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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Sujet sind sehr gelungen, obgleich sie freilich an die Marqueterie erinnern.
In der historischen Schule glänzt Herr Francais an der Spitze vieler
Nachahmer. Diaz ist zu alt, um thätig zu sein. Die Kenner sind der
Meinung, daß sein Talent ihn überleben wird, während bei Corot und Curbet
das nicht der Fall sein werde. Indessen sind die Preise auf Corot's Bildern
immer im Steigen.

Deutsche Sorgfalt und Gründlichkeit ist vorzüglich vertreten durch das
Gemälde, welches den Aufbruch von Auswanderern darstellt. Eine Schildwache
stehet am Thore, auf dem das Wort "Rinderpest" geschrieben ist. An der
Spitze schreitet der Familienvater mit entschlossenem Schritt in die Fremde,
in die "weite, weite Welt", dem "fernen Westen" entgegen. Seine Kinder
folgen mit Begierde dem Neuen und Unbekannten. So lebendig ist das
Bild, daß man ihnen einen Scheidegruß zurufen möchte. Ihnen folgt eine
Fuhre mit den wenigen Habseligkeiten der Familie. Der Kutscher ist eben
im Begriff seine lange Peitsche aufzuheben. Seine Pferde sind für seine Ver¬
hältnisse luxuriöse Schönheiten zu nennen. Ueber die Geschworenen, unter
welchen Herr Meissonier sitzt, wird alle Jahre viel geschrieben, denn die Aus¬
geschlossenen bilden natürlich eine Gruppe von Unzufriedenen, für welche es
sich immer darum handelt, eine besondere Ausstellung zu bilden. Aber dieses
Jahr scheint man ohne Gunst und Vorurtheil gerichtet zu haben; so ist z.B.
ein schönes Bild aus dem letzten Kriege, welches aus politischen Rücksichten
nicht angenommen worden ist, dem Künstler mit schwerem Gelde abgenommen
worden. Wenn man die enorme Anzahl der jährlich ausgestellten und jähr¬
lich gekauften Gemälde betrachtet, so wundert man sich, wo nur das viele
Geld und der für die Unterbringung der Bilder nöthige Platz herkommt.
Für kleine Börsen ist hier schlechterdings nichts zu haben. Außer der Aus¬
stellung im Jndustriepalaste hat Durand-Rueil der Kunsthändler ruf as ig,
?g,ix in der Stadt noch eine besondere Gemälde-Ausstellung veranstaltet und
bei ihm sieht man Bilder von Delacroix zu 140,000 Franken das Stück!
Delacroir wird als der Stifter der romantischen Schule in der Malerei
betrachtet, ein Ausdruck, den ich dem historischen durchaus vorziehe. Erist
also der Victor Hugo der Malerei, wie Beethoven der der Musik sein soll. Damit
soll indeß keineswegs ausgesprochen sein, daß die classische Schule zu Grunde
gerichtet, oder daß die Natur Italiens von der Natur Frankreichs geschlagen
sei. -- Die Seestücke sind auch dieses Jahr sehr tüchtig, aber die Ansichten
des mittelländischen Meeres ziehe ich doch denen der Normandie bei Weitem vor.

Was die Sculptur anbelangt, bin ich vollkommen der Meinung, daß das
Dramatische nur einem Michel Angelo gelingen konnte. Dagegen hat aus
dem Komischen Herr Astrüc einen sehr schönen Nutzen gezogen. Don Basileo
von Beaumarchais ist ihm sehr gut gelungen. Dagegen wundert man sich,


Grenzboten III. 1872. 20

Sujet sind sehr gelungen, obgleich sie freilich an die Marqueterie erinnern.
In der historischen Schule glänzt Herr Francais an der Spitze vieler
Nachahmer. Diaz ist zu alt, um thätig zu sein. Die Kenner sind der
Meinung, daß sein Talent ihn überleben wird, während bei Corot und Curbet
das nicht der Fall sein werde. Indessen sind die Preise auf Corot's Bildern
immer im Steigen.

Deutsche Sorgfalt und Gründlichkeit ist vorzüglich vertreten durch das
Gemälde, welches den Aufbruch von Auswanderern darstellt. Eine Schildwache
stehet am Thore, auf dem das Wort „Rinderpest" geschrieben ist. An der
Spitze schreitet der Familienvater mit entschlossenem Schritt in die Fremde,
in die „weite, weite Welt", dem „fernen Westen" entgegen. Seine Kinder
folgen mit Begierde dem Neuen und Unbekannten. So lebendig ist das
Bild, daß man ihnen einen Scheidegruß zurufen möchte. Ihnen folgt eine
Fuhre mit den wenigen Habseligkeiten der Familie. Der Kutscher ist eben
im Begriff seine lange Peitsche aufzuheben. Seine Pferde sind für seine Ver¬
hältnisse luxuriöse Schönheiten zu nennen. Ueber die Geschworenen, unter
welchen Herr Meissonier sitzt, wird alle Jahre viel geschrieben, denn die Aus¬
geschlossenen bilden natürlich eine Gruppe von Unzufriedenen, für welche es
sich immer darum handelt, eine besondere Ausstellung zu bilden. Aber dieses
Jahr scheint man ohne Gunst und Vorurtheil gerichtet zu haben; so ist z.B.
ein schönes Bild aus dem letzten Kriege, welches aus politischen Rücksichten
nicht angenommen worden ist, dem Künstler mit schwerem Gelde abgenommen
worden. Wenn man die enorme Anzahl der jährlich ausgestellten und jähr¬
lich gekauften Gemälde betrachtet, so wundert man sich, wo nur das viele
Geld und der für die Unterbringung der Bilder nöthige Platz herkommt.
Für kleine Börsen ist hier schlechterdings nichts zu haben. Außer der Aus¬
stellung im Jndustriepalaste hat Durand-Rueil der Kunsthändler ruf as ig,
?g,ix in der Stadt noch eine besondere Gemälde-Ausstellung veranstaltet und
bei ihm sieht man Bilder von Delacroix zu 140,000 Franken das Stück!
Delacroir wird als der Stifter der romantischen Schule in der Malerei
betrachtet, ein Ausdruck, den ich dem historischen durchaus vorziehe. Erist
also der Victor Hugo der Malerei, wie Beethoven der der Musik sein soll. Damit
soll indeß keineswegs ausgesprochen sein, daß die classische Schule zu Grunde
gerichtet, oder daß die Natur Italiens von der Natur Frankreichs geschlagen
sei. — Die Seestücke sind auch dieses Jahr sehr tüchtig, aber die Ansichten
des mittelländischen Meeres ziehe ich doch denen der Normandie bei Weitem vor.

Was die Sculptur anbelangt, bin ich vollkommen der Meinung, daß das
Dramatische nur einem Michel Angelo gelingen konnte. Dagegen hat aus
dem Komischen Herr Astrüc einen sehr schönen Nutzen gezogen. Don Basileo
von Beaumarchais ist ihm sehr gut gelungen. Dagegen wundert man sich,


Grenzboten III. 1872. 20
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/161>, abgerufen am 23.07.2024.