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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Der Bericht beginnt mit dem Auftreten der Cholera in Kiew im Herbste
1869, von wo sie sich schnell über die südlichen, mittleren und westlichen Pro¬
vinzen Rußlands verbreitete. Im Januar 1870 erreichte sie Moskau und
im Februar wurden Fälle aus Nowgorod berichtet. Während des Sommers
und Herbstes wurde die Krankheit immer heftiger und ausgebreiteter, sie nahm
nun ganz Rußland südlich von Moskau bis ans Schwarze Meer, bis zum
Kaukasus und der persischen Grenze ein; im Jahre darauf (1871) ergriff sie
auch den noch freien nördlichen Theil Rußlands, übersprang den Ural und
das kaspische Meer und reichte bis tief nach Sibirien hinein. Im Juli trat
sie nun unserm Baterlande näher. Königsberg, am regsten durch den Handel
mit dem polnischen Hinterkante verknüpft, wies die ersten Fälle auf. Im
August waren Memel, Danzig, Elbing, Stettin, Swinemünde und die Nach-
bardistriete inficirt -- vereinzelte Fälle kamen in Berlin vor, bald darauf
auch in Hamburg und Altona. Am 3. September vorigen Jahres erschien
die Cholera zu Hernosand in Schweden. Am 10. October segelte ein Aus¬
wandererschiff von Stettin nach New-Bork und berührte aus seiner Reise
Kopenhagen und Christiansand und eine Woche später, nachdem Christiansand
verlassen war, erschien am Bord die Cholera. Hierdurch wurde sie am 6.
November nach Halifax in Neu-Schottland (Britisch Nordamerika) verpflanzt
und von dort durch den Schiffszimmermann noch 26 englische Meilen land¬
einwärts nach dem Dorfe Chezeteook verschleppt. Andrerseits führten im
September Dampfer die Cholera von Hamburg nach Hartlepool in England,
wo zwei Fälle vorkamen.

Wir haben hier nun eine ganz genau geographisch und chronologisch zu¬
sammenhängende Kette von Cholerafällen, die im Herbste 1869 zu Kiew in
Südrußland beginnen und im November 1871 zu Halifax in Amerika endigen.
In ganz gleicher zusammenhängender Weise verfolgt der Verfasser des ange¬
führten Berichtes nun auch dieselbe Epidemie durch den ganzen Orient; er
zeigt, wie sie in die Häfen des Mittelmeeres verschleppt und wie eine gleich¬
zeitig in Persien herrschende große Epidemie durch Pilger und Karawanen über
Arabien bis zum rothen Meere verbreitet wurde.

In allen diesen Fällen kann als absolut sicher angenommen werden, daß
die Verbreitung der Cholera auf weite Strecken hin dasErgebniß mensch¬
licher Bewegung von Ort zu Ort war. Die Epidemie selbst geht
nicht --sie wird getragen. Wir kommen hieraus wieder zurückund besprechen
hier nur noch die neuste, eine ganz entgegengesetzte Ansicht vertretende englische
Entdeckung, welche große Choleraströme in der Luft annimmt, die mit der
Häufigkeit oder Seltenheit der Sonnenflecken in Verbindung
stehen, ol-. B. G. Jenkins, der mit vieler Mühe, großen Berechnungen
und nach der Zusammentragung von Tausenden von Thatsachen diese Theorie


Der Bericht beginnt mit dem Auftreten der Cholera in Kiew im Herbste
1869, von wo sie sich schnell über die südlichen, mittleren und westlichen Pro¬
vinzen Rußlands verbreitete. Im Januar 1870 erreichte sie Moskau und
im Februar wurden Fälle aus Nowgorod berichtet. Während des Sommers
und Herbstes wurde die Krankheit immer heftiger und ausgebreiteter, sie nahm
nun ganz Rußland südlich von Moskau bis ans Schwarze Meer, bis zum
Kaukasus und der persischen Grenze ein; im Jahre darauf (1871) ergriff sie
auch den noch freien nördlichen Theil Rußlands, übersprang den Ural und
das kaspische Meer und reichte bis tief nach Sibirien hinein. Im Juli trat
sie nun unserm Baterlande näher. Königsberg, am regsten durch den Handel
mit dem polnischen Hinterkante verknüpft, wies die ersten Fälle auf. Im
August waren Memel, Danzig, Elbing, Stettin, Swinemünde und die Nach-
bardistriete inficirt — vereinzelte Fälle kamen in Berlin vor, bald darauf
auch in Hamburg und Altona. Am 3. September vorigen Jahres erschien
die Cholera zu Hernosand in Schweden. Am 10. October segelte ein Aus¬
wandererschiff von Stettin nach New-Bork und berührte aus seiner Reise
Kopenhagen und Christiansand und eine Woche später, nachdem Christiansand
verlassen war, erschien am Bord die Cholera. Hierdurch wurde sie am 6.
November nach Halifax in Neu-Schottland (Britisch Nordamerika) verpflanzt
und von dort durch den Schiffszimmermann noch 26 englische Meilen land¬
einwärts nach dem Dorfe Chezeteook verschleppt. Andrerseits führten im
September Dampfer die Cholera von Hamburg nach Hartlepool in England,
wo zwei Fälle vorkamen.

Wir haben hier nun eine ganz genau geographisch und chronologisch zu¬
sammenhängende Kette von Cholerafällen, die im Herbste 1869 zu Kiew in
Südrußland beginnen und im November 1871 zu Halifax in Amerika endigen.
In ganz gleicher zusammenhängender Weise verfolgt der Verfasser des ange¬
führten Berichtes nun auch dieselbe Epidemie durch den ganzen Orient; er
zeigt, wie sie in die Häfen des Mittelmeeres verschleppt und wie eine gleich¬
zeitig in Persien herrschende große Epidemie durch Pilger und Karawanen über
Arabien bis zum rothen Meere verbreitet wurde.

In allen diesen Fällen kann als absolut sicher angenommen werden, daß
die Verbreitung der Cholera auf weite Strecken hin dasErgebniß mensch¬
licher Bewegung von Ort zu Ort war. Die Epidemie selbst geht
nicht —sie wird getragen. Wir kommen hieraus wieder zurückund besprechen
hier nur noch die neuste, eine ganz entgegengesetzte Ansicht vertretende englische
Entdeckung, welche große Choleraströme in der Luft annimmt, die mit der
Häufigkeit oder Seltenheit der Sonnenflecken in Verbindung
stehen, ol-. B. G. Jenkins, der mit vieler Mühe, großen Berechnungen
und nach der Zusammentragung von Tausenden von Thatsachen diese Theorie


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[0141] Der Bericht beginnt mit dem Auftreten der Cholera in Kiew im Herbste 1869, von wo sie sich schnell über die südlichen, mittleren und westlichen Pro¬ vinzen Rußlands verbreitete. Im Januar 1870 erreichte sie Moskau und im Februar wurden Fälle aus Nowgorod berichtet. Während des Sommers und Herbstes wurde die Krankheit immer heftiger und ausgebreiteter, sie nahm nun ganz Rußland südlich von Moskau bis ans Schwarze Meer, bis zum Kaukasus und der persischen Grenze ein; im Jahre darauf (1871) ergriff sie auch den noch freien nördlichen Theil Rußlands, übersprang den Ural und das kaspische Meer und reichte bis tief nach Sibirien hinein. Im Juli trat sie nun unserm Baterlande näher. Königsberg, am regsten durch den Handel mit dem polnischen Hinterkante verknüpft, wies die ersten Fälle auf. Im August waren Memel, Danzig, Elbing, Stettin, Swinemünde und die Nach- bardistriete inficirt — vereinzelte Fälle kamen in Berlin vor, bald darauf auch in Hamburg und Altona. Am 3. September vorigen Jahres erschien die Cholera zu Hernosand in Schweden. Am 10. October segelte ein Aus¬ wandererschiff von Stettin nach New-Bork und berührte aus seiner Reise Kopenhagen und Christiansand und eine Woche später, nachdem Christiansand verlassen war, erschien am Bord die Cholera. Hierdurch wurde sie am 6. November nach Halifax in Neu-Schottland (Britisch Nordamerika) verpflanzt und von dort durch den Schiffszimmermann noch 26 englische Meilen land¬ einwärts nach dem Dorfe Chezeteook verschleppt. Andrerseits führten im September Dampfer die Cholera von Hamburg nach Hartlepool in England, wo zwei Fälle vorkamen. Wir haben hier nun eine ganz genau geographisch und chronologisch zu¬ sammenhängende Kette von Cholerafällen, die im Herbste 1869 zu Kiew in Südrußland beginnen und im November 1871 zu Halifax in Amerika endigen. In ganz gleicher zusammenhängender Weise verfolgt der Verfasser des ange¬ führten Berichtes nun auch dieselbe Epidemie durch den ganzen Orient; er zeigt, wie sie in die Häfen des Mittelmeeres verschleppt und wie eine gleich¬ zeitig in Persien herrschende große Epidemie durch Pilger und Karawanen über Arabien bis zum rothen Meere verbreitet wurde. In allen diesen Fällen kann als absolut sicher angenommen werden, daß die Verbreitung der Cholera auf weite Strecken hin dasErgebniß mensch¬ licher Bewegung von Ort zu Ort war. Die Epidemie selbst geht nicht —sie wird getragen. Wir kommen hieraus wieder zurückund besprechen hier nur noch die neuste, eine ganz entgegengesetzte Ansicht vertretende englische Entdeckung, welche große Choleraströme in der Luft annimmt, die mit der Häufigkeit oder Seltenheit der Sonnenflecken in Verbindung stehen, ol-. B. G. Jenkins, der mit vieler Mühe, großen Berechnungen und nach der Zusammentragung von Tausenden von Thatsachen diese Theorie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/141>, abgerufen am 22.12.2024.