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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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die abgeschmacktesten Vorurtheile zu Tage förderte, war die wegen des Eigen¬
thums. In der sechszehnten Sitzung las Murar die im geheimen Comite' an¬
genommenen Beschlüsse vor, die ein förmliches Gesetz zu allgemeiner Beschlag¬
nahme des Eigenthums bilden. Nach diesen Reformatoren sollten "die Stein¬
brüche, die Kohlenminen, die übrigen Bergwerke, ferner die Eisenbahnen der
socialen Collectivität, vertreten durch den Staat, aber den neugeordneten Staat,
gehören, die sie "nicht den Capitalien, wie heutzutage, sondern Arbeiterge¬
sellschaften abzutreten hätte". "Die wirthschaftliche Evolution", um uns des
Euphemismus dieser Herren zu bedienen, "sollte den Eintritt des zur Bebau¬
ung geeigneten Grund und Bodens in das Collectio-Eigenthum zu einer
socialen Nothwendigkeit machen", und "der Grund und Boden soll Ackerbauer-
Gesellschaften zugewiesen werden wie die Minen Bergmanns- und die Eisen¬
bahnen Arbeiter-Gesellschaften." Endlich sollen die Canäle, die Telegraphen¬
leitungen und die Wälder "dem Collectio-Eigenthum der Gesellschaft ver¬
bleiben."

Man begleitete diese radicalen Maßregeln mit einer Menge von Betrach¬
tungen, in denen die Abgeschmacktheit und Gewaltsamkeit sich so gut als
möglich hinter einen mächtigen Apparat von großen scheinbar wissenschaftlichen
Worten zu verstecken suchte. Es wäre viel einfacher gewesen, sich der Mühe
der Aufhäufung solcher schöner Redensarten wie "wirthschaftliche Evolution,"
"sociale Collectivität" und "wissenschaftliche und rationelle Ausbeutung" zu
sparen und einfach zu sagen: wir wollen alle Güter dieser Welt an uns
nehmen, erstens aus dem guten Grunde, weil wir Lust dazu haben, und
zweitens aus dem noch besseren Grunde, weil wir uns stark genug fühlen,
uns ihrer zu bemächtigen?

Von den 49 bei der Abstimmung gegenwärtigen Delegirten stimmten 30
für die Verrücktheiten, nur 4 erklärten sich dagegen, und 15 enthielten sich
der Abgabe ihres Votums. Unter den letztgenannten war Tolain, welcher
folgende Erklärung vorlas:

"In Anbetracht, daß die Eigenthumsfrage erst in der letzten Sitzung auf
die Tagesordnung gebracht worden, daß sie vom allgemeinen Gesichtspunkt
nur auf eine ganz unbedeutende Weise, vom agronomischer Gesichtspunkte
nur in unvollständiger Art studirt worden ist, daß es Angesichts einer ge¬
wissen Anzahl von Delegirten, welche nicht aufgeklärt zu sein behaupten,
naturgemäß war, die Frage an einen künftigen Congreß zu verweisen, lehnen
die unterzeichneten Delegirten, welche sich der Abstimmung enthalten oder mit
Nein gestimmt haben, die Verantwortlichkeit für das Votum ab."

Auf diese Erklärung hin behauptete später Tolain vor der Nationalver¬
sammlung, daß die Gründer der Internationale in ihrem Programm, in der
von ihnen redigieren Denkschrift vom socialen Gesichtspunkt aus das indivi-


Grenzboten II. 1872. o

die abgeschmacktesten Vorurtheile zu Tage förderte, war die wegen des Eigen¬
thums. In der sechszehnten Sitzung las Murar die im geheimen Comite' an¬
genommenen Beschlüsse vor, die ein förmliches Gesetz zu allgemeiner Beschlag¬
nahme des Eigenthums bilden. Nach diesen Reformatoren sollten „die Stein¬
brüche, die Kohlenminen, die übrigen Bergwerke, ferner die Eisenbahnen der
socialen Collectivität, vertreten durch den Staat, aber den neugeordneten Staat,
gehören, die sie „nicht den Capitalien, wie heutzutage, sondern Arbeiterge¬
sellschaften abzutreten hätte". „Die wirthschaftliche Evolution", um uns des
Euphemismus dieser Herren zu bedienen, „sollte den Eintritt des zur Bebau¬
ung geeigneten Grund und Bodens in das Collectio-Eigenthum zu einer
socialen Nothwendigkeit machen", und „der Grund und Boden soll Ackerbauer-
Gesellschaften zugewiesen werden wie die Minen Bergmanns- und die Eisen¬
bahnen Arbeiter-Gesellschaften." Endlich sollen die Canäle, die Telegraphen¬
leitungen und die Wälder „dem Collectio-Eigenthum der Gesellschaft ver¬
bleiben."

Man begleitete diese radicalen Maßregeln mit einer Menge von Betrach¬
tungen, in denen die Abgeschmacktheit und Gewaltsamkeit sich so gut als
möglich hinter einen mächtigen Apparat von großen scheinbar wissenschaftlichen
Worten zu verstecken suchte. Es wäre viel einfacher gewesen, sich der Mühe
der Aufhäufung solcher schöner Redensarten wie „wirthschaftliche Evolution,"
„sociale Collectivität" und „wissenschaftliche und rationelle Ausbeutung" zu
sparen und einfach zu sagen: wir wollen alle Güter dieser Welt an uns
nehmen, erstens aus dem guten Grunde, weil wir Lust dazu haben, und
zweitens aus dem noch besseren Grunde, weil wir uns stark genug fühlen,
uns ihrer zu bemächtigen?

Von den 49 bei der Abstimmung gegenwärtigen Delegirten stimmten 30
für die Verrücktheiten, nur 4 erklärten sich dagegen, und 15 enthielten sich
der Abgabe ihres Votums. Unter den letztgenannten war Tolain, welcher
folgende Erklärung vorlas:

„In Anbetracht, daß die Eigenthumsfrage erst in der letzten Sitzung auf
die Tagesordnung gebracht worden, daß sie vom allgemeinen Gesichtspunkt
nur auf eine ganz unbedeutende Weise, vom agronomischer Gesichtspunkte
nur in unvollständiger Art studirt worden ist, daß es Angesichts einer ge¬
wissen Anzahl von Delegirten, welche nicht aufgeklärt zu sein behaupten,
naturgemäß war, die Frage an einen künftigen Congreß zu verweisen, lehnen
die unterzeichneten Delegirten, welche sich der Abstimmung enthalten oder mit
Nein gestimmt haben, die Verantwortlichkeit für das Votum ab."

Auf diese Erklärung hin behauptete später Tolain vor der Nationalver¬
sammlung, daß die Gründer der Internationale in ihrem Programm, in der
von ihnen redigieren Denkschrift vom socialen Gesichtspunkt aus das indivi-


Grenzboten II. 1872. o
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/65>, abgerufen am 24.08.2024.