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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Denn nur nachdem der Reichstag das Jesuitengesetz als ein gesammt-
verbindliches für-Deutschland sanctionirt hat, nachdem Bayern im Bundes^
rath seine Zustimmung ausdrücklich ertheilte, hat es vor dem gesammten Volke
die Verpflichtung übernommen, treu nach diesem Gesetz zu handeln. Aber
nicht nur der Wortlaut, der Geist aus dem es geschaffen wurde und der in
den Verhandlungen zu Tage trat, ist das verpflichtende Moment, aus diesem
soll und muß der Staat die einzelnen kirchlichen Fragen erledigen, die der
Lauf des Tages ihm entgegenbringt. Wir wissen wohl daß klerikale Blätter
diesen Geist ausdrücklich als einen kirchenfeindlichen bezeichnet haben, aber
dieselben Organe haben sich ja vor der trotzigen Bemerkung nicht gescheut,
daß Kirche und Papstthum, daß Katholicismus und das was man "Ultra¬
montanismus" nennt, völlig identisch seien. Faßt man die Sache so, dann
freilich mag man den Geist der deutschen Politik als einen ktrchenfeindlichen
bezeichnen, aber doch auch dann nur in jenem Sinne, wie man den als Feind
bezeichnet, der feierlich den Krieg erklärt. Deutschland bekämpft nicht die
katholische Kirche, sondern das System nach welchem sie gegenwärtig regiert
wird; will man beides als absolut untrennbar identificiren, so liegt die Schuld
wahrhaftig nicht auf liberaler Seite.

Für Bayern ist die Energie, mit welcher sich das Reich der religiösen
Krisis bemächtigt hat, unendlich wichtig. Die Last der Idee, die Last der
Verantwortung ist dadurch aus seinen schwächeren Armen auf die herkulischen
Schultern des Gesammtstaats übergegangen. Der Rückhalt, den seine Regierung
dadurch gewann, ist für sie, die jede Action so scrupulös behandelt, von un¬
schätzbarem Werthe. Selbst jene, die nur mit halbem Glauben in die Ge¬
meinschaft des Reiches eintraten, müssen sich nun angesichts der klerikalen
Revolution gestehen, daß es sich nicht um eine Schwächung, sondern um den
kräftigen Schutz der Einzelstaaten handelt, mit einem Worte der geistige wie
der politische Zusammenhang zwischen Nord und Süd wird mächtig durch
die Gemeinschaft dieser Aufgabe gefördert. Es ist die größte, die einzig analoge,
die seit dem Kriege von 1870 an die deutschen Stämme herantrat, auch ihre
einigende Kraft wird eine analoge sein.

Daß die klerikalen Elemente des Landes dadurch natürlich der deutschen
Partei noch tiefer entfremdet werden, liegt auf der Hand, die Kluft zwischen
beiden ist eine unversöhnliche geworden.

Wie allerwärts, so rüsteten sie sich auch in Bayern zum leidenschaftlichsten
Kampfe, die Erbittertsten unter ihnen schlugen sogleich mit vollem Jngrimme
drein, und zwar nach alter Bauernsitte mit Sense und Morgenstern. Die
Bedächtiger indessen wählten ihre Wege weniger offen, sie suchen mehr eine
tiefergehende Verstimmung, als einen raschen Ausbruch des Unmuths herbei¬
zuführen, sie sind nicht verschieden in ihren Zwecken, aber wohl in ihren


Denn nur nachdem der Reichstag das Jesuitengesetz als ein gesammt-
verbindliches für-Deutschland sanctionirt hat, nachdem Bayern im Bundes^
rath seine Zustimmung ausdrücklich ertheilte, hat es vor dem gesammten Volke
die Verpflichtung übernommen, treu nach diesem Gesetz zu handeln. Aber
nicht nur der Wortlaut, der Geist aus dem es geschaffen wurde und der in
den Verhandlungen zu Tage trat, ist das verpflichtende Moment, aus diesem
soll und muß der Staat die einzelnen kirchlichen Fragen erledigen, die der
Lauf des Tages ihm entgegenbringt. Wir wissen wohl daß klerikale Blätter
diesen Geist ausdrücklich als einen kirchenfeindlichen bezeichnet haben, aber
dieselben Organe haben sich ja vor der trotzigen Bemerkung nicht gescheut,
daß Kirche und Papstthum, daß Katholicismus und das was man „Ultra¬
montanismus" nennt, völlig identisch seien. Faßt man die Sache so, dann
freilich mag man den Geist der deutschen Politik als einen ktrchenfeindlichen
bezeichnen, aber doch auch dann nur in jenem Sinne, wie man den als Feind
bezeichnet, der feierlich den Krieg erklärt. Deutschland bekämpft nicht die
katholische Kirche, sondern das System nach welchem sie gegenwärtig regiert
wird; will man beides als absolut untrennbar identificiren, so liegt die Schuld
wahrhaftig nicht auf liberaler Seite.

Für Bayern ist die Energie, mit welcher sich das Reich der religiösen
Krisis bemächtigt hat, unendlich wichtig. Die Last der Idee, die Last der
Verantwortung ist dadurch aus seinen schwächeren Armen auf die herkulischen
Schultern des Gesammtstaats übergegangen. Der Rückhalt, den seine Regierung
dadurch gewann, ist für sie, die jede Action so scrupulös behandelt, von un¬
schätzbarem Werthe. Selbst jene, die nur mit halbem Glauben in die Ge¬
meinschaft des Reiches eintraten, müssen sich nun angesichts der klerikalen
Revolution gestehen, daß es sich nicht um eine Schwächung, sondern um den
kräftigen Schutz der Einzelstaaten handelt, mit einem Worte der geistige wie
der politische Zusammenhang zwischen Nord und Süd wird mächtig durch
die Gemeinschaft dieser Aufgabe gefördert. Es ist die größte, die einzig analoge,
die seit dem Kriege von 1870 an die deutschen Stämme herantrat, auch ihre
einigende Kraft wird eine analoge sein.

Daß die klerikalen Elemente des Landes dadurch natürlich der deutschen
Partei noch tiefer entfremdet werden, liegt auf der Hand, die Kluft zwischen
beiden ist eine unversöhnliche geworden.

Wie allerwärts, so rüsteten sie sich auch in Bayern zum leidenschaftlichsten
Kampfe, die Erbittertsten unter ihnen schlugen sogleich mit vollem Jngrimme
drein, und zwar nach alter Bauernsitte mit Sense und Morgenstern. Die
Bedächtiger indessen wählten ihre Wege weniger offen, sie suchen mehr eine
tiefergehende Verstimmung, als einen raschen Ausbruch des Unmuths herbei¬
zuführen, sie sind nicht verschieden in ihren Zwecken, aber wohl in ihren


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[0158] Denn nur nachdem der Reichstag das Jesuitengesetz als ein gesammt- verbindliches für-Deutschland sanctionirt hat, nachdem Bayern im Bundes^ rath seine Zustimmung ausdrücklich ertheilte, hat es vor dem gesammten Volke die Verpflichtung übernommen, treu nach diesem Gesetz zu handeln. Aber nicht nur der Wortlaut, der Geist aus dem es geschaffen wurde und der in den Verhandlungen zu Tage trat, ist das verpflichtende Moment, aus diesem soll und muß der Staat die einzelnen kirchlichen Fragen erledigen, die der Lauf des Tages ihm entgegenbringt. Wir wissen wohl daß klerikale Blätter diesen Geist ausdrücklich als einen kirchenfeindlichen bezeichnet haben, aber dieselben Organe haben sich ja vor der trotzigen Bemerkung nicht gescheut, daß Kirche und Papstthum, daß Katholicismus und das was man „Ultra¬ montanismus" nennt, völlig identisch seien. Faßt man die Sache so, dann freilich mag man den Geist der deutschen Politik als einen ktrchenfeindlichen bezeichnen, aber doch auch dann nur in jenem Sinne, wie man den als Feind bezeichnet, der feierlich den Krieg erklärt. Deutschland bekämpft nicht die katholische Kirche, sondern das System nach welchem sie gegenwärtig regiert wird; will man beides als absolut untrennbar identificiren, so liegt die Schuld wahrhaftig nicht auf liberaler Seite. Für Bayern ist die Energie, mit welcher sich das Reich der religiösen Krisis bemächtigt hat, unendlich wichtig. Die Last der Idee, die Last der Verantwortung ist dadurch aus seinen schwächeren Armen auf die herkulischen Schultern des Gesammtstaats übergegangen. Der Rückhalt, den seine Regierung dadurch gewann, ist für sie, die jede Action so scrupulös behandelt, von un¬ schätzbarem Werthe. Selbst jene, die nur mit halbem Glauben in die Ge¬ meinschaft des Reiches eintraten, müssen sich nun angesichts der klerikalen Revolution gestehen, daß es sich nicht um eine Schwächung, sondern um den kräftigen Schutz der Einzelstaaten handelt, mit einem Worte der geistige wie der politische Zusammenhang zwischen Nord und Süd wird mächtig durch die Gemeinschaft dieser Aufgabe gefördert. Es ist die größte, die einzig analoge, die seit dem Kriege von 1870 an die deutschen Stämme herantrat, auch ihre einigende Kraft wird eine analoge sein. Daß die klerikalen Elemente des Landes dadurch natürlich der deutschen Partei noch tiefer entfremdet werden, liegt auf der Hand, die Kluft zwischen beiden ist eine unversöhnliche geworden. Wie allerwärts, so rüsteten sie sich auch in Bayern zum leidenschaftlichsten Kampfe, die Erbittertsten unter ihnen schlugen sogleich mit vollem Jngrimme drein, und zwar nach alter Bauernsitte mit Sense und Morgenstern. Die Bedächtiger indessen wählten ihre Wege weniger offen, sie suchen mehr eine tiefergehende Verstimmung, als einen raschen Ausbruch des Unmuths herbei¬ zuführen, sie sind nicht verschieden in ihren Zwecken, aber wohl in ihren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/158>, abgerufen am 22.07.2024.