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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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sich nur durch einige junge Mädchen in orientalischen Trachten angefunden.
Auf die Lyoner selbst, die gar nicht so rege sind, wie man zu glauben geneigt
ist , macht die ganze Geschichte wenig Eindruck.




Heinrich Stephan, das heutige Ägypten.*)

Wer vermöchte das Wesen jener Sehnsucht zu erklären, welche seit Jahr¬
tausenden Philosophen und Dichter, Könige und Staatsmänner, Gelehrte und
Forscher nach dem verschleierten Bilde von Sais, nach den Gefilden Aegyptens,
hinzieht! In den mächtigen Hallen der Serapis- und Isis-Tempel wandelten
einst Orpheus und Homer, Thales, Solon und Lykurg; aus dem "Hause der
Sonne" (Per-'ra, Heliopolis) empfing Plato die Urbilder seiner Ideen; Pytha-
goras schwelgte in den Mysterien der durch die heilige Serapislade verkörperten
Gottesanschauung, die zu Jao, dem Jehovah der Hebräer, hinaufwies; Bu-
bastis, Memphis und das königliche Theben durchwanderte der Fuß Herodots,
des Vaters der Geschichte. Die Gestalten eines Sesostris, Ramses, Amasis,
Darius, Alexander, eines Antonius und Octavian, die Flucht der Jsraeliten.
aus Gösen, die poesievolle Erinnerung an den Zug Josephs und Marias,
sowie die meteorgleiche Erscheinung des Propheten adeln diesen Boden, und
von seiner sechstausendjährigen Geschichte legen jene wunderbaren Denkmäler,
deren Geheimniß Jahrhunderte lang verschlossen war, die Felsengräber von
Benihassan, die Ruinen von Abhdos mit den Tempeln des Osiris und Seti,
die grandiosen Monumente des hundertthorigen Theben, die Denkmäler von
Karnak und Luksor, die Pylonen des Horustempels in Edfu und die Pyra¬
miden von Gizeh ein unvergängliches Zeugniß ab. Was der dröhnende Schritt
von Jahrtausenden oder die Leichenhülle der Wüsten-Sandwogen begraben
hatten: die Neuzeit hat es mit aufopfernder Sorge ans Licht gezogen. Es
gab eine Zeit, sagt Mariette Bey, in der Aegypten seine Denkmäler zerfallen
ließ; heute verehrt es diese Zeugen der Geschichte: Morgen wird es sie
lieben! Nach Champollion's, Belzoni's, Rosellini's, Wilkinson's epochemachen¬
den Entdeckungen, nach Lepsius, Brugsch's und Anderer genialen Forschungen,
nach den ausgezeichneten Leistungen eines Lane, Heeren, Ritter, Niebuhr,
Mariette und neuerdings des Aegyptologen Dümichen ist uns das alte
Aegypten mit seinen Geheimnissen, seinen Gräbern, Sphinxen und Sarkophagen
erschlossen. Bewährte Forscher und Reisende aus der Mitte aller Cultur¬
völker, wie Denon, Cailliaud, Seetzen, Burckhard, Hammer, Russegger, Kremer,



) Leipzig, F. A. Brockhaus 1872.

sich nur durch einige junge Mädchen in orientalischen Trachten angefunden.
Auf die Lyoner selbst, die gar nicht so rege sind, wie man zu glauben geneigt
ist , macht die ganze Geschichte wenig Eindruck.




Heinrich Stephan, das heutige Ägypten.*)

Wer vermöchte das Wesen jener Sehnsucht zu erklären, welche seit Jahr¬
tausenden Philosophen und Dichter, Könige und Staatsmänner, Gelehrte und
Forscher nach dem verschleierten Bilde von Sais, nach den Gefilden Aegyptens,
hinzieht! In den mächtigen Hallen der Serapis- und Isis-Tempel wandelten
einst Orpheus und Homer, Thales, Solon und Lykurg; aus dem „Hause der
Sonne" (Per-'ra, Heliopolis) empfing Plato die Urbilder seiner Ideen; Pytha-
goras schwelgte in den Mysterien der durch die heilige Serapislade verkörperten
Gottesanschauung, die zu Jao, dem Jehovah der Hebräer, hinaufwies; Bu-
bastis, Memphis und das königliche Theben durchwanderte der Fuß Herodots,
des Vaters der Geschichte. Die Gestalten eines Sesostris, Ramses, Amasis,
Darius, Alexander, eines Antonius und Octavian, die Flucht der Jsraeliten.
aus Gösen, die poesievolle Erinnerung an den Zug Josephs und Marias,
sowie die meteorgleiche Erscheinung des Propheten adeln diesen Boden, und
von seiner sechstausendjährigen Geschichte legen jene wunderbaren Denkmäler,
deren Geheimniß Jahrhunderte lang verschlossen war, die Felsengräber von
Benihassan, die Ruinen von Abhdos mit den Tempeln des Osiris und Seti,
die grandiosen Monumente des hundertthorigen Theben, die Denkmäler von
Karnak und Luksor, die Pylonen des Horustempels in Edfu und die Pyra¬
miden von Gizeh ein unvergängliches Zeugniß ab. Was der dröhnende Schritt
von Jahrtausenden oder die Leichenhülle der Wüsten-Sandwogen begraben
hatten: die Neuzeit hat es mit aufopfernder Sorge ans Licht gezogen. Es
gab eine Zeit, sagt Mariette Bey, in der Aegypten seine Denkmäler zerfallen
ließ; heute verehrt es diese Zeugen der Geschichte: Morgen wird es sie
lieben! Nach Champollion's, Belzoni's, Rosellini's, Wilkinson's epochemachen¬
den Entdeckungen, nach Lepsius, Brugsch's und Anderer genialen Forschungen,
nach den ausgezeichneten Leistungen eines Lane, Heeren, Ritter, Niebuhr,
Mariette und neuerdings des Aegyptologen Dümichen ist uns das alte
Aegypten mit seinen Geheimnissen, seinen Gräbern, Sphinxen und Sarkophagen
erschlossen. Bewährte Forscher und Reisende aus der Mitte aller Cultur¬
völker, wie Denon, Cailliaud, Seetzen, Burckhard, Hammer, Russegger, Kremer,



) Leipzig, F. A. Brockhaus 1872.
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[0163] sich nur durch einige junge Mädchen in orientalischen Trachten angefunden. Auf die Lyoner selbst, die gar nicht so rege sind, wie man zu glauben geneigt ist , macht die ganze Geschichte wenig Eindruck. Heinrich Stephan, das heutige Ägypten.*) Wer vermöchte das Wesen jener Sehnsucht zu erklären, welche seit Jahr¬ tausenden Philosophen und Dichter, Könige und Staatsmänner, Gelehrte und Forscher nach dem verschleierten Bilde von Sais, nach den Gefilden Aegyptens, hinzieht! In den mächtigen Hallen der Serapis- und Isis-Tempel wandelten einst Orpheus und Homer, Thales, Solon und Lykurg; aus dem „Hause der Sonne" (Per-'ra, Heliopolis) empfing Plato die Urbilder seiner Ideen; Pytha- goras schwelgte in den Mysterien der durch die heilige Serapislade verkörperten Gottesanschauung, die zu Jao, dem Jehovah der Hebräer, hinaufwies; Bu- bastis, Memphis und das königliche Theben durchwanderte der Fuß Herodots, des Vaters der Geschichte. Die Gestalten eines Sesostris, Ramses, Amasis, Darius, Alexander, eines Antonius und Octavian, die Flucht der Jsraeliten. aus Gösen, die poesievolle Erinnerung an den Zug Josephs und Marias, sowie die meteorgleiche Erscheinung des Propheten adeln diesen Boden, und von seiner sechstausendjährigen Geschichte legen jene wunderbaren Denkmäler, deren Geheimniß Jahrhunderte lang verschlossen war, die Felsengräber von Benihassan, die Ruinen von Abhdos mit den Tempeln des Osiris und Seti, die grandiosen Monumente des hundertthorigen Theben, die Denkmäler von Karnak und Luksor, die Pylonen des Horustempels in Edfu und die Pyra¬ miden von Gizeh ein unvergängliches Zeugniß ab. Was der dröhnende Schritt von Jahrtausenden oder die Leichenhülle der Wüsten-Sandwogen begraben hatten: die Neuzeit hat es mit aufopfernder Sorge ans Licht gezogen. Es gab eine Zeit, sagt Mariette Bey, in der Aegypten seine Denkmäler zerfallen ließ; heute verehrt es diese Zeugen der Geschichte: Morgen wird es sie lieben! Nach Champollion's, Belzoni's, Rosellini's, Wilkinson's epochemachen¬ den Entdeckungen, nach Lepsius, Brugsch's und Anderer genialen Forschungen, nach den ausgezeichneten Leistungen eines Lane, Heeren, Ritter, Niebuhr, Mariette und neuerdings des Aegyptologen Dümichen ist uns das alte Aegypten mit seinen Geheimnissen, seinen Gräbern, Sphinxen und Sarkophagen erschlossen. Bewährte Forscher und Reisende aus der Mitte aller Cultur¬ völker, wie Denon, Cailliaud, Seetzen, Burckhard, Hammer, Russegger, Kremer, ) Leipzig, F. A. Brockhaus 1872.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/163>, abgerufen am 22.12.2024.