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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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"Siehe, wir preisen selig" beginnend, mit Bachs wunderbarer Cantate: "Got¬
tes Zeit ist die allerbeste Zeit," schließend, an gleicher Stelle für Rosa Cursch¬
mann abgehalten.

Curschmann hatte, wie bereits bemerkt wurde, nicht nur ein ungewöhn¬
liches Talent für die Composition, insbesondere für die Branche des Liedes,
sondern dieses Talent wurde auch durch eine seltene Begabung unterstützt, die
eigenen Compositionen wunderschön vortragen zu können. Er sang mit Geist
und Ausdruck und hatte als ausübender Künstler ebenso große Erfolge wie
als Tonsetzer. Zeitgenossen können nicht genug die Zartheit seines Vortrags
und dessen feine Nüancen preisen. Der sonst im Lob nicht sehr freigebige
Rellstab rühmt mit unverhohlener Anerkennung dieses eigenthümliche Gesangs¬
talent. "Obwohl Curschmann -- sagt er -- keine sehr klangvolle Stimme
besaß, so vermochte er doch einen unglaublichen Einfluß auf die Hörer (na¬
mentlich die Hörerinnen) zu üben und nicht selten unmittelbar vorausge¬
gangene Leistungen großer Sänger völlig zu besiegen. Allerdings erschien
gegen die Gesangsweise Bernhard Kleins, der Würde und Adel selbst in der
süßesten melodischen Verschmelzung beizubehalten wußte, Curschmanns Art des
Vertrages zu weich, zu sentimental; allein die Gattung einmal zugegeben
(etwa wie Spohrs eigenthümliche Weichheit der Modulation), mußte man
eingestehen, daß sie in sich höchst vollkommen war."

Curschmann schrieb außer wenigen unbekannt gebliebenen geistlichen Chor¬
gesängen, der einactigen Oper: "Abdul und Erinnieh", Op. 12, und einer Scene
und Arie: "Romeo", Op. 6, nur ein- und mehrstimmige Lieder und liederartige
Gesänge. Hätte er länger gelebt, er würde sicherlich an größere Werke Hand
angelegt haben. So aber starb er früh, allerdings dennoch in einem Alter,
das Mozart, Schubert und Mendelssohn kaum erreichten, und doch hatten
diese während eines ungewöhnlich kurzen Daseins die Welt mit einer fast
unübersehbaren Fülle der herrlichsten Werke beschenkt. Curschmann neben
diese Genies gestellt, erscheint freilich nur als ein glücklich und reich talentirter
Tonsetzer. Seine Lieder fanden zunächst in Berlin, dann in Norddeutschland
überhaupt großen Beifall. Weitere Verbreitung gewannen sich nur einige;
diejenige, deren sie fast alle würdig sind, erreichten sie nicht. Ein Liedercom-
ponist dringt gegenüber der ungeheuren Production gerade auf diesem Gebiete
schwerer durch, als jeder andere Componist. Dennoch erlebten die Gesänge
Curschmanns wiederholte Ausgaben, aber diese blieben hoch im Preise und
nur aus gewisse Kreise beschränkt. Erst jetzt hat man, wie schon mitgetheilt,
eine nahezu vollständige, handliche, sehr schöne und billige Ausgabe der
Curschmann'schen Lieder seitens der Schlesinger'schen Verlagshandlung ver¬
anstaltet, und das singende, wie das musikalische Publieum überhaupt, hat
alle Ursache sür diese Liedergabe erkenntlich zu sein und ihr vollste Aufmerk-


Grenzbotm l. 1872. - l0

„Siehe, wir preisen selig" beginnend, mit Bachs wunderbarer Cantate: „Got¬
tes Zeit ist die allerbeste Zeit," schließend, an gleicher Stelle für Rosa Cursch¬
mann abgehalten.

Curschmann hatte, wie bereits bemerkt wurde, nicht nur ein ungewöhn¬
liches Talent für die Composition, insbesondere für die Branche des Liedes,
sondern dieses Talent wurde auch durch eine seltene Begabung unterstützt, die
eigenen Compositionen wunderschön vortragen zu können. Er sang mit Geist
und Ausdruck und hatte als ausübender Künstler ebenso große Erfolge wie
als Tonsetzer. Zeitgenossen können nicht genug die Zartheit seines Vortrags
und dessen feine Nüancen preisen. Der sonst im Lob nicht sehr freigebige
Rellstab rühmt mit unverhohlener Anerkennung dieses eigenthümliche Gesangs¬
talent. „Obwohl Curschmann — sagt er — keine sehr klangvolle Stimme
besaß, so vermochte er doch einen unglaublichen Einfluß auf die Hörer (na¬
mentlich die Hörerinnen) zu üben und nicht selten unmittelbar vorausge¬
gangene Leistungen großer Sänger völlig zu besiegen. Allerdings erschien
gegen die Gesangsweise Bernhard Kleins, der Würde und Adel selbst in der
süßesten melodischen Verschmelzung beizubehalten wußte, Curschmanns Art des
Vertrages zu weich, zu sentimental; allein die Gattung einmal zugegeben
(etwa wie Spohrs eigenthümliche Weichheit der Modulation), mußte man
eingestehen, daß sie in sich höchst vollkommen war."

Curschmann schrieb außer wenigen unbekannt gebliebenen geistlichen Chor¬
gesängen, der einactigen Oper: „Abdul und Erinnieh", Op. 12, und einer Scene
und Arie: „Romeo", Op. 6, nur ein- und mehrstimmige Lieder und liederartige
Gesänge. Hätte er länger gelebt, er würde sicherlich an größere Werke Hand
angelegt haben. So aber starb er früh, allerdings dennoch in einem Alter,
das Mozart, Schubert und Mendelssohn kaum erreichten, und doch hatten
diese während eines ungewöhnlich kurzen Daseins die Welt mit einer fast
unübersehbaren Fülle der herrlichsten Werke beschenkt. Curschmann neben
diese Genies gestellt, erscheint freilich nur als ein glücklich und reich talentirter
Tonsetzer. Seine Lieder fanden zunächst in Berlin, dann in Norddeutschland
überhaupt großen Beifall. Weitere Verbreitung gewannen sich nur einige;
diejenige, deren sie fast alle würdig sind, erreichten sie nicht. Ein Liedercom-
ponist dringt gegenüber der ungeheuren Production gerade auf diesem Gebiete
schwerer durch, als jeder andere Componist. Dennoch erlebten die Gesänge
Curschmanns wiederholte Ausgaben, aber diese blieben hoch im Preise und
nur aus gewisse Kreise beschränkt. Erst jetzt hat man, wie schon mitgetheilt,
eine nahezu vollständige, handliche, sehr schöne und billige Ausgabe der
Curschmann'schen Lieder seitens der Schlesinger'schen Verlagshandlung ver¬
anstaltet, und das singende, wie das musikalische Publieum überhaupt, hat
alle Ursache sür diese Liedergabe erkenntlich zu sein und ihr vollste Aufmerk-


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[0081] „Siehe, wir preisen selig" beginnend, mit Bachs wunderbarer Cantate: „Got¬ tes Zeit ist die allerbeste Zeit," schließend, an gleicher Stelle für Rosa Cursch¬ mann abgehalten. Curschmann hatte, wie bereits bemerkt wurde, nicht nur ein ungewöhn¬ liches Talent für die Composition, insbesondere für die Branche des Liedes, sondern dieses Talent wurde auch durch eine seltene Begabung unterstützt, die eigenen Compositionen wunderschön vortragen zu können. Er sang mit Geist und Ausdruck und hatte als ausübender Künstler ebenso große Erfolge wie als Tonsetzer. Zeitgenossen können nicht genug die Zartheit seines Vortrags und dessen feine Nüancen preisen. Der sonst im Lob nicht sehr freigebige Rellstab rühmt mit unverhohlener Anerkennung dieses eigenthümliche Gesangs¬ talent. „Obwohl Curschmann — sagt er — keine sehr klangvolle Stimme besaß, so vermochte er doch einen unglaublichen Einfluß auf die Hörer (na¬ mentlich die Hörerinnen) zu üben und nicht selten unmittelbar vorausge¬ gangene Leistungen großer Sänger völlig zu besiegen. Allerdings erschien gegen die Gesangsweise Bernhard Kleins, der Würde und Adel selbst in der süßesten melodischen Verschmelzung beizubehalten wußte, Curschmanns Art des Vertrages zu weich, zu sentimental; allein die Gattung einmal zugegeben (etwa wie Spohrs eigenthümliche Weichheit der Modulation), mußte man eingestehen, daß sie in sich höchst vollkommen war." Curschmann schrieb außer wenigen unbekannt gebliebenen geistlichen Chor¬ gesängen, der einactigen Oper: „Abdul und Erinnieh", Op. 12, und einer Scene und Arie: „Romeo", Op. 6, nur ein- und mehrstimmige Lieder und liederartige Gesänge. Hätte er länger gelebt, er würde sicherlich an größere Werke Hand angelegt haben. So aber starb er früh, allerdings dennoch in einem Alter, das Mozart, Schubert und Mendelssohn kaum erreichten, und doch hatten diese während eines ungewöhnlich kurzen Daseins die Welt mit einer fast unübersehbaren Fülle der herrlichsten Werke beschenkt. Curschmann neben diese Genies gestellt, erscheint freilich nur als ein glücklich und reich talentirter Tonsetzer. Seine Lieder fanden zunächst in Berlin, dann in Norddeutschland überhaupt großen Beifall. Weitere Verbreitung gewannen sich nur einige; diejenige, deren sie fast alle würdig sind, erreichten sie nicht. Ein Liedercom- ponist dringt gegenüber der ungeheuren Production gerade auf diesem Gebiete schwerer durch, als jeder andere Componist. Dennoch erlebten die Gesänge Curschmanns wiederholte Ausgaben, aber diese blieben hoch im Preise und nur aus gewisse Kreise beschränkt. Erst jetzt hat man, wie schon mitgetheilt, eine nahezu vollständige, handliche, sehr schöne und billige Ausgabe der Curschmann'schen Lieder seitens der Schlesinger'schen Verlagshandlung ver¬ anstaltet, und das singende, wie das musikalische Publieum überhaupt, hat alle Ursache sür diese Liedergabe erkenntlich zu sein und ihr vollste Aufmerk- Grenzbotm l. 1872. - l0

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/81>, abgerufen am 24.08.2024.