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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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zeichnete sich aber Moriz Briegleb unbestritten als der rührigste, ent¬
schiedenste, schneidigste aus.

Auch dem Gemeindeleben seiner Vaterstadt hat er sich um jene
Zeit mit warmer Hingabe gewidmet. Die Regierungsbevormundung der
städtischen Verwaltung, den Mangel der Selbstregierung durch eine freige-
wählte Bürgervertretung konnte Niemand schmerzlicher als er empfinden;
die Stadtordnung vom 13. December 1846, welche mit geringen Aenderungen
noch heute besteht, gehört guten Theils mit zu seinen Werken. In die
erste Stadtverordnetenversammlung gewählt und von ihr zum Vorsitzenden
ernannt, hat er Hand in Hand mit dem unvergeßlichen Oberländer der
städtischen Verwaltung neue, zeitgemäße Bahnen angewiesen. Nur seiner
außerordentlichen Arbeitskraft und Arbeitslust war es möglich, bei einer so
vielseitigen öffentlichen Wirksamkeit im Staats- und Gemeindeleben auch noch
seine Berufsangelegenheiten in wohlgeordneten Gang zu erhalten.

Mitten in diese reiche, heimische Thätigkeit, die nur in der letzten Zeit
hie und da durch einen geschäftlichen Aufenthalt auf den ungarischen Herr¬
schaften des Königs der Belgier unterbrochen wurde, fielen die politischen Er¬
eignisse des Jahres 1848. Mächtig fühlte sich Briegleb erregt und gehoben
durch den Gedanken, daß die Stunde geschlagen habe, in der Deutschland
einig und frei werden solle. Schon im März hielt es ihn nicht mehr in der
engen Heimat, es trieb ihn hinaus zu gleichgesinnten Männern von deutschem
Namen und Einfluß. Die Badener Landtags-Abgeordneten von Itzstein,
Welcker, Mathy, Bassermann waren damals hellleuchtende Sterne; zu
ihnen eilte er, mit ihnen zog er hinüber nach Darmstadt zu Heinrich von
Gagern und dann nach Frankfurt zu den Verhandlungen über die Gründung
eines deutschen Parlaments. Das Vorparlament übertrug ihm das Amt
eines Schriftführers und wählte ihn auch in den Fünfziger Ausschuß.
Sein Heimathland aber sandte ihn in die Frankfurter Nationalver¬
sammlung; nur eine kleine Wählerzahl, die unter der Führung des damaligen
Rechtscandidaten Feodor Streit eine deutsche Republik forderte, hatte in der
Person Joseph Mayers von Hildburghausen einen Gegencandidaten auf¬
gestellt.

Bei allem Freimuth und aller Energie war Briegleb ein abgesagter Feind
politischer Träumereien und Extravaganzen, ein Mann der ruhigen und klaren
Erwägung, die er für politische Dinge besonders geschult und geläutert hatte in
dem jahrelangen, innigen Verkehr mit einem bedeutenden Staatsmann und
Denker, mit Christian Friedrich von Stockmar, dem treuen Freund
und Rathgeber des Königs der Belgier sowie des Prinzen Albert und seiner
Gemahlin, der Königin Victoria.

In Frankfurt gehörte Briegleb der Casinopartei an. Man wußte


zeichnete sich aber Moriz Briegleb unbestritten als der rührigste, ent¬
schiedenste, schneidigste aus.

Auch dem Gemeindeleben seiner Vaterstadt hat er sich um jene
Zeit mit warmer Hingabe gewidmet. Die Regierungsbevormundung der
städtischen Verwaltung, den Mangel der Selbstregierung durch eine freige-
wählte Bürgervertretung konnte Niemand schmerzlicher als er empfinden;
die Stadtordnung vom 13. December 1846, welche mit geringen Aenderungen
noch heute besteht, gehört guten Theils mit zu seinen Werken. In die
erste Stadtverordnetenversammlung gewählt und von ihr zum Vorsitzenden
ernannt, hat er Hand in Hand mit dem unvergeßlichen Oberländer der
städtischen Verwaltung neue, zeitgemäße Bahnen angewiesen. Nur seiner
außerordentlichen Arbeitskraft und Arbeitslust war es möglich, bei einer so
vielseitigen öffentlichen Wirksamkeit im Staats- und Gemeindeleben auch noch
seine Berufsangelegenheiten in wohlgeordneten Gang zu erhalten.

Mitten in diese reiche, heimische Thätigkeit, die nur in der letzten Zeit
hie und da durch einen geschäftlichen Aufenthalt auf den ungarischen Herr¬
schaften des Königs der Belgier unterbrochen wurde, fielen die politischen Er¬
eignisse des Jahres 1848. Mächtig fühlte sich Briegleb erregt und gehoben
durch den Gedanken, daß die Stunde geschlagen habe, in der Deutschland
einig und frei werden solle. Schon im März hielt es ihn nicht mehr in der
engen Heimat, es trieb ihn hinaus zu gleichgesinnten Männern von deutschem
Namen und Einfluß. Die Badener Landtags-Abgeordneten von Itzstein,
Welcker, Mathy, Bassermann waren damals hellleuchtende Sterne; zu
ihnen eilte er, mit ihnen zog er hinüber nach Darmstadt zu Heinrich von
Gagern und dann nach Frankfurt zu den Verhandlungen über die Gründung
eines deutschen Parlaments. Das Vorparlament übertrug ihm das Amt
eines Schriftführers und wählte ihn auch in den Fünfziger Ausschuß.
Sein Heimathland aber sandte ihn in die Frankfurter Nationalver¬
sammlung; nur eine kleine Wählerzahl, die unter der Führung des damaligen
Rechtscandidaten Feodor Streit eine deutsche Republik forderte, hatte in der
Person Joseph Mayers von Hildburghausen einen Gegencandidaten auf¬
gestellt.

Bei allem Freimuth und aller Energie war Briegleb ein abgesagter Feind
politischer Träumereien und Extravaganzen, ein Mann der ruhigen und klaren
Erwägung, die er für politische Dinge besonders geschult und geläutert hatte in
dem jahrelangen, innigen Verkehr mit einem bedeutenden Staatsmann und
Denker, mit Christian Friedrich von Stockmar, dem treuen Freund
und Rathgeber des Königs der Belgier sowie des Prinzen Albert und seiner
Gemahlin, der Königin Victoria.

In Frankfurt gehörte Briegleb der Casinopartei an. Man wußte


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[0414] zeichnete sich aber Moriz Briegleb unbestritten als der rührigste, ent¬ schiedenste, schneidigste aus. Auch dem Gemeindeleben seiner Vaterstadt hat er sich um jene Zeit mit warmer Hingabe gewidmet. Die Regierungsbevormundung der städtischen Verwaltung, den Mangel der Selbstregierung durch eine freige- wählte Bürgervertretung konnte Niemand schmerzlicher als er empfinden; die Stadtordnung vom 13. December 1846, welche mit geringen Aenderungen noch heute besteht, gehört guten Theils mit zu seinen Werken. In die erste Stadtverordnetenversammlung gewählt und von ihr zum Vorsitzenden ernannt, hat er Hand in Hand mit dem unvergeßlichen Oberländer der städtischen Verwaltung neue, zeitgemäße Bahnen angewiesen. Nur seiner außerordentlichen Arbeitskraft und Arbeitslust war es möglich, bei einer so vielseitigen öffentlichen Wirksamkeit im Staats- und Gemeindeleben auch noch seine Berufsangelegenheiten in wohlgeordneten Gang zu erhalten. Mitten in diese reiche, heimische Thätigkeit, die nur in der letzten Zeit hie und da durch einen geschäftlichen Aufenthalt auf den ungarischen Herr¬ schaften des Königs der Belgier unterbrochen wurde, fielen die politischen Er¬ eignisse des Jahres 1848. Mächtig fühlte sich Briegleb erregt und gehoben durch den Gedanken, daß die Stunde geschlagen habe, in der Deutschland einig und frei werden solle. Schon im März hielt es ihn nicht mehr in der engen Heimat, es trieb ihn hinaus zu gleichgesinnten Männern von deutschem Namen und Einfluß. Die Badener Landtags-Abgeordneten von Itzstein, Welcker, Mathy, Bassermann waren damals hellleuchtende Sterne; zu ihnen eilte er, mit ihnen zog er hinüber nach Darmstadt zu Heinrich von Gagern und dann nach Frankfurt zu den Verhandlungen über die Gründung eines deutschen Parlaments. Das Vorparlament übertrug ihm das Amt eines Schriftführers und wählte ihn auch in den Fünfziger Ausschuß. Sein Heimathland aber sandte ihn in die Frankfurter Nationalver¬ sammlung; nur eine kleine Wählerzahl, die unter der Führung des damaligen Rechtscandidaten Feodor Streit eine deutsche Republik forderte, hatte in der Person Joseph Mayers von Hildburghausen einen Gegencandidaten auf¬ gestellt. Bei allem Freimuth und aller Energie war Briegleb ein abgesagter Feind politischer Träumereien und Extravaganzen, ein Mann der ruhigen und klaren Erwägung, die er für politische Dinge besonders geschult und geläutert hatte in dem jahrelangen, innigen Verkehr mit einem bedeutenden Staatsmann und Denker, mit Christian Friedrich von Stockmar, dem treuen Freund und Rathgeber des Königs der Belgier sowie des Prinzen Albert und seiner Gemahlin, der Königin Victoria. In Frankfurt gehörte Briegleb der Casinopartei an. Man wußte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/414>, abgerufen am 24.08.2024.