten.

So sorgte man überall für die Wohlanständigkeit der Residenz, die nur
eines Elementes, des Jenaischen Studenten nicht sicher Herr wurde. Versetzen
wir uns in die eigne Vergangenheit, so klopft wohl hie und da manches
Herz über die in der Residenz von Jena aus begangenen übermüthigen Aus¬
lassungen. Damals kam aber der Student meist zu Pferde, wenn die armen
Thiere diesen Namen verdienen. Thurmförmige Mützen mit Schnüren, Troddeln
und Quasten von allerlei Farben, kurze Jacken mit bunten Aufschlägen zierten
im Beginn des Jahrhunderts den Musensohn, von dessen brüllenden Gesang
der erste Fremdenführer Weimars gar wenig entzückt ist. Und doch betont
er, daß ihr Ausbleiben empfindlich, namentlich das Theater darunter leiden,
und die Gastwirthe Schaden haben würden. Desto größere Noth hatte Goethe
im Theater. Bereits 1797 war er — wie ein noch ungedrucktes Promemoria
zeigt, doch soweit in der Praris, daß er alte und junge Studenten nach ihren
Leistungen wohl zu unterscheiden wußte. Diesmal — schrieb er bei einem
Exceß — scheinen nur neue Studirende ihr Probestückchen abgelegt zu
haben. Seit 1797 datirt daher die doppelte Aufstellung einer Sicherheitswache
im Parterre, aus dem die beiden Husaren ihre Opfer bequem nach beiden
Seiten hinausschleppen konnten, da das Theater in wohlberechneter Weise auch
rechts einen Ausgang erhalten hatte. —

Gehen wir zu den Verkehr San se alten der Stadt über, so ^findet man
noch das mehrfach reorganisirte Portchaiseninstitut thätig, welches bei
fast gänzlich mangelnden Privatequipagen den Verkehr vermittelte. Stark
war dieser unmöglich, da erst 1807 eine dritte Portchaise mit 2 Laternen an¬
geschafft wurde. Diese verteuerten den Gebrauch um 6 Pfennige, aber man
konnte diese auch sparen, wenn man die Erpedition im Dunkeln beliebte. Ueber¬
haupt kam „der 3te Waggon" nur bei Hoffestlichkeiten und sonstigen städtischen
oder privaten Feierlichkeiten in Gebrauch, weil mehr und mehr das Tragen
der Ueberschuhe Mode wurde, die man in Weimar selbst mit hohen Absätzen
erfunden hatte. Andererseits hatte man bei der Benutzung des Instituts


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0019" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/127947"/>
          <p xml:id="ID_31" prev="#ID_30"> Prangerstellen durch Strafmandate in öffentlichen Blättern wirkte ebenso ver¬<lb/>
derblich, als es lächerlich wäre, wenn man es damals verstanden oder gewagt<lb/>
hätte, die stilistisch komischen Publicationen Weimarischer Behörden vom lite¬<lb/>
rarischen Standpunkte aus einer Kritik zu unterstellen. Da meldet beispiels¬<lb/>
weise eine Behörde, daß der Zuchthauswächter H, wegen Ausbreitung lügen¬<lb/>
hafter Gerüchte &#x201E;zum Schrecken schwächlicher Gemüther" mit Stock¬<lb/>
schlägen abgefunden sei. Aehnliche Publicationen kamen in Folge des Kar¬<lb/>
tenschlagens; beide Theile setzte man 14 Tage bei Wasser und Brod hin. Der<lb/>
politischen Prozesse, des &#x201E;übermäßigen Raisonnirens" und des freien Laufes<lb/>
eines Hündchens nicht zu gedenken, das sich nicht erkühnen durfte, ohne seinen<lb/>
Herrn nach 9 Uhr Morgens eine kleine Promenade anzutreten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_32"> So sorgte man überall für die Wohlanständigkeit der Residenz, die nur<lb/>
eines Elementes, des Jenaischen Studenten nicht sicher Herr wurde. Versetzen<lb/>
wir uns in die eigne Vergangenheit, so klopft wohl hie und da manches<lb/>
Herz über die in der Residenz von Jena aus begangenen übermüthigen Aus¬<lb/>
lassungen. Damals kam aber der Student meist zu Pferde, wenn die armen<lb/>
Thiere diesen Namen verdienen. Thurmförmige Mützen mit Schnüren, Troddeln<lb/>
und Quasten von allerlei Farben, kurze Jacken mit bunten Aufschlägen zierten<lb/>
im Beginn des Jahrhunderts den Musensohn, von dessen brüllenden Gesang<lb/>
der erste Fremdenführer Weimars gar wenig entzückt ist. Und doch betont<lb/>
er, daß ihr Ausbleiben empfindlich, namentlich das Theater darunter leiden,<lb/>
und die Gastwirthe Schaden haben würden. Desto größere Noth hatte Goethe<lb/>
im Theater. Bereits 1797 war er &#x2014; wie ein noch ungedrucktes Promemoria<lb/>
zeigt, doch soweit in der Praris, daß er alte und junge Studenten nach ihren<lb/>
Leistungen wohl zu unterscheiden wußte. Diesmal &#x2014; schrieb er bei einem<lb/>
Exceß &#x2014; scheinen nur neue Studirende ihr Probestückchen abgelegt zu<lb/>
haben. Seit 1797 datirt daher die doppelte Aufstellung einer Sicherheitswache<lb/>
im Parterre, aus dem die beiden Husaren ihre Opfer bequem nach beiden<lb/>
Seiten hinausschleppen konnten, da das Theater in wohlberechneter Weise auch<lb/>
rechts einen Ausgang erhalten hatte. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_33" next="#ID_34"> Gehen wir zu den Verkehr San se alten der Stadt über, so ^findet man<lb/>
noch das mehrfach reorganisirte Portchaiseninstitut thätig, welches bei<lb/>
fast gänzlich mangelnden Privatequipagen den Verkehr vermittelte. Stark<lb/>
war dieser unmöglich, da erst 1807 eine dritte Portchaise mit 2 Laternen an¬<lb/>
geschafft wurde. Diese verteuerten den Gebrauch um 6 Pfennige, aber man<lb/>
konnte diese auch sparen, wenn man die Erpedition im Dunkeln beliebte. Ueber¬<lb/>
haupt kam &#x201E;der 3te Waggon" nur bei Hoffestlichkeiten und sonstigen städtischen<lb/>
oder privaten Feierlichkeiten in Gebrauch, weil mehr und mehr das Tragen<lb/>
der Ueberschuhe Mode wurde, die man in Weimar selbst mit hohen Absätzen<lb/>
erfunden hatte.  Andererseits hatte man bei der Benutzung des Instituts</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0019] Prangerstellen durch Strafmandate in öffentlichen Blättern wirkte ebenso ver¬ derblich, als es lächerlich wäre, wenn man es damals verstanden oder gewagt hätte, die stilistisch komischen Publicationen Weimarischer Behörden vom lite¬ rarischen Standpunkte aus einer Kritik zu unterstellen. Da meldet beispiels¬ weise eine Behörde, daß der Zuchthauswächter H, wegen Ausbreitung lügen¬ hafter Gerüchte „zum Schrecken schwächlicher Gemüther" mit Stock¬ schlägen abgefunden sei. Aehnliche Publicationen kamen in Folge des Kar¬ tenschlagens; beide Theile setzte man 14 Tage bei Wasser und Brod hin. Der politischen Prozesse, des „übermäßigen Raisonnirens" und des freien Laufes eines Hündchens nicht zu gedenken, das sich nicht erkühnen durfte, ohne seinen Herrn nach 9 Uhr Morgens eine kleine Promenade anzutreten. So sorgte man überall für die Wohlanständigkeit der Residenz, die nur eines Elementes, des Jenaischen Studenten nicht sicher Herr wurde. Versetzen wir uns in die eigne Vergangenheit, so klopft wohl hie und da manches Herz über die in der Residenz von Jena aus begangenen übermüthigen Aus¬ lassungen. Damals kam aber der Student meist zu Pferde, wenn die armen Thiere diesen Namen verdienen. Thurmförmige Mützen mit Schnüren, Troddeln und Quasten von allerlei Farben, kurze Jacken mit bunten Aufschlägen zierten im Beginn des Jahrhunderts den Musensohn, von dessen brüllenden Gesang der erste Fremdenführer Weimars gar wenig entzückt ist. Und doch betont er, daß ihr Ausbleiben empfindlich, namentlich das Theater darunter leiden, und die Gastwirthe Schaden haben würden. Desto größere Noth hatte Goethe im Theater. Bereits 1797 war er — wie ein noch ungedrucktes Promemoria zeigt, doch soweit in der Praris, daß er alte und junge Studenten nach ihren Leistungen wohl zu unterscheiden wußte. Diesmal — schrieb er bei einem Exceß — scheinen nur neue Studirende ihr Probestückchen abgelegt zu haben. Seit 1797 datirt daher die doppelte Aufstellung einer Sicherheitswache im Parterre, aus dem die beiden Husaren ihre Opfer bequem nach beiden Seiten hinausschleppen konnten, da das Theater in wohlberechneter Weise auch rechts einen Ausgang erhalten hatte. — Gehen wir zu den Verkehr San se alten der Stadt über, so ^findet man noch das mehrfach reorganisirte Portchaiseninstitut thätig, welches bei fast gänzlich mangelnden Privatequipagen den Verkehr vermittelte. Stark war dieser unmöglich, da erst 1807 eine dritte Portchaise mit 2 Laternen an¬ geschafft wurde. Diese verteuerten den Gebrauch um 6 Pfennige, aber man konnte diese auch sparen, wenn man die Erpedition im Dunkeln beliebte. Ueber¬ haupt kam „der 3te Waggon" nur bei Hoffestlichkeiten und sonstigen städtischen oder privaten Feierlichkeiten in Gebrauch, weil mehr und mehr das Tragen der Ueberschuhe Mode wurde, die man in Weimar selbst mit hohen Absätzen erfunden hatte. Andererseits hatte man bei der Benutzung des Instituts

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/19
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/19>, abgerufen am 25.08.2024.