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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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von Scheinwerthen hängen, einfach den Hals abzuschneiden. Die Frage ist
eine Erbschaft, welche wir aus den alten traurigen Zeiten in die jetzigen besseren
mit hinübernehmen, und die wir so oder so liquidiren müssen. Der Abgeord¬
nete Bamberger führte aus. daß mit dem definitiven Reichsmünzgesetz noth¬
wendig ein Gesetz über die Regelung des Papiergeldumlaufes vorgelegt werden
muß. Er wies namentlich sehr eindringlich darauf hin, daß die Reichsregierung
zwar bis jetzt sehr umsichtig dem Abfluß der Goldmünzen vorgebeugt, indem
sie dieselben nach Möglichkeit festlegte; daß aber diese Beherrschung des Gold¬
umlaufes nur bis zu einem gewissen Punkt möglich ist und von da an auf¬
hört. Bis zu dem Zeitpunkt, wo die Beherrschung aufhört möglich zu sein,
müssen wir also den Papiergeldumlauf regeln, d. h. soviel, als denselben
sehr wesentlich einschränken. Der Redner verkannte diesmal die großen Schwie¬
rigkeiten der Maßregel nicht, aber noch weniger die Unerläßlichkeit, damit in
einer oder der anderen Weise wirksam vorzugehen. -- Der Präsident Delbrück
gab wenigstens die Zusage, daß von seiner Seite Alles geschehen werde, um
gleichzeitig mit dem definitiven Münzgesetz das Papiergeldumlaufsgesetz vor die
Entscheidung des Reichstags zu bringen.

Am 14. Juni wurde die preußische Oberrechnungskammer, da das Gesetz
über den Reichsrechnungshof nicht zu Stande gekommen, mit den Functionen
des letzteren für das Jahr 1872 durch ein besonderes Gesetz betraut.

An demselben Tage hatten wir den Anfang der zweiten großen Jesuiten¬
debatte. Die erste war, wie man sich erinnert, durch Petitionen für und wider
die Jesuiten hervorgerufen und führte zu einem Antrag des Reichstages an
den Reichskanzler auf Herbeiführung des religiösen Friedens im Reich und
insbesondere auf Regelung der katholischen Ordensfrage. Diesmal handelte
es sich um einen Gesetzentwurf, den zur theilweisen Erfüllung des erwähnten
Antrages die Reichsregierung eingebracht hatte. Es handelt sich um die den
deutschen Landesregierungen durch ein Reichsgesetz zu ertheilende Befugniß,
den Mitgliedern der Gesellschaft Jesu oder verwandter Congregationen an
jedem Ort des Bundesgebietes den Aufenthalt zu versagen, auch wenn die
betreffenden Mitglieder das deutsche Jndigenat besitzen.

Man sieht leicht, daß es sich nicht um die Vertreibung deutscher Staats¬
angehörigen vom deutschen Boden handelt, sondern nur darum, solchen Staats¬
gehörigen, die Mitglieder gefährlicher Gesellschaften sind, den Aufenthalt zu
beschränken, bezüglich dieselben zu interniren. Die liberalen Fractionen des
Reichstages beabsichtigen, durch gemeinsame Verständigung ein viel weiter
gehendes Gesetz zur Annahme zu bringen, auf dessen Genehmigung durch den
Bundesrath sie rechnen. Dieser Abänderungsvorschlag wird bei der zweiten
Lesung, die morgen stattfindet, zur Berathung kommen/) Am 14. handelte es



T>. Red. ') Ist seitdem geschehen, die neue Fassung allgemein bekannt,

von Scheinwerthen hängen, einfach den Hals abzuschneiden. Die Frage ist
eine Erbschaft, welche wir aus den alten traurigen Zeiten in die jetzigen besseren
mit hinübernehmen, und die wir so oder so liquidiren müssen. Der Abgeord¬
nete Bamberger führte aus. daß mit dem definitiven Reichsmünzgesetz noth¬
wendig ein Gesetz über die Regelung des Papiergeldumlaufes vorgelegt werden
muß. Er wies namentlich sehr eindringlich darauf hin, daß die Reichsregierung
zwar bis jetzt sehr umsichtig dem Abfluß der Goldmünzen vorgebeugt, indem
sie dieselben nach Möglichkeit festlegte; daß aber diese Beherrschung des Gold¬
umlaufes nur bis zu einem gewissen Punkt möglich ist und von da an auf¬
hört. Bis zu dem Zeitpunkt, wo die Beherrschung aufhört möglich zu sein,
müssen wir also den Papiergeldumlauf regeln, d. h. soviel, als denselben
sehr wesentlich einschränken. Der Redner verkannte diesmal die großen Schwie¬
rigkeiten der Maßregel nicht, aber noch weniger die Unerläßlichkeit, damit in
einer oder der anderen Weise wirksam vorzugehen. — Der Präsident Delbrück
gab wenigstens die Zusage, daß von seiner Seite Alles geschehen werde, um
gleichzeitig mit dem definitiven Münzgesetz das Papiergeldumlaufsgesetz vor die
Entscheidung des Reichstags zu bringen.

Am 14. Juni wurde die preußische Oberrechnungskammer, da das Gesetz
über den Reichsrechnungshof nicht zu Stande gekommen, mit den Functionen
des letzteren für das Jahr 1872 durch ein besonderes Gesetz betraut.

An demselben Tage hatten wir den Anfang der zweiten großen Jesuiten¬
debatte. Die erste war, wie man sich erinnert, durch Petitionen für und wider
die Jesuiten hervorgerufen und führte zu einem Antrag des Reichstages an
den Reichskanzler auf Herbeiführung des religiösen Friedens im Reich und
insbesondere auf Regelung der katholischen Ordensfrage. Diesmal handelte
es sich um einen Gesetzentwurf, den zur theilweisen Erfüllung des erwähnten
Antrages die Reichsregierung eingebracht hatte. Es handelt sich um die den
deutschen Landesregierungen durch ein Reichsgesetz zu ertheilende Befugniß,
den Mitgliedern der Gesellschaft Jesu oder verwandter Congregationen an
jedem Ort des Bundesgebietes den Aufenthalt zu versagen, auch wenn die
betreffenden Mitglieder das deutsche Jndigenat besitzen.

Man sieht leicht, daß es sich nicht um die Vertreibung deutscher Staats¬
angehörigen vom deutschen Boden handelt, sondern nur darum, solchen Staats¬
gehörigen, die Mitglieder gefährlicher Gesellschaften sind, den Aufenthalt zu
beschränken, bezüglich dieselben zu interniren. Die liberalen Fractionen des
Reichstages beabsichtigen, durch gemeinsame Verständigung ein viel weiter
gehendes Gesetz zur Annahme zu bringen, auf dessen Genehmigung durch den
Bundesrath sie rechnen. Dieser Abänderungsvorschlag wird bei der zweiten
Lesung, die morgen stattfindet, zur Berathung kommen/) Am 14. handelte es



T>. Red. ') Ist seitdem geschehen, die neue Fassung allgemein bekannt,
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[0514] von Scheinwerthen hängen, einfach den Hals abzuschneiden. Die Frage ist eine Erbschaft, welche wir aus den alten traurigen Zeiten in die jetzigen besseren mit hinübernehmen, und die wir so oder so liquidiren müssen. Der Abgeord¬ nete Bamberger führte aus. daß mit dem definitiven Reichsmünzgesetz noth¬ wendig ein Gesetz über die Regelung des Papiergeldumlaufes vorgelegt werden muß. Er wies namentlich sehr eindringlich darauf hin, daß die Reichsregierung zwar bis jetzt sehr umsichtig dem Abfluß der Goldmünzen vorgebeugt, indem sie dieselben nach Möglichkeit festlegte; daß aber diese Beherrschung des Gold¬ umlaufes nur bis zu einem gewissen Punkt möglich ist und von da an auf¬ hört. Bis zu dem Zeitpunkt, wo die Beherrschung aufhört möglich zu sein, müssen wir also den Papiergeldumlauf regeln, d. h. soviel, als denselben sehr wesentlich einschränken. Der Redner verkannte diesmal die großen Schwie¬ rigkeiten der Maßregel nicht, aber noch weniger die Unerläßlichkeit, damit in einer oder der anderen Weise wirksam vorzugehen. — Der Präsident Delbrück gab wenigstens die Zusage, daß von seiner Seite Alles geschehen werde, um gleichzeitig mit dem definitiven Münzgesetz das Papiergeldumlaufsgesetz vor die Entscheidung des Reichstags zu bringen. Am 14. Juni wurde die preußische Oberrechnungskammer, da das Gesetz über den Reichsrechnungshof nicht zu Stande gekommen, mit den Functionen des letzteren für das Jahr 1872 durch ein besonderes Gesetz betraut. An demselben Tage hatten wir den Anfang der zweiten großen Jesuiten¬ debatte. Die erste war, wie man sich erinnert, durch Petitionen für und wider die Jesuiten hervorgerufen und führte zu einem Antrag des Reichstages an den Reichskanzler auf Herbeiführung des religiösen Friedens im Reich und insbesondere auf Regelung der katholischen Ordensfrage. Diesmal handelte es sich um einen Gesetzentwurf, den zur theilweisen Erfüllung des erwähnten Antrages die Reichsregierung eingebracht hatte. Es handelt sich um die den deutschen Landesregierungen durch ein Reichsgesetz zu ertheilende Befugniß, den Mitgliedern der Gesellschaft Jesu oder verwandter Congregationen an jedem Ort des Bundesgebietes den Aufenthalt zu versagen, auch wenn die betreffenden Mitglieder das deutsche Jndigenat besitzen. Man sieht leicht, daß es sich nicht um die Vertreibung deutscher Staats¬ angehörigen vom deutschen Boden handelt, sondern nur darum, solchen Staats¬ gehörigen, die Mitglieder gefährlicher Gesellschaften sind, den Aufenthalt zu beschränken, bezüglich dieselben zu interniren. Die liberalen Fractionen des Reichstages beabsichtigen, durch gemeinsame Verständigung ein viel weiter gehendes Gesetz zur Annahme zu bringen, auf dessen Genehmigung durch den Bundesrath sie rechnen. Dieser Abänderungsvorschlag wird bei der zweiten Lesung, die morgen stattfindet, zur Berathung kommen/) Am 14. handelte es T>. Red. ') Ist seitdem geschehen, die neue Fassung allgemein bekannt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/514>, abgerufen am 26.06.2024.