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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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zu sehen, schon lange besessen haben, auf einmal die Augen aufgegangen sind,
schwirrt die Luft von gegenseitigen Anklagen. Jeder macht den andern ver¬
antwortlich für die Sünden, die man nicht vertuschen kann und im Grunde
ist jeder auf gleiche Weise der Schuldige, wie wir dieß gelegentlich zu beweisen
gedenken.

Natürlich fehlt es auch nicht an gutem Rathe. Obwohl die Situation
noch nicht so weit gediehen ist, wie in dem bekannten Falle, wo man den
Brunnen erst dann vergitterte, nachdem das Kind darin ertrunken war, so
ist es doch wenigstens die höchste Zeit, daß der bloßen Discussion über das,
was am ersten und nützlichsten zu thun sei, ein Ende gemacht und zum Handeln
fortgeschritten werde.

Im Ganzen neigt sich die öffentliche Meinung an Ort und Stelle und
überall da, wo man wenigstens anfängt sich etwas gewissenhafter um diesen
wunden Fleck an unsrem Reichskörper zu kümmern, dahin, daß die Volks¬
bildung auf eine höhere Stufe gehoben werden müsse. Unter Volksbildung
versteht man entweder stillschweigend oder ausdrücklich die deutsche Schul¬
bildung. Oberschlesiens undeutsche Bevölkerung soll durch eine gründlichere
Einführung in den Geist der deutschen Nation von ihrer Feindseligkett gegen
das deutsche Wesen bekehrt werden. Eine sehr lobenswerthe Aufgabe, die,
wenn sie gelöst werden kann, unzweifelhaft das Uebel mit der Wurzel aus¬
rottet. Schade nur, daß so wenig bis jetzt dafür gethan worden ist, und daß selbst
wenn von allen Seiten guter Wille, reife Intelligenz im Bunde mit praktischem
Menschenverstande und endlich das Nöthigste, ein sehr ansehnliches Quantum
materieller Mittel künftig d. h. sofort von heute an aufgewandt würden, doch
hier ein Widerstand zu bekämpfen ist, gegen welchen die Waffen der Schule
und des nicht dankbaren Bildungserwerbes nicht ausreichend sind. Es gilt
jetzt nicht mehr, harmlose Barbaren, wie sie Oberschlesien noch vor zwanzig,
dreißig Jahren bewohnten, zu Schulen, sondern man hat es mit einer systematisch
versetzten Bevölkerung zu thun, die blindlings einer ebenso gewissenlosen wie
allmächtigen Propaganda religiöser und nationaler Fanatiker des Kopfes -- und
das sind ja die einzig gefährlichen -- zu gehorchen sich jede Stunde mehr ge¬
wöhnt. -- Der katholische Klerus, der für jetzt noch allein auf dem Kampf¬
platz agirt, weil Rücksichten der politischen Pfiffigkeit es räthlich erscheinen lassen,
daß seine Spießgesellen von der polnisch-nationalen Revolutionspropaganda
einstweilen noch im Dickicht bleiben, zeigt bei jeder Gelegenheit, wie er über
die Schulfrage denkt. Jetzt vollends, wo ihm durch das Schulaufsichtsgesetz,
falls es gewissenhaft und nicht bloß schablonenmäßig ausgeführt wird, das
Schwert des Damocles über dem Nacken hängt, giebt er sich keine Mühe
mehr, seine absolut negative Stellung dazu durch irgend ein Mäntelchen
salbungsvoller Phrasen zu verbergen. Schule und Entchristlichung des Volkes


zu sehen, schon lange besessen haben, auf einmal die Augen aufgegangen sind,
schwirrt die Luft von gegenseitigen Anklagen. Jeder macht den andern ver¬
antwortlich für die Sünden, die man nicht vertuschen kann und im Grunde
ist jeder auf gleiche Weise der Schuldige, wie wir dieß gelegentlich zu beweisen
gedenken.

Natürlich fehlt es auch nicht an gutem Rathe. Obwohl die Situation
noch nicht so weit gediehen ist, wie in dem bekannten Falle, wo man den
Brunnen erst dann vergitterte, nachdem das Kind darin ertrunken war, so
ist es doch wenigstens die höchste Zeit, daß der bloßen Discussion über das,
was am ersten und nützlichsten zu thun sei, ein Ende gemacht und zum Handeln
fortgeschritten werde.

Im Ganzen neigt sich die öffentliche Meinung an Ort und Stelle und
überall da, wo man wenigstens anfängt sich etwas gewissenhafter um diesen
wunden Fleck an unsrem Reichskörper zu kümmern, dahin, daß die Volks¬
bildung auf eine höhere Stufe gehoben werden müsse. Unter Volksbildung
versteht man entweder stillschweigend oder ausdrücklich die deutsche Schul¬
bildung. Oberschlesiens undeutsche Bevölkerung soll durch eine gründlichere
Einführung in den Geist der deutschen Nation von ihrer Feindseligkett gegen
das deutsche Wesen bekehrt werden. Eine sehr lobenswerthe Aufgabe, die,
wenn sie gelöst werden kann, unzweifelhaft das Uebel mit der Wurzel aus¬
rottet. Schade nur, daß so wenig bis jetzt dafür gethan worden ist, und daß selbst
wenn von allen Seiten guter Wille, reife Intelligenz im Bunde mit praktischem
Menschenverstande und endlich das Nöthigste, ein sehr ansehnliches Quantum
materieller Mittel künftig d. h. sofort von heute an aufgewandt würden, doch
hier ein Widerstand zu bekämpfen ist, gegen welchen die Waffen der Schule
und des nicht dankbaren Bildungserwerbes nicht ausreichend sind. Es gilt
jetzt nicht mehr, harmlose Barbaren, wie sie Oberschlesien noch vor zwanzig,
dreißig Jahren bewohnten, zu Schulen, sondern man hat es mit einer systematisch
versetzten Bevölkerung zu thun, die blindlings einer ebenso gewissenlosen wie
allmächtigen Propaganda religiöser und nationaler Fanatiker des Kopfes — und
das sind ja die einzig gefährlichen — zu gehorchen sich jede Stunde mehr ge¬
wöhnt. — Der katholische Klerus, der für jetzt noch allein auf dem Kampf¬
platz agirt, weil Rücksichten der politischen Pfiffigkeit es räthlich erscheinen lassen,
daß seine Spießgesellen von der polnisch-nationalen Revolutionspropaganda
einstweilen noch im Dickicht bleiben, zeigt bei jeder Gelegenheit, wie er über
die Schulfrage denkt. Jetzt vollends, wo ihm durch das Schulaufsichtsgesetz,
falls es gewissenhaft und nicht bloß schablonenmäßig ausgeführt wird, das
Schwert des Damocles über dem Nacken hängt, giebt er sich keine Mühe
mehr, seine absolut negative Stellung dazu durch irgend ein Mäntelchen
salbungsvoller Phrasen zu verbergen. Schule und Entchristlichung des Volkes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/500>, abgerufen am 22.07.2024.