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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Mutter zu bitten, die ganze Wahrheit zu sagen, sonst sei es um ihr
Leben gethan. Doch auch dieses Mittel verfing nicht. Die Verhörrichter
gaben ihr daher Bedenkzeit, mit der Drohung, sonst strengere Maßregeln
vorkehren zu müssen. Das Kind, bis jetzt ihr einziger Trost und ihre
einzige Freude im Gefängniß, wurde ihr entrissen und auf die Straße ge¬
setzt; aber da es weinend nicht wußte, wo ein und aus, nach Vallengin zu
Verwandten geschickt. Diese sandten es, nachdem sie es ausgebeutet und mi߬
handelt hatten, aus die wiederholten Bitten des flüchtigen Vaters nach der
Freigrafschaft.

Die Perregaux wurde unterdessen der Reihe nach von den Zünften*) ver¬
köstigt. Die Vorgesetzten derselben aßen mit ihr, nachdem sie die Speisen
und den Wein immer durch zwei Personen hatten kosten lassen, aus Furcht,
man möchte die für viele so compromittirende Person durch Gift aus dem
Wege räumen.

Das zweite Verhör wurde mit denselben Formalitäten vorgenommen.
Dachselhofer fragte wieder, wem die prächtigen Täfelchen gehörten. Die ihrigen
könnten sie nicht sein, da man in der ganzen Schweiz dergleichen nicht fände.
Warum sie dieselben mit Geheimschrift nach Solothurn gesandt? Sie solle
Gott die Ehre geben, sonst werde hart gegen sie vorgegangen werden und
alle Anstrengungen und Verwendungen Frankreichs würden sie nicht retten.
Sie habe, antwortete sie, die Täfelchen von fremden Händlern gekauft und
sie den Edelleuten ihrer Excellenz schenken wollen. Die Chiffreschrift sei schon
darauf gewesen als sie dieselben gekauft und so habe sie dieselbe nicht weiter
beachtet.

-- Warum Herr von La Boulaye, des Gesandten erster Sekretär sie oft
besucht habe? Gewiß um Erkundigungen über die Staatsgeheimnisse einzu¬
ziehen? -- Rein um sich an den Merkwürdigkeiten der Stadt zu amüsiren.
Er habe übrigens noch andere Damen besucht, z. B. Frau Willading, die
Tochter des Venners Rinchberger und die des Venners Güter. Man solle
diese auch befragen, worüber sie sich mit ihm unterhalten hätten! --

Nun wurde sie über einige Briefe befragt.

Ihre Antwort und Erklärung war der reinste Hohn. Da sprang Verner
Immer in wilder Wuth auf und fuhr sie an: "Weib, all Deine Ausflüchte
helfen Dir nichts, Du mußt die Wahrheit sagen!"

Ruhig und mit überlegner Miene protestirte die Perregaux gegen diesen
Ton. Auch der Verner Dachselhofer konnte nicht umhin, seinem College"
zu bemerken, das sei nicht die Art mit Damen zu sprechen und fuhr ruhig



') In Bern theilt sich noch heutzutage die ganze öconomische Gemeinde der Stadt in
D. Red. "Zünfte", mit Zunftgütcrn, Zunfthäusem ze.

Mutter zu bitten, die ganze Wahrheit zu sagen, sonst sei es um ihr
Leben gethan. Doch auch dieses Mittel verfing nicht. Die Verhörrichter
gaben ihr daher Bedenkzeit, mit der Drohung, sonst strengere Maßregeln
vorkehren zu müssen. Das Kind, bis jetzt ihr einziger Trost und ihre
einzige Freude im Gefängniß, wurde ihr entrissen und auf die Straße ge¬
setzt; aber da es weinend nicht wußte, wo ein und aus, nach Vallengin zu
Verwandten geschickt. Diese sandten es, nachdem sie es ausgebeutet und mi߬
handelt hatten, aus die wiederholten Bitten des flüchtigen Vaters nach der
Freigrafschaft.

Die Perregaux wurde unterdessen der Reihe nach von den Zünften*) ver¬
köstigt. Die Vorgesetzten derselben aßen mit ihr, nachdem sie die Speisen
und den Wein immer durch zwei Personen hatten kosten lassen, aus Furcht,
man möchte die für viele so compromittirende Person durch Gift aus dem
Wege räumen.

Das zweite Verhör wurde mit denselben Formalitäten vorgenommen.
Dachselhofer fragte wieder, wem die prächtigen Täfelchen gehörten. Die ihrigen
könnten sie nicht sein, da man in der ganzen Schweiz dergleichen nicht fände.
Warum sie dieselben mit Geheimschrift nach Solothurn gesandt? Sie solle
Gott die Ehre geben, sonst werde hart gegen sie vorgegangen werden und
alle Anstrengungen und Verwendungen Frankreichs würden sie nicht retten.
Sie habe, antwortete sie, die Täfelchen von fremden Händlern gekauft und
sie den Edelleuten ihrer Excellenz schenken wollen. Die Chiffreschrift sei schon
darauf gewesen als sie dieselben gekauft und so habe sie dieselbe nicht weiter
beachtet.

— Warum Herr von La Boulaye, des Gesandten erster Sekretär sie oft
besucht habe? Gewiß um Erkundigungen über die Staatsgeheimnisse einzu¬
ziehen? — Rein um sich an den Merkwürdigkeiten der Stadt zu amüsiren.
Er habe übrigens noch andere Damen besucht, z. B. Frau Willading, die
Tochter des Venners Rinchberger und die des Venners Güter. Man solle
diese auch befragen, worüber sie sich mit ihm unterhalten hätten! —

Nun wurde sie über einige Briefe befragt.

Ihre Antwort und Erklärung war der reinste Hohn. Da sprang Verner
Immer in wilder Wuth auf und fuhr sie an: „Weib, all Deine Ausflüchte
helfen Dir nichts, Du mußt die Wahrheit sagen!"

Ruhig und mit überlegner Miene protestirte die Perregaux gegen diesen
Ton. Auch der Verner Dachselhofer konnte nicht umhin, seinem College»
zu bemerken, das sei nicht die Art mit Damen zu sprechen und fuhr ruhig



') In Bern theilt sich noch heutzutage die ganze öconomische Gemeinde der Stadt in
D. Red. „Zünfte", mit Zunftgütcrn, Zunfthäusem ze.
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[0186] Mutter zu bitten, die ganze Wahrheit zu sagen, sonst sei es um ihr Leben gethan. Doch auch dieses Mittel verfing nicht. Die Verhörrichter gaben ihr daher Bedenkzeit, mit der Drohung, sonst strengere Maßregeln vorkehren zu müssen. Das Kind, bis jetzt ihr einziger Trost und ihre einzige Freude im Gefängniß, wurde ihr entrissen und auf die Straße ge¬ setzt; aber da es weinend nicht wußte, wo ein und aus, nach Vallengin zu Verwandten geschickt. Diese sandten es, nachdem sie es ausgebeutet und mi߬ handelt hatten, aus die wiederholten Bitten des flüchtigen Vaters nach der Freigrafschaft. Die Perregaux wurde unterdessen der Reihe nach von den Zünften*) ver¬ köstigt. Die Vorgesetzten derselben aßen mit ihr, nachdem sie die Speisen und den Wein immer durch zwei Personen hatten kosten lassen, aus Furcht, man möchte die für viele so compromittirende Person durch Gift aus dem Wege räumen. Das zweite Verhör wurde mit denselben Formalitäten vorgenommen. Dachselhofer fragte wieder, wem die prächtigen Täfelchen gehörten. Die ihrigen könnten sie nicht sein, da man in der ganzen Schweiz dergleichen nicht fände. Warum sie dieselben mit Geheimschrift nach Solothurn gesandt? Sie solle Gott die Ehre geben, sonst werde hart gegen sie vorgegangen werden und alle Anstrengungen und Verwendungen Frankreichs würden sie nicht retten. Sie habe, antwortete sie, die Täfelchen von fremden Händlern gekauft und sie den Edelleuten ihrer Excellenz schenken wollen. Die Chiffreschrift sei schon darauf gewesen als sie dieselben gekauft und so habe sie dieselbe nicht weiter beachtet. — Warum Herr von La Boulaye, des Gesandten erster Sekretär sie oft besucht habe? Gewiß um Erkundigungen über die Staatsgeheimnisse einzu¬ ziehen? — Rein um sich an den Merkwürdigkeiten der Stadt zu amüsiren. Er habe übrigens noch andere Damen besucht, z. B. Frau Willading, die Tochter des Venners Rinchberger und die des Venners Güter. Man solle diese auch befragen, worüber sie sich mit ihm unterhalten hätten! — Nun wurde sie über einige Briefe befragt. Ihre Antwort und Erklärung war der reinste Hohn. Da sprang Verner Immer in wilder Wuth auf und fuhr sie an: „Weib, all Deine Ausflüchte helfen Dir nichts, Du mußt die Wahrheit sagen!" Ruhig und mit überlegner Miene protestirte die Perregaux gegen diesen Ton. Auch der Verner Dachselhofer konnte nicht umhin, seinem College» zu bemerken, das sei nicht die Art mit Damen zu sprechen und fuhr ruhig ') In Bern theilt sich noch heutzutage die ganze öconomische Gemeinde der Stadt in D. Red. „Zünfte", mit Zunftgütcrn, Zunfthäusem ze.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/186>, abgerufen am 25.08.2024.