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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Gemeinde, in der Kirche selbst begraben, sie selbst aber auf den Wunsch ihrer
Verwandten vom Landvogt von Wimmis nach Bern gebracht. Dort war sie.
wie sie ausdrücklich bemerkt, die erste, welche im langen bis zur Erde nieder¬
wallenden Trauerflor den Tod ihres Mannes beklagte. Ihr Beispiel wurde
später von allen Frauen der besseren Stände nachgeahmt. Einige Monate
lebte sie zurückgezogen in einem schönen Hause, das ihr ihr Bruder gemiethet
hatte, bestürmt von mancherlei Heirathsanträgen, die sie abwies.

Aber schon am 2. Oetober 1679 reichte die verwittwete Pfarrerin Leclere
dem Herrn Perregaux, Gerichtsschreiber*) von Vallengin, in der Kirche zu Sec¬
tors bei Aarberg die Hand am Altare. Das Hochzeitspaar kam Nachts in
Vallengin**) an. Da kam ihm die Miliz eine halbe Stunde weit mit Fackeln
entgegen. Bei der Ankunft im Dorf und während der ganzen Brautnacht
schoß man mit Petarden und Hakenbüchsen und drei ganze Tage lang blieben
die guten Leute von Vallengin unter den Waffen, um ihre neue Gerichts-
schreiberin zu verherrlichen. Der Neuenburger floß in Strömen, ja die vor¬
nehmen "Herrensöhne" von Neuenburg kamen nach Vallengin heraus und
acht Tage lang wurde von ihnen mit den Begleiterinnen der jungen Frau
getanzt, gespielt und gesungen. Ob sie schon dazumal Pfänder ausgelöst,
wird uns nicht gesagt. Jedenfalls wird der Erfindungsgeist der jungen Welt
ihnen schon Gelegenheit gegeben haben, sich gegenseitig ihrer Zärtlichkeit zu
versichern. Zwei Jahre gingen in ungetrübter Freude und ehelichen Glück
vorüber und am Ende des dritten ward ihre Freude gekrönt durch die Geburt
eines lieblichen Knaben. --

Drüben in der Franche-Comte lebte als Abt von Beaume-les-Moines
Jean de Wattewille, Abkömmling eines zur Zeit der Reformation nach Frank¬
reich ausgewanderten Zweigs der Familie von Wattenwyl -- ein wunderlicher
Heiliger. Als Oberst in Spanien beginnend, war er in Paris Capuziner,
später Karthäusermönch geworden, und hatte als solcher seinen Prior erstochen.
Er floh. Nach allerhand Gewaltthaten und sonderbaren Schicksalen trat er
zum Muhamedanismus über und ward Pascha von Morea. Ihm war aber
nicht wohl. Er verrieth einen Theil seines Gebiets an die Venetianer und
erhielt für diese Judasthat die päpstliche Absolution, die Vergebung für seinen
Abfall vom Christenthum und obendrein die reiche Pfründe Beaume les Moines
in der Freigrafschaft Burgund. Ein angesehener Freund der Madame
Perregaux ersuchte sie nun, zu diesem Abt von Wattenwyl zu reisen und
diesen zu bitten, für ihn beim Hof von Versailles behufs Erlangung einer




") Der "Gerichtsschreiber" jener Tage ist keineswegs ein Subalternbeamter, wie das Ende
D. Red. unsrer Erzählung bestätigt.
D. Red. -) Im heutigen Kanton Neuenburg.

Gemeinde, in der Kirche selbst begraben, sie selbst aber auf den Wunsch ihrer
Verwandten vom Landvogt von Wimmis nach Bern gebracht. Dort war sie.
wie sie ausdrücklich bemerkt, die erste, welche im langen bis zur Erde nieder¬
wallenden Trauerflor den Tod ihres Mannes beklagte. Ihr Beispiel wurde
später von allen Frauen der besseren Stände nachgeahmt. Einige Monate
lebte sie zurückgezogen in einem schönen Hause, das ihr ihr Bruder gemiethet
hatte, bestürmt von mancherlei Heirathsanträgen, die sie abwies.

Aber schon am 2. Oetober 1679 reichte die verwittwete Pfarrerin Leclere
dem Herrn Perregaux, Gerichtsschreiber*) von Vallengin, in der Kirche zu Sec¬
tors bei Aarberg die Hand am Altare. Das Hochzeitspaar kam Nachts in
Vallengin**) an. Da kam ihm die Miliz eine halbe Stunde weit mit Fackeln
entgegen. Bei der Ankunft im Dorf und während der ganzen Brautnacht
schoß man mit Petarden und Hakenbüchsen und drei ganze Tage lang blieben
die guten Leute von Vallengin unter den Waffen, um ihre neue Gerichts-
schreiberin zu verherrlichen. Der Neuenburger floß in Strömen, ja die vor¬
nehmen „Herrensöhne" von Neuenburg kamen nach Vallengin heraus und
acht Tage lang wurde von ihnen mit den Begleiterinnen der jungen Frau
getanzt, gespielt und gesungen. Ob sie schon dazumal Pfänder ausgelöst,
wird uns nicht gesagt. Jedenfalls wird der Erfindungsgeist der jungen Welt
ihnen schon Gelegenheit gegeben haben, sich gegenseitig ihrer Zärtlichkeit zu
versichern. Zwei Jahre gingen in ungetrübter Freude und ehelichen Glück
vorüber und am Ende des dritten ward ihre Freude gekrönt durch die Geburt
eines lieblichen Knaben. —

Drüben in der Franche-Comte lebte als Abt von Beaume-les-Moines
Jean de Wattewille, Abkömmling eines zur Zeit der Reformation nach Frank¬
reich ausgewanderten Zweigs der Familie von Wattenwyl — ein wunderlicher
Heiliger. Als Oberst in Spanien beginnend, war er in Paris Capuziner,
später Karthäusermönch geworden, und hatte als solcher seinen Prior erstochen.
Er floh. Nach allerhand Gewaltthaten und sonderbaren Schicksalen trat er
zum Muhamedanismus über und ward Pascha von Morea. Ihm war aber
nicht wohl. Er verrieth einen Theil seines Gebiets an die Venetianer und
erhielt für diese Judasthat die päpstliche Absolution, die Vergebung für seinen
Abfall vom Christenthum und obendrein die reiche Pfründe Beaume les Moines
in der Freigrafschaft Burgund. Ein angesehener Freund der Madame
Perregaux ersuchte sie nun, zu diesem Abt von Wattenwyl zu reisen und
diesen zu bitten, für ihn beim Hof von Versailles behufs Erlangung einer




") Der „Gerichtsschreiber" jener Tage ist keineswegs ein Subalternbeamter, wie das Ende
D. Red. unsrer Erzählung bestätigt.
D. Red. -) Im heutigen Kanton Neuenburg.
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[0135] Gemeinde, in der Kirche selbst begraben, sie selbst aber auf den Wunsch ihrer Verwandten vom Landvogt von Wimmis nach Bern gebracht. Dort war sie. wie sie ausdrücklich bemerkt, die erste, welche im langen bis zur Erde nieder¬ wallenden Trauerflor den Tod ihres Mannes beklagte. Ihr Beispiel wurde später von allen Frauen der besseren Stände nachgeahmt. Einige Monate lebte sie zurückgezogen in einem schönen Hause, das ihr ihr Bruder gemiethet hatte, bestürmt von mancherlei Heirathsanträgen, die sie abwies. Aber schon am 2. Oetober 1679 reichte die verwittwete Pfarrerin Leclere dem Herrn Perregaux, Gerichtsschreiber*) von Vallengin, in der Kirche zu Sec¬ tors bei Aarberg die Hand am Altare. Das Hochzeitspaar kam Nachts in Vallengin**) an. Da kam ihm die Miliz eine halbe Stunde weit mit Fackeln entgegen. Bei der Ankunft im Dorf und während der ganzen Brautnacht schoß man mit Petarden und Hakenbüchsen und drei ganze Tage lang blieben die guten Leute von Vallengin unter den Waffen, um ihre neue Gerichts- schreiberin zu verherrlichen. Der Neuenburger floß in Strömen, ja die vor¬ nehmen „Herrensöhne" von Neuenburg kamen nach Vallengin heraus und acht Tage lang wurde von ihnen mit den Begleiterinnen der jungen Frau getanzt, gespielt und gesungen. Ob sie schon dazumal Pfänder ausgelöst, wird uns nicht gesagt. Jedenfalls wird der Erfindungsgeist der jungen Welt ihnen schon Gelegenheit gegeben haben, sich gegenseitig ihrer Zärtlichkeit zu versichern. Zwei Jahre gingen in ungetrübter Freude und ehelichen Glück vorüber und am Ende des dritten ward ihre Freude gekrönt durch die Geburt eines lieblichen Knaben. — Drüben in der Franche-Comte lebte als Abt von Beaume-les-Moines Jean de Wattewille, Abkömmling eines zur Zeit der Reformation nach Frank¬ reich ausgewanderten Zweigs der Familie von Wattenwyl — ein wunderlicher Heiliger. Als Oberst in Spanien beginnend, war er in Paris Capuziner, später Karthäusermönch geworden, und hatte als solcher seinen Prior erstochen. Er floh. Nach allerhand Gewaltthaten und sonderbaren Schicksalen trat er zum Muhamedanismus über und ward Pascha von Morea. Ihm war aber nicht wohl. Er verrieth einen Theil seines Gebiets an die Venetianer und erhielt für diese Judasthat die päpstliche Absolution, die Vergebung für seinen Abfall vom Christenthum und obendrein die reiche Pfründe Beaume les Moines in der Freigrafschaft Burgund. Ein angesehener Freund der Madame Perregaux ersuchte sie nun, zu diesem Abt von Wattenwyl zu reisen und diesen zu bitten, für ihn beim Hof von Versailles behufs Erlangung einer ") Der „Gerichtsschreiber" jener Tage ist keineswegs ein Subalternbeamter, wie das Ende D. Red. unsrer Erzählung bestätigt. D. Red. -) Im heutigen Kanton Neuenburg.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/135>, abgerufen am 22.12.2024.