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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Vorgesetzten davon trüge. Die Rede des Abgeordneten Ziegler, des Mannes
der geistreichen Schrullen, unter denen die wunderlichste, daß Herr Ziegler sich
im Radicalismus gefällt, bildete eine scherzhafte Episode. Herr Ziegler führte
eine Anzahl harter Strafen auf, die aus dem Militärstrafrecht nach und nach
verschwunden seien, ohne durch ihr Verschwinden der Disciplin zu schaden. Daraus
zog er den Schluß, daß jetzt der strenge Arrest verschwinden könne. Aber der
Redner blieb den Beweis schuldig, auf den Alles ankommt, daß diese Strafe
gerade in diesem Augenblick entbehrlich geworden, mit andern Worten, daß der
Augenblick ihrer Abschaffung überhaupt kommen muß, und daß er gerade jetzt
gekommen sei. Herr Ziegler vergaß, daß es nicht bei allen Dingen auf Erden
heißt: mit Grazie in inünitum.

Am 8. Juni wurde das Militärstrafgesetzbuch in dritter Lesung genehmigt.
Eine Resolution des Abgeordneten Laster, die bei der zweiten Lesung nicht
die Majorität gefunden, bei der dritten Lesung vom Abgeordneten Löwe wieder
eingebracht, fand nunmehr die Zustimmung des Reichstags. Die Resolution
beantragte eine ärztliche Prüfung der Folgen des mittleren und strengen
Arrestes. Löwe sprach sehr eingehend und einsichtig über diese Folgen. Er
übersah nur zweierlei. Erstens, daß diejenige Strafe noch nicht erfunden ist,
von welcher die Gesundheit gänzlich unbenachtheiligt bleibt; zweitens, daß vor
allem der Dienst selbst die Gesundheit auf die Probe stellt, und daß ein ge¬
sundheitsunschädlicher Strafzustand unter Umständen das Ziel vieler Soldaten
werden könnte.

Am Schluß der Sitzung sah sich der Reichstag genöthigt, aus eigner
Initiative den Reichskanzler zur Ausgabe von zehn Millionen Schatzanweis¬
ungen zu ermächtigen, während die Regierung nur acht Millionen verlangt
hatte. Dies kam daher, weil der Reichstag die Mittel für die Marine auf
die französische Kriegsentschädigung angewiesen hatte, anstatt eine Anleihe zu
genehmigen. Es war Herr Laster, der den bezüglichen Antrag einbrachte,
nicht ohne die Aufforderung an den Reichskanzler hinzuzufügen, es möchten
in Zukunft alle die Finanzverwaltung berührenden Gesetzesvorlagen gleich¬
zeitig mit dem Reichshaushalt eingebracht werden. Es konnte sich allerdings
der Reichstag mit Herrn Laster der Ueberzeugung nicht verschließen, daß der
Anweisungen auf die französische Kriegsentschädigung, zu welchen auch die
Kosten der neuen Eisenbahnanlagen kommen, nach gerade zu viel geworden sind.
Daraus folgt, daß es besser gewesen wäre, der Regierung, die die Uebersicht
haben mußte, bei der Deckung der Marinekosten durch eine Anleihe zu will¬
fahren. -- In derselben Sitzung wurde endlich das Gesetz über den Rechnungs¬
hof in dritter Lesung genehmigt; eine formal nothwendige, aber im Uebrigen
nach dem Inhalt, welchen das Gesetz im Reichstag bekommen, wahrschein¬
lich vergebliche Arbeit. --


Vorgesetzten davon trüge. Die Rede des Abgeordneten Ziegler, des Mannes
der geistreichen Schrullen, unter denen die wunderlichste, daß Herr Ziegler sich
im Radicalismus gefällt, bildete eine scherzhafte Episode. Herr Ziegler führte
eine Anzahl harter Strafen auf, die aus dem Militärstrafrecht nach und nach
verschwunden seien, ohne durch ihr Verschwinden der Disciplin zu schaden. Daraus
zog er den Schluß, daß jetzt der strenge Arrest verschwinden könne. Aber der
Redner blieb den Beweis schuldig, auf den Alles ankommt, daß diese Strafe
gerade in diesem Augenblick entbehrlich geworden, mit andern Worten, daß der
Augenblick ihrer Abschaffung überhaupt kommen muß, und daß er gerade jetzt
gekommen sei. Herr Ziegler vergaß, daß es nicht bei allen Dingen auf Erden
heißt: mit Grazie in inünitum.

Am 8. Juni wurde das Militärstrafgesetzbuch in dritter Lesung genehmigt.
Eine Resolution des Abgeordneten Laster, die bei der zweiten Lesung nicht
die Majorität gefunden, bei der dritten Lesung vom Abgeordneten Löwe wieder
eingebracht, fand nunmehr die Zustimmung des Reichstags. Die Resolution
beantragte eine ärztliche Prüfung der Folgen des mittleren und strengen
Arrestes. Löwe sprach sehr eingehend und einsichtig über diese Folgen. Er
übersah nur zweierlei. Erstens, daß diejenige Strafe noch nicht erfunden ist,
von welcher die Gesundheit gänzlich unbenachtheiligt bleibt; zweitens, daß vor
allem der Dienst selbst die Gesundheit auf die Probe stellt, und daß ein ge¬
sundheitsunschädlicher Strafzustand unter Umständen das Ziel vieler Soldaten
werden könnte.

Am Schluß der Sitzung sah sich der Reichstag genöthigt, aus eigner
Initiative den Reichskanzler zur Ausgabe von zehn Millionen Schatzanweis¬
ungen zu ermächtigen, während die Regierung nur acht Millionen verlangt
hatte. Dies kam daher, weil der Reichstag die Mittel für die Marine auf
die französische Kriegsentschädigung angewiesen hatte, anstatt eine Anleihe zu
genehmigen. Es war Herr Laster, der den bezüglichen Antrag einbrachte,
nicht ohne die Aufforderung an den Reichskanzler hinzuzufügen, es möchten
in Zukunft alle die Finanzverwaltung berührenden Gesetzesvorlagen gleich¬
zeitig mit dem Reichshaushalt eingebracht werden. Es konnte sich allerdings
der Reichstag mit Herrn Laster der Ueberzeugung nicht verschließen, daß der
Anweisungen auf die französische Kriegsentschädigung, zu welchen auch die
Kosten der neuen Eisenbahnanlagen kommen, nach gerade zu viel geworden sind.
Daraus folgt, daß es besser gewesen wäre, der Regierung, die die Uebersicht
haben mußte, bei der Deckung der Marinekosten durch eine Anleihe zu will¬
fahren. — In derselben Sitzung wurde endlich das Gesetz über den Rechnungs¬
hof in dritter Lesung genehmigt; eine formal nothwendige, aber im Uebrigen
nach dem Inhalt, welchen das Gesetz im Reichstag bekommen, wahrschein¬
lich vergebliche Arbeit. —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/471>, abgerufen am 22.07.2024.