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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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daß der Tod von M. Rost gekrönt worden ist. Sein Christus ist unbe¬
dingt ohne alles höhere göttliche Leben.

Man kann sich des Lachens kaum enthalten, wenn man die Büste von
Thiers erblickt. Er sieht von Haus aus dem Polichinell so ähnlich, daß er
sich neben dem Herkules, der den Löwen zerreißt, als überaus sonderbarer
Schwärmer ausnimmt.

Ueber die Eröffnung der Lyoner Industrieausstellung dagegen
können wir Folgendes mittheilen: General Bourbaki und der Präfect der
Rhone Pascal sind am 7. Juli Herrn Victor Lefranc, dem neuen Minister
der öffentlichen Arbeiten auf den Bahnhof entgegengefahren. Herr Barader,
der Maire der Stadt, hat sie empfangen und der Minister ließ sich in einem
goldenen Lehnstuhl nieder. Der Erzbischof von Lyon setzte sich aus die eine
und Bourbaki auf die andere Seite Seiner Excellenz. Dreihundert Musikan¬
ten spielten den "Fackelmarsch". Daß Madame Ratazzi unter den Damen
sich befand, erklärt sich durch den Umstand, daß sie am liebsten da ist, wo
man am leichtesten von ihr spricht. Der Minister ließ hieraus seine Rede
hören, in welcher er von der Ergebung an die Ordnung sprach, worauf einige
Rufe: "Es lebe die Republik!" erschallten. Dann nahm der Maire Herr
Barodet das Wort, sprach von den Pflichten der Handwerker und schloß mit
dem Rufe: "Es lebe die Republik!" Herr de la Loyere, Vicepräsident der
ackerbauenden Gesellschaft, trat dagegen in die Fußtapfen Virgils und pries
den ruhigen Feldarbeiter. Der Eindruck dieser Rede in der Fabrikstadt war
ein solcher, daß der Minister für nöthig hielt, das Wort abermals zu nehmen,
und wie ein zweiter Martius sich in den zwischen der Industrie und Land¬
wirthschaft klaffenden Abgrund rhetorisch hinabzustürzen. Diese Improvisation
ist ihm auch besser gelungen als die erste Rede; Geschmack können die Land¬
leute bei den Stadtbewohnern ja immer noch lernen, und diese Sanftmuth bei
den Bauern. Von Religion ist in Frankreich keine Rede mehr, besonders
wenn die Erzbischöfe schweigen; aber wir haben schon von Dupanloups Bered¬
samkeit genug.

Darauf ist man in den Park IStL-ä'n' gegangen und zu Mittag haben
die Herrschaften beim Präfecten gespeist.

Was die Ausstellung selbst anlangt, so ist bemerkenswerth, daß die Seiden¬
fabrikanten, einige wenige löbliche Ausnahmen abgerechnet, durch ihre Ab¬
wesenheit glänzen. Mailand hat mehr wie Lyon geliefert. Das ist bedauerns¬
werth und kann nur einer schlechten politischen Laune zugeschrieben werden.
Das Kaiserreich gebrauchte mehr Seide wie die Republik, Eugenie mehr wie
Madame Thiers und nun will man gar noch die Seidenkleider mit einer be¬
sonderen Steuer belegen. Dagegen sind Maschinenwerke und sogar Artillerie
und Wagenbau sehr reichhaltig vertreten. Das internationale Element hat


daß der Tod von M. Rost gekrönt worden ist. Sein Christus ist unbe¬
dingt ohne alles höhere göttliche Leben.

Man kann sich des Lachens kaum enthalten, wenn man die Büste von
Thiers erblickt. Er sieht von Haus aus dem Polichinell so ähnlich, daß er
sich neben dem Herkules, der den Löwen zerreißt, als überaus sonderbarer
Schwärmer ausnimmt.

Ueber die Eröffnung der Lyoner Industrieausstellung dagegen
können wir Folgendes mittheilen: General Bourbaki und der Präfect der
Rhone Pascal sind am 7. Juli Herrn Victor Lefranc, dem neuen Minister
der öffentlichen Arbeiten auf den Bahnhof entgegengefahren. Herr Barader,
der Maire der Stadt, hat sie empfangen und der Minister ließ sich in einem
goldenen Lehnstuhl nieder. Der Erzbischof von Lyon setzte sich aus die eine
und Bourbaki auf die andere Seite Seiner Excellenz. Dreihundert Musikan¬
ten spielten den „Fackelmarsch". Daß Madame Ratazzi unter den Damen
sich befand, erklärt sich durch den Umstand, daß sie am liebsten da ist, wo
man am leichtesten von ihr spricht. Der Minister ließ hieraus seine Rede
hören, in welcher er von der Ergebung an die Ordnung sprach, worauf einige
Rufe: „Es lebe die Republik!" erschallten. Dann nahm der Maire Herr
Barodet das Wort, sprach von den Pflichten der Handwerker und schloß mit
dem Rufe: „Es lebe die Republik!" Herr de la Loyere, Vicepräsident der
ackerbauenden Gesellschaft, trat dagegen in die Fußtapfen Virgils und pries
den ruhigen Feldarbeiter. Der Eindruck dieser Rede in der Fabrikstadt war
ein solcher, daß der Minister für nöthig hielt, das Wort abermals zu nehmen,
und wie ein zweiter Martius sich in den zwischen der Industrie und Land¬
wirthschaft klaffenden Abgrund rhetorisch hinabzustürzen. Diese Improvisation
ist ihm auch besser gelungen als die erste Rede; Geschmack können die Land¬
leute bei den Stadtbewohnern ja immer noch lernen, und diese Sanftmuth bei
den Bauern. Von Religion ist in Frankreich keine Rede mehr, besonders
wenn die Erzbischöfe schweigen; aber wir haben schon von Dupanloups Bered¬
samkeit genug.

Darauf ist man in den Park IStL-ä'n' gegangen und zu Mittag haben
die Herrschaften beim Präfecten gespeist.

Was die Ausstellung selbst anlangt, so ist bemerkenswerth, daß die Seiden¬
fabrikanten, einige wenige löbliche Ausnahmen abgerechnet, durch ihre Ab¬
wesenheit glänzen. Mailand hat mehr wie Lyon geliefert. Das ist bedauerns¬
werth und kann nur einer schlechten politischen Laune zugeschrieben werden.
Das Kaiserreich gebrauchte mehr Seide wie die Republik, Eugenie mehr wie
Madame Thiers und nun will man gar noch die Seidenkleider mit einer be¬
sonderen Steuer belegen. Dagegen sind Maschinenwerke und sogar Artillerie
und Wagenbau sehr reichhaltig vertreten. Das internationale Element hat


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[0162] daß der Tod von M. Rost gekrönt worden ist. Sein Christus ist unbe¬ dingt ohne alles höhere göttliche Leben. Man kann sich des Lachens kaum enthalten, wenn man die Büste von Thiers erblickt. Er sieht von Haus aus dem Polichinell so ähnlich, daß er sich neben dem Herkules, der den Löwen zerreißt, als überaus sonderbarer Schwärmer ausnimmt. Ueber die Eröffnung der Lyoner Industrieausstellung dagegen können wir Folgendes mittheilen: General Bourbaki und der Präfect der Rhone Pascal sind am 7. Juli Herrn Victor Lefranc, dem neuen Minister der öffentlichen Arbeiten auf den Bahnhof entgegengefahren. Herr Barader, der Maire der Stadt, hat sie empfangen und der Minister ließ sich in einem goldenen Lehnstuhl nieder. Der Erzbischof von Lyon setzte sich aus die eine und Bourbaki auf die andere Seite Seiner Excellenz. Dreihundert Musikan¬ ten spielten den „Fackelmarsch". Daß Madame Ratazzi unter den Damen sich befand, erklärt sich durch den Umstand, daß sie am liebsten da ist, wo man am leichtesten von ihr spricht. Der Minister ließ hieraus seine Rede hören, in welcher er von der Ergebung an die Ordnung sprach, worauf einige Rufe: „Es lebe die Republik!" erschallten. Dann nahm der Maire Herr Barodet das Wort, sprach von den Pflichten der Handwerker und schloß mit dem Rufe: „Es lebe die Republik!" Herr de la Loyere, Vicepräsident der ackerbauenden Gesellschaft, trat dagegen in die Fußtapfen Virgils und pries den ruhigen Feldarbeiter. Der Eindruck dieser Rede in der Fabrikstadt war ein solcher, daß der Minister für nöthig hielt, das Wort abermals zu nehmen, und wie ein zweiter Martius sich in den zwischen der Industrie und Land¬ wirthschaft klaffenden Abgrund rhetorisch hinabzustürzen. Diese Improvisation ist ihm auch besser gelungen als die erste Rede; Geschmack können die Land¬ leute bei den Stadtbewohnern ja immer noch lernen, und diese Sanftmuth bei den Bauern. Von Religion ist in Frankreich keine Rede mehr, besonders wenn die Erzbischöfe schweigen; aber wir haben schon von Dupanloups Bered¬ samkeit genug. Darauf ist man in den Park IStL-ä'n' gegangen und zu Mittag haben die Herrschaften beim Präfecten gespeist. Was die Ausstellung selbst anlangt, so ist bemerkenswerth, daß die Seiden¬ fabrikanten, einige wenige löbliche Ausnahmen abgerechnet, durch ihre Ab¬ wesenheit glänzen. Mailand hat mehr wie Lyon geliefert. Das ist bedauerns¬ werth und kann nur einer schlechten politischen Laune zugeschrieben werden. Das Kaiserreich gebrauchte mehr Seide wie die Republik, Eugenie mehr wie Madame Thiers und nun will man gar noch die Seidenkleider mit einer be¬ sonderen Steuer belegen. Dagegen sind Maschinenwerke und sogar Artillerie und Wagenbau sehr reichhaltig vertreten. Das internationale Element hat

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/162>, abgerufen am 23.07.2024.