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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Mitteln. Der letztere Punkt gab denn auch Anlaß zu der merkwürdigen
Thatsache, daß angesichts der höchsten Gefahr sich dennoch ein Heller Zwist im
klerikalen Lager entspann. Denn die Haltung der extremen klerikalen Presse
näherte sich bald so sehr den communistischen Tendenzen, daß es insbesondere
für die höheren geistlichen Würdenträger fast unmöglich wurde, als solidarisch
mit solchen Elementen zu erscheinen und da eine Herabminderung des Tons
von solcher Seite nicht zu erlangen war, so blieb nichts übrig, als dieselben
successive zu desavouiren und sich auf diese Weise loszumachen. Der erste
Schritt in dieser Richtung erfolgte gegen den katholischen Volksverein, dessen
Vorstand eine Feierlichkeit zu Ehren des Papstes insceniren wollte. Obwohl
die weltlichen Behörden sich bereit zeigten diesen Schritt zu genehmigen, so
wußte man doch auf Seite des Domcapitels sehr deutlich wie demonstrativ
in der Regel solche Wallfahrten (die von Dr. Sigl geleitet werden) verlaufen
und um Verwicklungen mit der Polizei zu verhüten, gaben einige Mitglieder
des Ordinariats, bei denen angefragt wurde, dieser Meinung unverhohlen
Ausdruck.

Die Sache unterblieb, aber es war richtig verstanden, wenn die beiden
extremsten Blätter darin nicht bloß einen einzelnen Fall, sondern den Beginn
einer systematischen Maßregelung erblicken wollten. Bald wurden die beiden
Organe selbst der Gegenstand der erzbischöflichen Ungnade, man setzte sie unter
der Hand in Kenntniß, daß ein so radicales Auftreten (das man durch eigene
Duldung groß gezogen) nicht fernerhin bestehen könne, und die Pression scheint,
nach dem entrüsteten Schrei zu schließen, den sie den beiden frommen Klopf¬
fechtern entriß, eine sehr energische gewesen zu sein. Gleichwohl war sie nicht
stark genug, man erwiderte die eine Drohung mit der andern, daß man nun
auch gegen das Ordinariat schonungslos zu Felde ziehen werde.

Die Antwort hierauf war ein neuer polemischer Schritt von Seiten der
geistlichen Oberbehörde, der dem "katholischen Volksvereine" galt, indem man
die Mitglieder des Gesellenvereins zum Austritt aus dem vorgenannten zu
bewegen suchte.

So ist denn die Fehde im katholischen Lager nach allen Seiten hin ent¬
brannt, die Preßorgane stehen sich mit der schärfsten Polemik gegenüber, die
Vereine negiren sich gegenseitig und keiner der beiden Gegner will des andern
Berechtigung gelten lassen.

Zunächst spielt dieser Zwiespalt natürlich noch in engeren localen Grenzen
und ist deshalb nach außen hin weniger fühlbar; aber daß er trotz alledem
die Kraft des klerikalen Treibens lahmt, wird Niemand bezweifeln können.


L.


Mitteln. Der letztere Punkt gab denn auch Anlaß zu der merkwürdigen
Thatsache, daß angesichts der höchsten Gefahr sich dennoch ein Heller Zwist im
klerikalen Lager entspann. Denn die Haltung der extremen klerikalen Presse
näherte sich bald so sehr den communistischen Tendenzen, daß es insbesondere
für die höheren geistlichen Würdenträger fast unmöglich wurde, als solidarisch
mit solchen Elementen zu erscheinen und da eine Herabminderung des Tons
von solcher Seite nicht zu erlangen war, so blieb nichts übrig, als dieselben
successive zu desavouiren und sich auf diese Weise loszumachen. Der erste
Schritt in dieser Richtung erfolgte gegen den katholischen Volksverein, dessen
Vorstand eine Feierlichkeit zu Ehren des Papstes insceniren wollte. Obwohl
die weltlichen Behörden sich bereit zeigten diesen Schritt zu genehmigen, so
wußte man doch auf Seite des Domcapitels sehr deutlich wie demonstrativ
in der Regel solche Wallfahrten (die von Dr. Sigl geleitet werden) verlaufen
und um Verwicklungen mit der Polizei zu verhüten, gaben einige Mitglieder
des Ordinariats, bei denen angefragt wurde, dieser Meinung unverhohlen
Ausdruck.

Die Sache unterblieb, aber es war richtig verstanden, wenn die beiden
extremsten Blätter darin nicht bloß einen einzelnen Fall, sondern den Beginn
einer systematischen Maßregelung erblicken wollten. Bald wurden die beiden
Organe selbst der Gegenstand der erzbischöflichen Ungnade, man setzte sie unter
der Hand in Kenntniß, daß ein so radicales Auftreten (das man durch eigene
Duldung groß gezogen) nicht fernerhin bestehen könne, und die Pression scheint,
nach dem entrüsteten Schrei zu schließen, den sie den beiden frommen Klopf¬
fechtern entriß, eine sehr energische gewesen zu sein. Gleichwohl war sie nicht
stark genug, man erwiderte die eine Drohung mit der andern, daß man nun
auch gegen das Ordinariat schonungslos zu Felde ziehen werde.

Die Antwort hierauf war ein neuer polemischer Schritt von Seiten der
geistlichen Oberbehörde, der dem „katholischen Volksvereine" galt, indem man
die Mitglieder des Gesellenvereins zum Austritt aus dem vorgenannten zu
bewegen suchte.

So ist denn die Fehde im katholischen Lager nach allen Seiten hin ent¬
brannt, die Preßorgane stehen sich mit der schärfsten Polemik gegenüber, die
Vereine negiren sich gegenseitig und keiner der beiden Gegner will des andern
Berechtigung gelten lassen.

Zunächst spielt dieser Zwiespalt natürlich noch in engeren localen Grenzen
und ist deshalb nach außen hin weniger fühlbar; aber daß er trotz alledem
die Kraft des klerikalen Treibens lahmt, wird Niemand bezweifeln können.


L.


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[0159] Mitteln. Der letztere Punkt gab denn auch Anlaß zu der merkwürdigen Thatsache, daß angesichts der höchsten Gefahr sich dennoch ein Heller Zwist im klerikalen Lager entspann. Denn die Haltung der extremen klerikalen Presse näherte sich bald so sehr den communistischen Tendenzen, daß es insbesondere für die höheren geistlichen Würdenträger fast unmöglich wurde, als solidarisch mit solchen Elementen zu erscheinen und da eine Herabminderung des Tons von solcher Seite nicht zu erlangen war, so blieb nichts übrig, als dieselben successive zu desavouiren und sich auf diese Weise loszumachen. Der erste Schritt in dieser Richtung erfolgte gegen den katholischen Volksverein, dessen Vorstand eine Feierlichkeit zu Ehren des Papstes insceniren wollte. Obwohl die weltlichen Behörden sich bereit zeigten diesen Schritt zu genehmigen, so wußte man doch auf Seite des Domcapitels sehr deutlich wie demonstrativ in der Regel solche Wallfahrten (die von Dr. Sigl geleitet werden) verlaufen und um Verwicklungen mit der Polizei zu verhüten, gaben einige Mitglieder des Ordinariats, bei denen angefragt wurde, dieser Meinung unverhohlen Ausdruck. Die Sache unterblieb, aber es war richtig verstanden, wenn die beiden extremsten Blätter darin nicht bloß einen einzelnen Fall, sondern den Beginn einer systematischen Maßregelung erblicken wollten. Bald wurden die beiden Organe selbst der Gegenstand der erzbischöflichen Ungnade, man setzte sie unter der Hand in Kenntniß, daß ein so radicales Auftreten (das man durch eigene Duldung groß gezogen) nicht fernerhin bestehen könne, und die Pression scheint, nach dem entrüsteten Schrei zu schließen, den sie den beiden frommen Klopf¬ fechtern entriß, eine sehr energische gewesen zu sein. Gleichwohl war sie nicht stark genug, man erwiderte die eine Drohung mit der andern, daß man nun auch gegen das Ordinariat schonungslos zu Felde ziehen werde. Die Antwort hierauf war ein neuer polemischer Schritt von Seiten der geistlichen Oberbehörde, der dem „katholischen Volksvereine" galt, indem man die Mitglieder des Gesellenvereins zum Austritt aus dem vorgenannten zu bewegen suchte. So ist denn die Fehde im katholischen Lager nach allen Seiten hin ent¬ brannt, die Preßorgane stehen sich mit der schärfsten Polemik gegenüber, die Vereine negiren sich gegenseitig und keiner der beiden Gegner will des andern Berechtigung gelten lassen. Zunächst spielt dieser Zwiespalt natürlich noch in engeren localen Grenzen und ist deshalb nach außen hin weniger fühlbar; aber daß er trotz alledem die Kraft des klerikalen Treibens lahmt, wird Niemand bezweifeln können. L.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/159>, abgerufen am 22.07.2024.