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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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welche sie 1809--16 durchschnittlich erzielte. Damals freilich gehörte für das
Leben einer Residenz eine gute Controle der Insassen, die die Polizeistunde
respectiren mußten. Jede Überschreitung ahndete man streng. Als die heute noch
bestehende Belvederische Kegelgesellschaft einmal des Nachts, freilich mit blasenden
Trompeter 1809 das Thor passirte, war die Folge, daß im Wochenblatt eine
besondere Verordnung gegen diese Unbilden erschien. Es hieß in derselben
wörtlich: Das herzogliche Polizeicollegium bedeutet sein ernstes Mißfallen,
und macht bekannt, daß es diese Gesellschaft in 50 Thaler Strafe verurtheilt
hat und diese dem Polizeiseeretair Gille, -- der dabei betheiligt war -- "von
seiner zu genießenden Besoldung im Voraus abzieht, damit dieser -- selbige
-- desto schneller incassirt."

Derartige Beurtheilungen begangener Excesse hingen allerdings mit den
trüben Zeitereignissen auf das Innigste zusammen. -- Man war damals
ohne geschlossene feste Thore, über deren Wegfall alte Leute bedenklich den
Kopf schüttelten, die die alte gute Zeit der Sicherheit rühmten. Aber deßwegen
erfüllte die Polizei auch ihre Pflicht; sie bot die gesammte Bürgerwehr auf,
als weit von Weimar in der Gegend von Gera einige Räuber ruchbar geworden
waren. Nur das 70. Lebensjahr konnte von dem Wanddienste befreien. Wer
auf zweimaliges Anrufen nicht antwortete, lief in Weimar Gefahr, von tät¬
lichem Blei getroffen zu werden. Seit 1813 frug nach 11 Uhr Abends der
Nachtwächter die Leute ob ihres nächtlichen Umherschweifens aus; im Sommer
begann er das Examen um eine Stunde später; und die herzogliche Park¬
commission, der die freie Bewegung des Publicums vom Park nach der Stadt
ein Grciuel war, weil man den Sperrpfennig ersparte, machte den Vorschlag, alle
nach 9 oder 10 Uhr auf dieser Route sich sindenden Leute zu arretiren und auf die
Hauptwache zu stecken. Daher die Wahrnehmung, daß auswärtige Wirthe
den Gästen das Sperrgeld vergüteten, oder die Bierpreise um die Höhe desselben
herabsetzten. --- Noch heute hört man bei uns das Sprichwort: Sie laufen
zusammen, wie die Mühlbursche! In unserer Gesetzgebung findet man die Er¬
klärung desselben und zugleich die Bestimmung, daß (seit 1808) nur zwei
Mühlburschen zugleich in die Thore Weimars einwandern durften; damit hoffte
man das Zuläufer der feiernden zu verhindern.

Betrachtet man nun den Verkehr der Stadt nach untrüglich quellen¬
mäßigen Zeugnissen, so ist derselbe keineswegs glänzend. Es giebt z, B. von
1800--1819 nach amtlichen Verkehrstabellen Tage, an denen nicht ein Ein¬
heimischer irgend ein Thor passirte, (6. März 1813). Auch der Fremdenver¬
kehr war im Ganzen mäßig. Nach freilich nicht ganz vollständigen Tabellen
kommen circa 20 Auswärtige auf den Tag, die sich auf 8 Gasthöfe vertheilten,
von denen nur 2 erträglich waren. Für einen längeren Aufenthalt bedürfte
es gründlicher Zeugnisse; unbedingte Unbescholtenheit, namentlich in den Zeiten


Grenzboten III. 1872. 2

welche sie 1809—16 durchschnittlich erzielte. Damals freilich gehörte für das
Leben einer Residenz eine gute Controle der Insassen, die die Polizeistunde
respectiren mußten. Jede Überschreitung ahndete man streng. Als die heute noch
bestehende Belvederische Kegelgesellschaft einmal des Nachts, freilich mit blasenden
Trompeter 1809 das Thor passirte, war die Folge, daß im Wochenblatt eine
besondere Verordnung gegen diese Unbilden erschien. Es hieß in derselben
wörtlich: Das herzogliche Polizeicollegium bedeutet sein ernstes Mißfallen,
und macht bekannt, daß es diese Gesellschaft in 50 Thaler Strafe verurtheilt
hat und diese dem Polizeiseeretair Gille, — der dabei betheiligt war — „von
seiner zu genießenden Besoldung im Voraus abzieht, damit dieser — selbige
— desto schneller incassirt."

Derartige Beurtheilungen begangener Excesse hingen allerdings mit den
trüben Zeitereignissen auf das Innigste zusammen. — Man war damals
ohne geschlossene feste Thore, über deren Wegfall alte Leute bedenklich den
Kopf schüttelten, die die alte gute Zeit der Sicherheit rühmten. Aber deßwegen
erfüllte die Polizei auch ihre Pflicht; sie bot die gesammte Bürgerwehr auf,
als weit von Weimar in der Gegend von Gera einige Räuber ruchbar geworden
waren. Nur das 70. Lebensjahr konnte von dem Wanddienste befreien. Wer
auf zweimaliges Anrufen nicht antwortete, lief in Weimar Gefahr, von tät¬
lichem Blei getroffen zu werden. Seit 1813 frug nach 11 Uhr Abends der
Nachtwächter die Leute ob ihres nächtlichen Umherschweifens aus; im Sommer
begann er das Examen um eine Stunde später; und die herzogliche Park¬
commission, der die freie Bewegung des Publicums vom Park nach der Stadt
ein Grciuel war, weil man den Sperrpfennig ersparte, machte den Vorschlag, alle
nach 9 oder 10 Uhr auf dieser Route sich sindenden Leute zu arretiren und auf die
Hauptwache zu stecken. Daher die Wahrnehmung, daß auswärtige Wirthe
den Gästen das Sperrgeld vergüteten, oder die Bierpreise um die Höhe desselben
herabsetzten. —- Noch heute hört man bei uns das Sprichwort: Sie laufen
zusammen, wie die Mühlbursche! In unserer Gesetzgebung findet man die Er¬
klärung desselben und zugleich die Bestimmung, daß (seit 1808) nur zwei
Mühlburschen zugleich in die Thore Weimars einwandern durften; damit hoffte
man das Zuläufer der feiernden zu verhindern.

Betrachtet man nun den Verkehr der Stadt nach untrüglich quellen¬
mäßigen Zeugnissen, so ist derselbe keineswegs glänzend. Es giebt z, B. von
1800—1819 nach amtlichen Verkehrstabellen Tage, an denen nicht ein Ein¬
heimischer irgend ein Thor passirte, (6. März 1813). Auch der Fremdenver¬
kehr war im Ganzen mäßig. Nach freilich nicht ganz vollständigen Tabellen
kommen circa 20 Auswärtige auf den Tag, die sich auf 8 Gasthöfe vertheilten,
von denen nur 2 erträglich waren. Für einen längeren Aufenthalt bedürfte
es gründlicher Zeugnisse; unbedingte Unbescholtenheit, namentlich in den Zeiten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/17>, abgerufen am 22.07.2024.