Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sich eigentlich nur um die Frage, ob die Vorlage des Bundesrathes an eine
Commission verwiesen oder im Plenum im Einzelnen berathen werden solle.
Natürlich wurde das Letztere beschlossen.

Die Debatte blieb an Leidenschaftlichkeit sowohl als an Größe hinter den
Erwartungen zurück, welche die zahlreiche Zuhörerschaft auf den Tribünen
hegen mochte. Die Frage, von der die verhandelte Gesetzvorlage ein kleines
Stück zum Austrag bringen will, ist eine der größten und reichhaltigsten.
Aber das Rüstzeug der ultramontanen Kämpfer im Reichstag ist eigentlich
schon erschöpft. Deshalb blieben die Debatten hinter den Erwartungen zurück.
Der Reichstag ist ein mächtiges und unumgängliches Organ im Kampfe, den
das Reich aufzunehmen genöthigt worden. Aber der wahre Kampfplatz ist
nicht im Reichstag. Es macht nicht den beabsichtigten Eindruck, wenn Herr
Windthorst ruft: "wenn Sie den Krieg haben wollen, dann sollen Sie ihn
haben." Der Krieg ist längst erklärt und nicht durch Herrn Windthorst, der
seiner Partei als eifriger Soldat dient, aber die Entscheidungen des hohen
Kriegsrathes herbeizuführen schwerlich auch nur mitwirkt. Es überrascht auch
nicht, wenn derselbe Herr Windthorst über den Minister wehklagt, "der alles
deutsche Fürstenthum beherrscht." und dagegen die Selbständigkeit des Papstes
preist, der allein regiert. Ueber den letzteren Punkt giebt es andere Ansichten,
und es war nur ein zurückgeschleuderter Vorwurf, dessen Waffe Herr Windt¬
horst in seiner Weise zu vergiften suchte. Uebrigens hätten wir vom blos künstleri¬
schen Standpunkt der Rhetorik aus mehrere Wendungen des Redners als gelungen
zu bezeichnen; nur daß die Gelegenheit für den Effect derselben zu groß war.

Der Abgeordnete von Mallinckrodt hatte die Jesuiten wieder als die
Lämmer unter den Wölfen gepriesen. Da hielt ihm der Abgeordnete Wagner
die Jesuitenmissionen entgegen, die in den katholischen Theilen des Reiches,
namentlich in Oberschlesien und Posen eine Faradisirung der unteren Volks¬
schichten gegen die deutsche Cultur und ihren Staat unternehmen. Es ist
leicht, dergleichen in Abrede zu stellen und palpable Beweise zu verlangen.
Wenn Erscheinungen dieser Art palpabel. sind sie oftmals nicht mehr zu un¬
terdrücken oder nur um einen hohen Preis. Sehr treffend bemerkte dieser
Redner, daß der erste Schritt, den die deutsche Regierung rückwärts thäte, der
Anfang ihrer Niederlage wäre. Daß Alle, Freund und Feind es wissen, daß
dieser Schritt nicht erfolgt, das giebt der Situation ihre Größe und die deut¬
v --r. liche Vorahnung einer weltgeschichtlichen Entscheidung.




Meine "Besprechungen.

I. P. Hebel's allemannische Gedichte mit Bildern nach Zeichnungen
von Ludwig Richter. Leipzig. Georg Wigand.


sich eigentlich nur um die Frage, ob die Vorlage des Bundesrathes an eine
Commission verwiesen oder im Plenum im Einzelnen berathen werden solle.
Natürlich wurde das Letztere beschlossen.

Die Debatte blieb an Leidenschaftlichkeit sowohl als an Größe hinter den
Erwartungen zurück, welche die zahlreiche Zuhörerschaft auf den Tribünen
hegen mochte. Die Frage, von der die verhandelte Gesetzvorlage ein kleines
Stück zum Austrag bringen will, ist eine der größten und reichhaltigsten.
Aber das Rüstzeug der ultramontanen Kämpfer im Reichstag ist eigentlich
schon erschöpft. Deshalb blieben die Debatten hinter den Erwartungen zurück.
Der Reichstag ist ein mächtiges und unumgängliches Organ im Kampfe, den
das Reich aufzunehmen genöthigt worden. Aber der wahre Kampfplatz ist
nicht im Reichstag. Es macht nicht den beabsichtigten Eindruck, wenn Herr
Windthorst ruft: „wenn Sie den Krieg haben wollen, dann sollen Sie ihn
haben." Der Krieg ist längst erklärt und nicht durch Herrn Windthorst, der
seiner Partei als eifriger Soldat dient, aber die Entscheidungen des hohen
Kriegsrathes herbeizuführen schwerlich auch nur mitwirkt. Es überrascht auch
nicht, wenn derselbe Herr Windthorst über den Minister wehklagt, „der alles
deutsche Fürstenthum beherrscht." und dagegen die Selbständigkeit des Papstes
preist, der allein regiert. Ueber den letzteren Punkt giebt es andere Ansichten,
und es war nur ein zurückgeschleuderter Vorwurf, dessen Waffe Herr Windt¬
horst in seiner Weise zu vergiften suchte. Uebrigens hätten wir vom blos künstleri¬
schen Standpunkt der Rhetorik aus mehrere Wendungen des Redners als gelungen
zu bezeichnen; nur daß die Gelegenheit für den Effect derselben zu groß war.

Der Abgeordnete von Mallinckrodt hatte die Jesuiten wieder als die
Lämmer unter den Wölfen gepriesen. Da hielt ihm der Abgeordnete Wagner
die Jesuitenmissionen entgegen, die in den katholischen Theilen des Reiches,
namentlich in Oberschlesien und Posen eine Faradisirung der unteren Volks¬
schichten gegen die deutsche Cultur und ihren Staat unternehmen. Es ist
leicht, dergleichen in Abrede zu stellen und palpable Beweise zu verlangen.
Wenn Erscheinungen dieser Art palpabel. sind sie oftmals nicht mehr zu un¬
terdrücken oder nur um einen hohen Preis. Sehr treffend bemerkte dieser
Redner, daß der erste Schritt, den die deutsche Regierung rückwärts thäte, der
Anfang ihrer Niederlage wäre. Daß Alle, Freund und Feind es wissen, daß
dieser Schritt nicht erfolgt, das giebt der Situation ihre Größe und die deut¬
v —r. liche Vorahnung einer weltgeschichtlichen Entscheidung.




Meine "Besprechungen.

I. P. Hebel's allemannische Gedichte mit Bildern nach Zeichnungen
von Ludwig Richter. Leipzig. Georg Wigand.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0515" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/127923"/>
          <p xml:id="ID_1665" prev="#ID_1664"> sich eigentlich nur um die Frage, ob die Vorlage des Bundesrathes an eine<lb/>
Commission verwiesen oder im Plenum im Einzelnen berathen werden solle.<lb/>
Natürlich wurde das Letztere beschlossen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1666"> Die Debatte blieb an Leidenschaftlichkeit sowohl als an Größe hinter den<lb/>
Erwartungen zurück, welche die zahlreiche Zuhörerschaft auf den Tribünen<lb/>
hegen mochte. Die Frage, von der die verhandelte Gesetzvorlage ein kleines<lb/>
Stück zum Austrag bringen will, ist eine der größten und reichhaltigsten.<lb/>
Aber das Rüstzeug der ultramontanen Kämpfer im Reichstag ist eigentlich<lb/>
schon erschöpft. Deshalb blieben die Debatten hinter den Erwartungen zurück.<lb/>
Der Reichstag ist ein mächtiges und unumgängliches Organ im Kampfe, den<lb/>
das Reich aufzunehmen genöthigt worden. Aber der wahre Kampfplatz ist<lb/>
nicht im Reichstag. Es macht nicht den beabsichtigten Eindruck, wenn Herr<lb/>
Windthorst ruft: &#x201E;wenn Sie den Krieg haben wollen, dann sollen Sie ihn<lb/>
haben." Der Krieg ist längst erklärt und nicht durch Herrn Windthorst, der<lb/>
seiner Partei als eifriger Soldat dient, aber die Entscheidungen des hohen<lb/>
Kriegsrathes herbeizuführen schwerlich auch nur mitwirkt. Es überrascht auch<lb/>
nicht, wenn derselbe Herr Windthorst über den Minister wehklagt, &#x201E;der alles<lb/>
deutsche Fürstenthum beherrscht." und dagegen die Selbständigkeit des Papstes<lb/>
preist, der allein regiert. Ueber den letzteren Punkt giebt es andere Ansichten,<lb/>
und es war nur ein zurückgeschleuderter Vorwurf, dessen Waffe Herr Windt¬<lb/>
horst in seiner Weise zu vergiften suchte. Uebrigens hätten wir vom blos künstleri¬<lb/>
schen Standpunkt der Rhetorik aus mehrere Wendungen des Redners als gelungen<lb/>
zu bezeichnen; nur daß die Gelegenheit für den Effect derselben zu groß war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1667"> Der Abgeordnete von Mallinckrodt hatte die Jesuiten wieder als die<lb/>
Lämmer unter den Wölfen gepriesen. Da hielt ihm der Abgeordnete Wagner<lb/>
die Jesuitenmissionen entgegen, die in den katholischen Theilen des Reiches,<lb/>
namentlich in Oberschlesien und Posen eine Faradisirung der unteren Volks¬<lb/>
schichten gegen die deutsche Cultur und ihren Staat unternehmen. Es ist<lb/>
leicht, dergleichen in Abrede zu stellen und palpable Beweise zu verlangen.<lb/>
Wenn Erscheinungen dieser Art palpabel. sind sie oftmals nicht mehr zu un¬<lb/>
terdrücken oder nur um einen hohen Preis. Sehr treffend bemerkte dieser<lb/>
Redner, daß der erste Schritt, den die deutsche Regierung rückwärts thäte, der<lb/>
Anfang ihrer Niederlage wäre. Daß Alle, Freund und Feind es wissen, daß<lb/>
dieser Schritt nicht erfolgt, das giebt der Situation ihre Größe und die deut¬<lb/><note type="byline"> v &#x2014;r.</note> liche Vorahnung einer weltgeschichtlichen Entscheidung. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Meine "Besprechungen.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1668"> I. P. Hebel's allemannische Gedichte mit Bildern nach Zeichnungen<lb/>
von Ludwig Richter.  Leipzig. Georg Wigand.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0515] sich eigentlich nur um die Frage, ob die Vorlage des Bundesrathes an eine Commission verwiesen oder im Plenum im Einzelnen berathen werden solle. Natürlich wurde das Letztere beschlossen. Die Debatte blieb an Leidenschaftlichkeit sowohl als an Größe hinter den Erwartungen zurück, welche die zahlreiche Zuhörerschaft auf den Tribünen hegen mochte. Die Frage, von der die verhandelte Gesetzvorlage ein kleines Stück zum Austrag bringen will, ist eine der größten und reichhaltigsten. Aber das Rüstzeug der ultramontanen Kämpfer im Reichstag ist eigentlich schon erschöpft. Deshalb blieben die Debatten hinter den Erwartungen zurück. Der Reichstag ist ein mächtiges und unumgängliches Organ im Kampfe, den das Reich aufzunehmen genöthigt worden. Aber der wahre Kampfplatz ist nicht im Reichstag. Es macht nicht den beabsichtigten Eindruck, wenn Herr Windthorst ruft: „wenn Sie den Krieg haben wollen, dann sollen Sie ihn haben." Der Krieg ist längst erklärt und nicht durch Herrn Windthorst, der seiner Partei als eifriger Soldat dient, aber die Entscheidungen des hohen Kriegsrathes herbeizuführen schwerlich auch nur mitwirkt. Es überrascht auch nicht, wenn derselbe Herr Windthorst über den Minister wehklagt, „der alles deutsche Fürstenthum beherrscht." und dagegen die Selbständigkeit des Papstes preist, der allein regiert. Ueber den letzteren Punkt giebt es andere Ansichten, und es war nur ein zurückgeschleuderter Vorwurf, dessen Waffe Herr Windt¬ horst in seiner Weise zu vergiften suchte. Uebrigens hätten wir vom blos künstleri¬ schen Standpunkt der Rhetorik aus mehrere Wendungen des Redners als gelungen zu bezeichnen; nur daß die Gelegenheit für den Effect derselben zu groß war. Der Abgeordnete von Mallinckrodt hatte die Jesuiten wieder als die Lämmer unter den Wölfen gepriesen. Da hielt ihm der Abgeordnete Wagner die Jesuitenmissionen entgegen, die in den katholischen Theilen des Reiches, namentlich in Oberschlesien und Posen eine Faradisirung der unteren Volks¬ schichten gegen die deutsche Cultur und ihren Staat unternehmen. Es ist leicht, dergleichen in Abrede zu stellen und palpable Beweise zu verlangen. Wenn Erscheinungen dieser Art palpabel. sind sie oftmals nicht mehr zu un¬ terdrücken oder nur um einen hohen Preis. Sehr treffend bemerkte dieser Redner, daß der erste Schritt, den die deutsche Regierung rückwärts thäte, der Anfang ihrer Niederlage wäre. Daß Alle, Freund und Feind es wissen, daß dieser Schritt nicht erfolgt, das giebt der Situation ihre Größe und die deut¬ v —r. liche Vorahnung einer weltgeschichtlichen Entscheidung. Meine "Besprechungen. I. P. Hebel's allemannische Gedichte mit Bildern nach Zeichnungen von Ludwig Richter. Leipzig. Georg Wigand.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/515
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/515>, abgerufen am 29.06.2024.