Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Bielitz und Umgegend, ganz verschwindet, haben demselben seine Bedeutung
gegeben, sondern ganz etwas anderes. In ihm offenbarte sich nämlich das
erste auch dem blödesten Auge sichtbare Symptom einer systematischen Oppo¬
sition gegen die Mächte, die man bis dahin in ruhiger Herrschaft über den
Boden und die Bevölkerung Oberschlesiens gewähnt hatte, gegen das Staats-
Beamtenthum, weil es deutsch und zugleich weil es seinem Wesen nach prote¬
stantisch ist. Daß hinter den Schreiern und Excedenten andere Leute standen,
die, wie gewöhnlich, bei dem späteren Monsterproceß den Kopf aus der Schlinge
zogen -- ihre innigste Bundesbrüderschaft mit den Jesuiten und der polnischen
handwerksmäßigen Propaganda mußte sie natürlich in dieser Kunst besonders
geschickt machen -- ist zwar thatsächlich sicher, ändert aber an der großen Be¬
deutung des Ereignisses nichts. Denn auch die geschobenen Massen fühlten
sich mit vollem Bewußtsein eingehender in den Kampf gegen das Deutschthum
und den Protestantismus in der Substanz ihrer Beamten, gegen welche sie
im Verlaufe des Processes meist keine Spur persönlicher Beschwerden vor¬
brachten, obwohl sie sich damit so leicht eine günstigere Situation als Ange¬
klagte hätten schaffen können.

Bis dahin hatte man sich selbst da, wo eine schärfere Kenntniß der
Zustände Amtspflicht gewesen wäre, die Situation so bequem als möglich
zurecht gelegt. Aus den Wasserpolaken civilisirte Menschen zu machen, darauf
verzichtete man sehr gerne, weil es zu mühselig gewesen wäre. Sie mochten
dem nationalen Schnaps und ihren Pfaffen überlassen bleiben. Aber man
sah es als selbstverständlich an, daß sie jeder Ordre eines Landraths, oder
eines Gensdarmen, oder eines Hüttenmeisters und Obersteigers blindlings
parirten. Fälle von Widersetzlichkeit schienen nur dann möglich, wenn der
freilich sehr gewöhnliche Zustand absoluter Betrunkenheit sie erklärte. Außer¬
dem reichten im Nothfall einige zwar im Strafgesetzbuch verpönte, in der
Praxis des Lebens aber häufig genug applieirte Hiebe aus, um jeden Unge¬
horsam, jede tückische Faulheit des Einzelnen zu besiegen. Die Masse selbst
schien ein völlig willenloses Thier, das vor jedem Winke seines natürlichen
Herrn zitterte. Sie war immerhin brauchbar, die Handlangerdienste zu thun,
die man ihr zumuthete, denn es stand fest, daß zu allem und jedem Geschäfte,
wozu nur ein Gran von Intelligenz und selbständigem Nachdenken gehörte,
diese Halbmenschen unfähig wären und bleiben müßten. Man hielt zähe an
diesem Aberglauben, obwohl man jeden Tag die verschiedensten Beweise des
Gegentheils mit Händen greifen konnte. Dieselben Wasserpolaken geben die
gewandtesten und brauchbarsten Soldaten ab, wenn sie ein Vierteljahr in der
blauen Jacke waren; oder, wenn sie der Zufall vom Lande weg in die Städte
führte, zeigten sie sich in jeder Art dem Geschicke und der Gewandtheit der
Deutschen ebenbürtig. Jetzt, wo so vielen, die alle Mittel richtig und scharf


Bielitz und Umgegend, ganz verschwindet, haben demselben seine Bedeutung
gegeben, sondern ganz etwas anderes. In ihm offenbarte sich nämlich das
erste auch dem blödesten Auge sichtbare Symptom einer systematischen Oppo¬
sition gegen die Mächte, die man bis dahin in ruhiger Herrschaft über den
Boden und die Bevölkerung Oberschlesiens gewähnt hatte, gegen das Staats-
Beamtenthum, weil es deutsch und zugleich weil es seinem Wesen nach prote¬
stantisch ist. Daß hinter den Schreiern und Excedenten andere Leute standen,
die, wie gewöhnlich, bei dem späteren Monsterproceß den Kopf aus der Schlinge
zogen — ihre innigste Bundesbrüderschaft mit den Jesuiten und der polnischen
handwerksmäßigen Propaganda mußte sie natürlich in dieser Kunst besonders
geschickt machen — ist zwar thatsächlich sicher, ändert aber an der großen Be¬
deutung des Ereignisses nichts. Denn auch die geschobenen Massen fühlten
sich mit vollem Bewußtsein eingehender in den Kampf gegen das Deutschthum
und den Protestantismus in der Substanz ihrer Beamten, gegen welche sie
im Verlaufe des Processes meist keine Spur persönlicher Beschwerden vor¬
brachten, obwohl sie sich damit so leicht eine günstigere Situation als Ange¬
klagte hätten schaffen können.

Bis dahin hatte man sich selbst da, wo eine schärfere Kenntniß der
Zustände Amtspflicht gewesen wäre, die Situation so bequem als möglich
zurecht gelegt. Aus den Wasserpolaken civilisirte Menschen zu machen, darauf
verzichtete man sehr gerne, weil es zu mühselig gewesen wäre. Sie mochten
dem nationalen Schnaps und ihren Pfaffen überlassen bleiben. Aber man
sah es als selbstverständlich an, daß sie jeder Ordre eines Landraths, oder
eines Gensdarmen, oder eines Hüttenmeisters und Obersteigers blindlings
parirten. Fälle von Widersetzlichkeit schienen nur dann möglich, wenn der
freilich sehr gewöhnliche Zustand absoluter Betrunkenheit sie erklärte. Außer¬
dem reichten im Nothfall einige zwar im Strafgesetzbuch verpönte, in der
Praxis des Lebens aber häufig genug applieirte Hiebe aus, um jeden Unge¬
horsam, jede tückische Faulheit des Einzelnen zu besiegen. Die Masse selbst
schien ein völlig willenloses Thier, das vor jedem Winke seines natürlichen
Herrn zitterte. Sie war immerhin brauchbar, die Handlangerdienste zu thun,
die man ihr zumuthete, denn es stand fest, daß zu allem und jedem Geschäfte,
wozu nur ein Gran von Intelligenz und selbständigem Nachdenken gehörte,
diese Halbmenschen unfähig wären und bleiben müßten. Man hielt zähe an
diesem Aberglauben, obwohl man jeden Tag die verschiedensten Beweise des
Gegentheils mit Händen greifen konnte. Dieselben Wasserpolaken geben die
gewandtesten und brauchbarsten Soldaten ab, wenn sie ein Vierteljahr in der
blauen Jacke waren; oder, wenn sie der Zufall vom Lande weg in die Städte
führte, zeigten sie sich in jeder Art dem Geschicke und der Gewandtheit der
Deutschen ebenbürtig. Jetzt, wo so vielen, die alle Mittel richtig und scharf


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0499" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/127907"/>
          <p xml:id="ID_1617" prev="#ID_1616"> Bielitz und Umgegend, ganz verschwindet, haben demselben seine Bedeutung<lb/>
gegeben, sondern ganz etwas anderes. In ihm offenbarte sich nämlich das<lb/>
erste auch dem blödesten Auge sichtbare Symptom einer systematischen Oppo¬<lb/>
sition gegen die Mächte, die man bis dahin in ruhiger Herrschaft über den<lb/>
Boden und die Bevölkerung Oberschlesiens gewähnt hatte, gegen das Staats-<lb/>
Beamtenthum, weil es deutsch und zugleich weil es seinem Wesen nach prote¬<lb/>
stantisch ist. Daß hinter den Schreiern und Excedenten andere Leute standen,<lb/>
die, wie gewöhnlich, bei dem späteren Monsterproceß den Kopf aus der Schlinge<lb/>
zogen &#x2014; ihre innigste Bundesbrüderschaft mit den Jesuiten und der polnischen<lb/>
handwerksmäßigen Propaganda mußte sie natürlich in dieser Kunst besonders<lb/>
geschickt machen &#x2014; ist zwar thatsächlich sicher, ändert aber an der großen Be¬<lb/>
deutung des Ereignisses nichts. Denn auch die geschobenen Massen fühlten<lb/>
sich mit vollem Bewußtsein eingehender in den Kampf gegen das Deutschthum<lb/>
und den Protestantismus in der Substanz ihrer Beamten, gegen welche sie<lb/>
im Verlaufe des Processes meist keine Spur persönlicher Beschwerden vor¬<lb/>
brachten, obwohl sie sich damit so leicht eine günstigere Situation als Ange¬<lb/>
klagte hätten schaffen können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1618" next="#ID_1619"> Bis dahin hatte man sich selbst da, wo eine schärfere Kenntniß der<lb/>
Zustände Amtspflicht gewesen wäre, die Situation so bequem als möglich<lb/>
zurecht gelegt. Aus den Wasserpolaken civilisirte Menschen zu machen, darauf<lb/>
verzichtete man sehr gerne, weil es zu mühselig gewesen wäre. Sie mochten<lb/>
dem nationalen Schnaps und ihren Pfaffen überlassen bleiben. Aber man<lb/>
sah es als selbstverständlich an, daß sie jeder Ordre eines Landraths, oder<lb/>
eines Gensdarmen, oder eines Hüttenmeisters und Obersteigers blindlings<lb/>
parirten. Fälle von Widersetzlichkeit schienen nur dann möglich, wenn der<lb/>
freilich sehr gewöhnliche Zustand absoluter Betrunkenheit sie erklärte. Außer¬<lb/>
dem reichten im Nothfall einige zwar im Strafgesetzbuch verpönte, in der<lb/>
Praxis des Lebens aber häufig genug applieirte Hiebe aus, um jeden Unge¬<lb/>
horsam, jede tückische Faulheit des Einzelnen zu besiegen. Die Masse selbst<lb/>
schien ein völlig willenloses Thier, das vor jedem Winke seines natürlichen<lb/>
Herrn zitterte. Sie war immerhin brauchbar, die Handlangerdienste zu thun,<lb/>
die man ihr zumuthete, denn es stand fest, daß zu allem und jedem Geschäfte,<lb/>
wozu nur ein Gran von Intelligenz und selbständigem Nachdenken gehörte,<lb/>
diese Halbmenschen unfähig wären und bleiben müßten. Man hielt zähe an<lb/>
diesem Aberglauben, obwohl man jeden Tag die verschiedensten Beweise des<lb/>
Gegentheils mit Händen greifen konnte. Dieselben Wasserpolaken geben die<lb/>
gewandtesten und brauchbarsten Soldaten ab, wenn sie ein Vierteljahr in der<lb/>
blauen Jacke waren; oder, wenn sie der Zufall vom Lande weg in die Städte<lb/>
führte, zeigten sie sich in jeder Art dem Geschicke und der Gewandtheit der<lb/>
Deutschen ebenbürtig. Jetzt, wo so vielen, die alle Mittel richtig und scharf</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0499] Bielitz und Umgegend, ganz verschwindet, haben demselben seine Bedeutung gegeben, sondern ganz etwas anderes. In ihm offenbarte sich nämlich das erste auch dem blödesten Auge sichtbare Symptom einer systematischen Oppo¬ sition gegen die Mächte, die man bis dahin in ruhiger Herrschaft über den Boden und die Bevölkerung Oberschlesiens gewähnt hatte, gegen das Staats- Beamtenthum, weil es deutsch und zugleich weil es seinem Wesen nach prote¬ stantisch ist. Daß hinter den Schreiern und Excedenten andere Leute standen, die, wie gewöhnlich, bei dem späteren Monsterproceß den Kopf aus der Schlinge zogen — ihre innigste Bundesbrüderschaft mit den Jesuiten und der polnischen handwerksmäßigen Propaganda mußte sie natürlich in dieser Kunst besonders geschickt machen — ist zwar thatsächlich sicher, ändert aber an der großen Be¬ deutung des Ereignisses nichts. Denn auch die geschobenen Massen fühlten sich mit vollem Bewußtsein eingehender in den Kampf gegen das Deutschthum und den Protestantismus in der Substanz ihrer Beamten, gegen welche sie im Verlaufe des Processes meist keine Spur persönlicher Beschwerden vor¬ brachten, obwohl sie sich damit so leicht eine günstigere Situation als Ange¬ klagte hätten schaffen können. Bis dahin hatte man sich selbst da, wo eine schärfere Kenntniß der Zustände Amtspflicht gewesen wäre, die Situation so bequem als möglich zurecht gelegt. Aus den Wasserpolaken civilisirte Menschen zu machen, darauf verzichtete man sehr gerne, weil es zu mühselig gewesen wäre. Sie mochten dem nationalen Schnaps und ihren Pfaffen überlassen bleiben. Aber man sah es als selbstverständlich an, daß sie jeder Ordre eines Landraths, oder eines Gensdarmen, oder eines Hüttenmeisters und Obersteigers blindlings parirten. Fälle von Widersetzlichkeit schienen nur dann möglich, wenn der freilich sehr gewöhnliche Zustand absoluter Betrunkenheit sie erklärte. Außer¬ dem reichten im Nothfall einige zwar im Strafgesetzbuch verpönte, in der Praxis des Lebens aber häufig genug applieirte Hiebe aus, um jeden Unge¬ horsam, jede tückische Faulheit des Einzelnen zu besiegen. Die Masse selbst schien ein völlig willenloses Thier, das vor jedem Winke seines natürlichen Herrn zitterte. Sie war immerhin brauchbar, die Handlangerdienste zu thun, die man ihr zumuthete, denn es stand fest, daß zu allem und jedem Geschäfte, wozu nur ein Gran von Intelligenz und selbständigem Nachdenken gehörte, diese Halbmenschen unfähig wären und bleiben müßten. Man hielt zähe an diesem Aberglauben, obwohl man jeden Tag die verschiedensten Beweise des Gegentheils mit Händen greifen konnte. Dieselben Wasserpolaken geben die gewandtesten und brauchbarsten Soldaten ab, wenn sie ein Vierteljahr in der blauen Jacke waren; oder, wenn sie der Zufall vom Lande weg in die Städte führte, zeigten sie sich in jeder Art dem Geschicke und der Gewandtheit der Deutschen ebenbürtig. Jetzt, wo so vielen, die alle Mittel richtig und scharf

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/499
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/499>, abgerufen am 03.07.2024.