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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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und Hofprediger nannten; sie, die Braut eines Baron de Torny; sie, welcher
in der Umgebung Christines von Schweden und am ersten Hof Europa's,
dem von Versailles, eine glänzende Zukunft gelacht hatte -- sollte die Frau
eines Bernischen "Helfers" werden, und mit dieser Heirath all ihre goldenen
Zukunftsträume begraben. Freilich, dazumal galt ein Bernischer Geistlicher
mehr als heut, und dem Willen des Familienrathes war nicht zu trotzen.
Heirathen hieß es, oder dem Einkommen entsagen. Katharina Franciska gab
sich endlich drein. Der Schultheiß von Kirchberger stellte sich selbst als Braut'
Werber im Namen des Helfers Leclere und führte das Paar in seiner Staats-
carosse nach Völliger, wo sie copulirt wurden. Die unausgesetzte und innige
Zärtlichkeit ihres jungen Gatten stimmte endlich ihr Herz gnädig, und sie er¬
gab sich in ihr Geschick. Nachdem sie es vier Jahre in Bern ausgehalten,
bestimmte sie ihren Gatten, sich für eine Landpfarrei zu melden. Denn es
wurde ihr zu schwer, sich im Kopftüchlein und der vorschriftsmäßigen Kleidung,
die ihr Gesicht und Taille entstellten, unter ihren früheren Anbetern zu
bewegen.

Im Jahre 1673 ward die alte Augustiner-Probstei im Niedersimmenthal
auf dem rechten Ufer der wildschäumenden Sinne neu und wohnlich einge¬
richtet und Katharina Francisca Leclere hielt mit ihrem' Gatten als "Frau
Pfarrer" ihren Einzug im Pfarrhaus Darstellen. Was zum damaligen Lebens-
comfort gehörte, fand sich unter ihrem gastlichen Dach, so daß selbst der
Schultheiß von Bern*) Sigmund von Erlach nicht verschmähte, sie mit seinem
Besuch zu beehren. Es handelte sich damals nämlich um die Untersuchung
der neu entdeckten Weißenburger**) Quelle. Dieser Untersuchung unterzog
sich das oberste Standeshaupt selbst mit einem Gefolge von Räthen und
Aerzten. Frau Leclere gab ihm mit ihrem Mann das Geleite und beher¬
bergte die vornehme Gesellschaft in ihrem Hause.

Allmählig fand sie sich in die neuen Verhältnisse. Die Simmenthäler
ließen es nicht an Höflichkeiten und Aufmerksamkeiten fehlen, so daß die Frau
Pfarrer dem Mutterwitz der Bevölkerung und ihrem natürlichen Talente
geselligen Umgangs alle Gerechtigkeit widerfahren ließ, ja den Wunsch aus¬
sprach, alle Tage ihres Lebens mit dem liebenswürdigen Völklein verkehren
zu dürfen. -- Doch die Idylle im grünen Simmenthal sollte nicht von Dauer
sein. Durch wollene Stoffe weiter verpflanzt, verbreitete sich die Pest in die
Thäler des Oberlandes und raffte 1679 auch den Pfarrer von Darstellen hin,
trotz aller ärztlichen Sorgfalt und treuen Pflege der Gattin. Leclere wurde,
wie seine Frau hervorhebt, zum Zeichen aller Liebe und Anhänglichkeit seiner




D. Red. ") Der "berste Beamte (Präsident) der Republik (Oligarchie) Bern.
D. Red. -) Weißenburg, im Berner Oberland, am Fuße des Stockhorns.

und Hofprediger nannten; sie, die Braut eines Baron de Torny; sie, welcher
in der Umgebung Christines von Schweden und am ersten Hof Europa's,
dem von Versailles, eine glänzende Zukunft gelacht hatte — sollte die Frau
eines Bernischen „Helfers" werden, und mit dieser Heirath all ihre goldenen
Zukunftsträume begraben. Freilich, dazumal galt ein Bernischer Geistlicher
mehr als heut, und dem Willen des Familienrathes war nicht zu trotzen.
Heirathen hieß es, oder dem Einkommen entsagen. Katharina Franciska gab
sich endlich drein. Der Schultheiß von Kirchberger stellte sich selbst als Braut'
Werber im Namen des Helfers Leclere und führte das Paar in seiner Staats-
carosse nach Völliger, wo sie copulirt wurden. Die unausgesetzte und innige
Zärtlichkeit ihres jungen Gatten stimmte endlich ihr Herz gnädig, und sie er¬
gab sich in ihr Geschick. Nachdem sie es vier Jahre in Bern ausgehalten,
bestimmte sie ihren Gatten, sich für eine Landpfarrei zu melden. Denn es
wurde ihr zu schwer, sich im Kopftüchlein und der vorschriftsmäßigen Kleidung,
die ihr Gesicht und Taille entstellten, unter ihren früheren Anbetern zu
bewegen.

Im Jahre 1673 ward die alte Augustiner-Probstei im Niedersimmenthal
auf dem rechten Ufer der wildschäumenden Sinne neu und wohnlich einge¬
richtet und Katharina Francisca Leclere hielt mit ihrem' Gatten als „Frau
Pfarrer" ihren Einzug im Pfarrhaus Darstellen. Was zum damaligen Lebens-
comfort gehörte, fand sich unter ihrem gastlichen Dach, so daß selbst der
Schultheiß von Bern*) Sigmund von Erlach nicht verschmähte, sie mit seinem
Besuch zu beehren. Es handelte sich damals nämlich um die Untersuchung
der neu entdeckten Weißenburger**) Quelle. Dieser Untersuchung unterzog
sich das oberste Standeshaupt selbst mit einem Gefolge von Räthen und
Aerzten. Frau Leclere gab ihm mit ihrem Mann das Geleite und beher¬
bergte die vornehme Gesellschaft in ihrem Hause.

Allmählig fand sie sich in die neuen Verhältnisse. Die Simmenthäler
ließen es nicht an Höflichkeiten und Aufmerksamkeiten fehlen, so daß die Frau
Pfarrer dem Mutterwitz der Bevölkerung und ihrem natürlichen Talente
geselligen Umgangs alle Gerechtigkeit widerfahren ließ, ja den Wunsch aus¬
sprach, alle Tage ihres Lebens mit dem liebenswürdigen Völklein verkehren
zu dürfen. — Doch die Idylle im grünen Simmenthal sollte nicht von Dauer
sein. Durch wollene Stoffe weiter verpflanzt, verbreitete sich die Pest in die
Thäler des Oberlandes und raffte 1679 auch den Pfarrer von Darstellen hin,
trotz aller ärztlichen Sorgfalt und treuen Pflege der Gattin. Leclere wurde,
wie seine Frau hervorhebt, zum Zeichen aller Liebe und Anhänglichkeit seiner




D. Red. ") Der »berste Beamte (Präsident) der Republik (Oligarchie) Bern.
D. Red. -) Weißenburg, im Berner Oberland, am Fuße des Stockhorns.
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[0134] und Hofprediger nannten; sie, die Braut eines Baron de Torny; sie, welcher in der Umgebung Christines von Schweden und am ersten Hof Europa's, dem von Versailles, eine glänzende Zukunft gelacht hatte — sollte die Frau eines Bernischen „Helfers" werden, und mit dieser Heirath all ihre goldenen Zukunftsträume begraben. Freilich, dazumal galt ein Bernischer Geistlicher mehr als heut, und dem Willen des Familienrathes war nicht zu trotzen. Heirathen hieß es, oder dem Einkommen entsagen. Katharina Franciska gab sich endlich drein. Der Schultheiß von Kirchberger stellte sich selbst als Braut' Werber im Namen des Helfers Leclere und führte das Paar in seiner Staats- carosse nach Völliger, wo sie copulirt wurden. Die unausgesetzte und innige Zärtlichkeit ihres jungen Gatten stimmte endlich ihr Herz gnädig, und sie er¬ gab sich in ihr Geschick. Nachdem sie es vier Jahre in Bern ausgehalten, bestimmte sie ihren Gatten, sich für eine Landpfarrei zu melden. Denn es wurde ihr zu schwer, sich im Kopftüchlein und der vorschriftsmäßigen Kleidung, die ihr Gesicht und Taille entstellten, unter ihren früheren Anbetern zu bewegen. Im Jahre 1673 ward die alte Augustiner-Probstei im Niedersimmenthal auf dem rechten Ufer der wildschäumenden Sinne neu und wohnlich einge¬ richtet und Katharina Francisca Leclere hielt mit ihrem' Gatten als „Frau Pfarrer" ihren Einzug im Pfarrhaus Darstellen. Was zum damaligen Lebens- comfort gehörte, fand sich unter ihrem gastlichen Dach, so daß selbst der Schultheiß von Bern*) Sigmund von Erlach nicht verschmähte, sie mit seinem Besuch zu beehren. Es handelte sich damals nämlich um die Untersuchung der neu entdeckten Weißenburger**) Quelle. Dieser Untersuchung unterzog sich das oberste Standeshaupt selbst mit einem Gefolge von Räthen und Aerzten. Frau Leclere gab ihm mit ihrem Mann das Geleite und beher¬ bergte die vornehme Gesellschaft in ihrem Hause. Allmählig fand sie sich in die neuen Verhältnisse. Die Simmenthäler ließen es nicht an Höflichkeiten und Aufmerksamkeiten fehlen, so daß die Frau Pfarrer dem Mutterwitz der Bevölkerung und ihrem natürlichen Talente geselligen Umgangs alle Gerechtigkeit widerfahren ließ, ja den Wunsch aus¬ sprach, alle Tage ihres Lebens mit dem liebenswürdigen Völklein verkehren zu dürfen. — Doch die Idylle im grünen Simmenthal sollte nicht von Dauer sein. Durch wollene Stoffe weiter verpflanzt, verbreitete sich die Pest in die Thäler des Oberlandes und raffte 1679 auch den Pfarrer von Darstellen hin, trotz aller ärztlichen Sorgfalt und treuen Pflege der Gattin. Leclere wurde, wie seine Frau hervorhebt, zum Zeichen aller Liebe und Anhänglichkeit seiner D. Red. ") Der »berste Beamte (Präsident) der Republik (Oligarchie) Bern. D. Red. -) Weißenburg, im Berner Oberland, am Fuße des Stockhorns.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/134>, abgerufen am 22.12.2024.