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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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der Demagogenriecherei war nothwendig. -- Daß man erst 1800 einen Wegweiser
für Weimar und zwar Seitens eines Ausländers schrieb*), dem der zweite
anonym aber von Frau Goullon verfaßte^) 25 Jahre später folgte, ist gewiß
bemerkenswerth; noch mehr, daß Abreisende in dem öffentlichen Wochenblatte
wiederholt ihres untertänigst schuldigen Dankes für die gnädigst ertheilte Er¬
laubniß des bisherigen Aufenthaltes sich entledigten. War indessen Goethe selbst
wegen unterlassener Fremdenmeldung bestraft worden, so zeichnete sich Weimar
gerade in den kritischen Zeiten durch Gastfreundschaft aus. Der Druck der
politischen Verhältnisse war hierin nicht immer maßgebend, hart verfolgten
Fremden sogar günstig. Als Witt Döring, der Goethen ein Dorn im Auge
war. sich hier, Dank der Liberalität Carl Augusts niederlassen wollte, schrieb
er die Seiten eines Demagogen einem Fürsten gegenüber bezeichnenden Worte:
"Müßte ich von hier fort, so könnte ich es keiner Regierung verdenken, wenn
sie sagte: Gott behüte mich einen Menschen zu dulden, den der Großherzog
von Weimar verjagt hat." Das Ansinnen Braunschweigs, Dörings Papiere
untersuchen zu lassen, schlug Carl August ab, seine Antwort lag in der Ge¬
währung eines Aufenthaltes für diesen Unglücklichen, dem eine Ruhestätte seit
Jahren im deutschen Vaterlande gefehlt hatte. --

Freilich nicht überall war es der möglichst freisinnigen Negierung Wei¬
mars geglückt, ihre eignen Wege festzuhalten. Der Einfluß mächtiger Staaten
machte sich überall geltend, nicht blos auf dem in den Vordergrund tretenden
Gebiete des politischen Lebens. Wir erinnern an die Thatsache, daß ein Streit
zwischen einem angesehenen Beamtensohne und einem Engländer -- obwohl
sie beide noch in den Kinderschuhen -- sogar die Bildung einer Jmmediat-
commission zur Folge hatte, welche derartige Streitigkeiten schlichtete und
dem Auslande gegenüber den Thatbestand auf das richtige Maß der Wahrheit
zurückführte. Man gewinnt bei tieferer Forschung überhaupt ein anderes Ur¬
theil über das Leben Weimars; man braucht nur die Polizeigesetze jener Pe¬
riode anzusehen, um zur Ueberzeugung zu gelangen, daß ihre Macht mit dem
dahingegangenen Jahrhundert nicht erlahmt war. Es fehlte dem Leben an
Frische, vom Kindesleben an bis hinauf, wo Freiheit der Bewegung in ihrem
vollen Werthe zur Geltung zu kommen strebt. Wer fragt heute nach einem
lustigen Soldatenspiel der Jugend, das 1807 mit einer "der Leibesconstitution
angemessenen Correction" bestraft wurde; wer mag sich die Ehre des Soldaten¬
standes vorstellen, die vor 1811 bei kleinsten Borkommnissen durch Spießruthen,
Fuchtel, Krummschließen und Stockschläge befleckt wurde. Das öffentliche




Histor. Mist. Nachrichten von der berühmten Residenzstadt Weimar. Elberseld, 1800,
anonym, aber von Fr. Albr. Klebe- --
") Der Führer dnrch Weimar und dessen Umgebungen.

der Demagogenriecherei war nothwendig. — Daß man erst 1800 einen Wegweiser
für Weimar und zwar Seitens eines Ausländers schrieb*), dem der zweite
anonym aber von Frau Goullon verfaßte^) 25 Jahre später folgte, ist gewiß
bemerkenswerth; noch mehr, daß Abreisende in dem öffentlichen Wochenblatte
wiederholt ihres untertänigst schuldigen Dankes für die gnädigst ertheilte Er¬
laubniß des bisherigen Aufenthaltes sich entledigten. War indessen Goethe selbst
wegen unterlassener Fremdenmeldung bestraft worden, so zeichnete sich Weimar
gerade in den kritischen Zeiten durch Gastfreundschaft aus. Der Druck der
politischen Verhältnisse war hierin nicht immer maßgebend, hart verfolgten
Fremden sogar günstig. Als Witt Döring, der Goethen ein Dorn im Auge
war. sich hier, Dank der Liberalität Carl Augusts niederlassen wollte, schrieb
er die Seiten eines Demagogen einem Fürsten gegenüber bezeichnenden Worte:
„Müßte ich von hier fort, so könnte ich es keiner Regierung verdenken, wenn
sie sagte: Gott behüte mich einen Menschen zu dulden, den der Großherzog
von Weimar verjagt hat." Das Ansinnen Braunschweigs, Dörings Papiere
untersuchen zu lassen, schlug Carl August ab, seine Antwort lag in der Ge¬
währung eines Aufenthaltes für diesen Unglücklichen, dem eine Ruhestätte seit
Jahren im deutschen Vaterlande gefehlt hatte. —

Freilich nicht überall war es der möglichst freisinnigen Negierung Wei¬
mars geglückt, ihre eignen Wege festzuhalten. Der Einfluß mächtiger Staaten
machte sich überall geltend, nicht blos auf dem in den Vordergrund tretenden
Gebiete des politischen Lebens. Wir erinnern an die Thatsache, daß ein Streit
zwischen einem angesehenen Beamtensohne und einem Engländer — obwohl
sie beide noch in den Kinderschuhen — sogar die Bildung einer Jmmediat-
commission zur Folge hatte, welche derartige Streitigkeiten schlichtete und
dem Auslande gegenüber den Thatbestand auf das richtige Maß der Wahrheit
zurückführte. Man gewinnt bei tieferer Forschung überhaupt ein anderes Ur¬
theil über das Leben Weimars; man braucht nur die Polizeigesetze jener Pe¬
riode anzusehen, um zur Ueberzeugung zu gelangen, daß ihre Macht mit dem
dahingegangenen Jahrhundert nicht erlahmt war. Es fehlte dem Leben an
Frische, vom Kindesleben an bis hinauf, wo Freiheit der Bewegung in ihrem
vollen Werthe zur Geltung zu kommen strebt. Wer fragt heute nach einem
lustigen Soldatenspiel der Jugend, das 1807 mit einer „der Leibesconstitution
angemessenen Correction" bestraft wurde; wer mag sich die Ehre des Soldaten¬
standes vorstellen, die vor 1811 bei kleinsten Borkommnissen durch Spießruthen,
Fuchtel, Krummschließen und Stockschläge befleckt wurde. Das öffentliche




Histor. Mist. Nachrichten von der berühmten Residenzstadt Weimar. Elberseld, 1800,
anonym, aber von Fr. Albr. Klebe- —
") Der Führer dnrch Weimar und dessen Umgebungen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/18>, abgerufen am 25.08.2024.