Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.lichungsfreiheit, nach Gleichheit des Civilrechts. Civilprozesses und Strafrechts Das Nevisionswerk hatte in allen diesen Punkten, wenigstens durch Be¬ lichungsfreiheit, nach Gleichheit des Civilrechts. Civilprozesses und Strafrechts Das Nevisionswerk hatte in allen diesen Punkten, wenigstens durch Be¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0403" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/127799"/> <p xml:id="ID_1297" prev="#ID_1296"> lichungsfreiheit, nach Gleichheit des Civilrechts. Civilprozesses und Strafrechts<lb/> durch die ganze Schweiz, nach einem obersten Bundesgericht, nach Wegfall des<lb/> überaus lästigen Ohmgeldes der Cantone, nach Einheit des Maß- und Ge¬<lb/> wichts- und des Bankwesens. In allen diesen Punkten stehen wir noch seur<lb/> auf dem Boden unsrer Verfassung von 1848. welche bekanntlich von Umschau^<lb/> ungen erfüllt ist. die der modernen Verkehrsfreiheit diametral entgegenlaufen.<lb/> Wir wollen damit keinen Stein werfen auf die Gründer unsrer'Bundesver¬<lb/> fassung. Wir wissen wohl, daß den Fortgeschrittener unter ihnen schon da¬<lb/> mals durch die Rücksicht auf die kaum vernarbten Wunden des Sonderbunds¬<lb/> krieges und die zurückgebliebene Cultur und Wirthschaft der Sonderbundscan-<lb/> tone, und vielleicht nicht weniger durch die Rücksicht auf die Weltanschauung der<lb/> Waadt. vertreten durch „Papa" Druey, die Flügel gestutzt gewesen sind. Aber wir<lb/> haben ein Recht daraus, in der Welt zu leben, wie sie heute geworden ist.<lb/> Und leben und schaffen läßt sich nicht länger in den Banden der wirthschaft¬<lb/> lichen Unfreiheit unsrer Bundesverfassung, welche durch den Egoismus und die<lb/> Kurzsichtigkeit vieler Cantone noch unleidlicher gemacht wird. —</p><lb/> <p xml:id="ID_1298" next="#ID_1299"> Das Nevisionswerk hatte in allen diesen Punkten, wenigstens durch Be¬<lb/> stimmung der Grundzüge für die wichtigen Einzelgesetze, redlich und besonnen<lb/> Abhülfe geschaffen. Handels- und Gewerbefreih eit war durch Artikel 29 ge¬<lb/> währleistet. Artikel 30 verlieh den Befähigungsnachweisen der wissenschaft¬<lb/> lichen Berufsarten Gültigkeit durch die ganze Schweiz. Artikel 32 stellte ein<lb/> Bundesgesetz über den Schutz der Arbeiter gegen Gesundheit und Sicherheit<lb/> gefährdenden Gewerbebetrieb und die ^Verwendung von Kindern in den Fabriken<lb/> in Aussicht, und unterwarf den Geschäftsbetrieb der Auswanderungsagenturen<lb/> und Privatunternehmungen im Gebiete des Versicherungswesens der Aufsicht<lb/> und Gesetzgebung des Bundes. Durch den Artikel 33 sollten die lästigen<lb/> Plackereien bei Erhebung der cantonalen Ohmgelder gemildert, nach zwanzig<lb/> Jahren aber alle Ohmgelder und sonstigen 'Eingangsgebühren der Cantone<lb/> und Gemeinden ganz aufgehoben werden. Dann folgten die Bestimmungen<lb/> über die einheitliche Tarifirung fremder Münzsorten, das Bankwesen des<lb/> Bundes, einheitliches Maß und Gewicht (Artikel 36—39). die Erweiterung<lb/> der Bundescompetenz auf Gesetze und Verfügungen bei gemeingefährlichen<lb/> Epidemien und Viehseuchen (Art. 66.) Und um diese wichtigen Reformen in<lb/> der Befreiung und der verfassungsmäßigen Regelung des Verkehrs und der<lb/> Volkswirthschaft unsres Gemeinwesens würdig abzuschließen, gewährleisteten<lb/> die Artikel 42—47 und SO die Freizügigkeit und Niederlassungssreiheit,<lb/> die Freiheit der Eheschließung, ein Bundesgesetz gegen Doppelbesteuerung,<lb/> die Aufhebung des unsres Jahrhunderts unwürdigen Verbannungsrechtes der<lb/> Cantone, endlich die Grundzüge eines Bundesarmengesetzes. Auch die<lb/> schweizerische Rechtseinheit war durch die Art. 45, 58, 60, 61 u. s. w.<lb/> gesichert. Die Gesetzgebung über Civilrecht mit Inbegriff des Verfahrens wurde<lb/> zur Bundessache erklärt, dem Bund vorbehalten, seine Gesetzgebung auch auf<lb/> Strafrecht und Prozeß auszudehnen. Art. 57 schaffte den Schuldverhast ab.<lb/> Art. 61 die Todesstrafe und „körperlichen Strafen überhaupt", was zum guten<lb/> Theil auf die wüsten Leistungen der Prügelstrafe in Uri und der Folter in Zug<lb/> gemünzt war. Einen wesentlichen Fortschritt kennzeichneten sodann auch die<lb/> Bestimmungen über das Bundesgericht (Art. 103—111). Dieser Fort¬<lb/> schritt bestand in einer fast schrankenlosen Ausdehnung der Competenz des<lb/> obersten Gerichtes — indem nach Art. 111 durch einen einfachen Act der<lb/> Bundesgesetzgebung, also ohne Verfassungsrevision, „auch noch andere Fälle in<lb/> die Competenz des Bundesgerichts gelegt", insbesondere ihm die Befugniß</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0403]
lichungsfreiheit, nach Gleichheit des Civilrechts. Civilprozesses und Strafrechts
durch die ganze Schweiz, nach einem obersten Bundesgericht, nach Wegfall des
überaus lästigen Ohmgeldes der Cantone, nach Einheit des Maß- und Ge¬
wichts- und des Bankwesens. In allen diesen Punkten stehen wir noch seur
auf dem Boden unsrer Verfassung von 1848. welche bekanntlich von Umschau^
ungen erfüllt ist. die der modernen Verkehrsfreiheit diametral entgegenlaufen.
Wir wollen damit keinen Stein werfen auf die Gründer unsrer'Bundesver¬
fassung. Wir wissen wohl, daß den Fortgeschrittener unter ihnen schon da¬
mals durch die Rücksicht auf die kaum vernarbten Wunden des Sonderbunds¬
krieges und die zurückgebliebene Cultur und Wirthschaft der Sonderbundscan-
tone, und vielleicht nicht weniger durch die Rücksicht auf die Weltanschauung der
Waadt. vertreten durch „Papa" Druey, die Flügel gestutzt gewesen sind. Aber wir
haben ein Recht daraus, in der Welt zu leben, wie sie heute geworden ist.
Und leben und schaffen läßt sich nicht länger in den Banden der wirthschaft¬
lichen Unfreiheit unsrer Bundesverfassung, welche durch den Egoismus und die
Kurzsichtigkeit vieler Cantone noch unleidlicher gemacht wird. —
Das Nevisionswerk hatte in allen diesen Punkten, wenigstens durch Be¬
stimmung der Grundzüge für die wichtigen Einzelgesetze, redlich und besonnen
Abhülfe geschaffen. Handels- und Gewerbefreih eit war durch Artikel 29 ge¬
währleistet. Artikel 30 verlieh den Befähigungsnachweisen der wissenschaft¬
lichen Berufsarten Gültigkeit durch die ganze Schweiz. Artikel 32 stellte ein
Bundesgesetz über den Schutz der Arbeiter gegen Gesundheit und Sicherheit
gefährdenden Gewerbebetrieb und die ^Verwendung von Kindern in den Fabriken
in Aussicht, und unterwarf den Geschäftsbetrieb der Auswanderungsagenturen
und Privatunternehmungen im Gebiete des Versicherungswesens der Aufsicht
und Gesetzgebung des Bundes. Durch den Artikel 33 sollten die lästigen
Plackereien bei Erhebung der cantonalen Ohmgelder gemildert, nach zwanzig
Jahren aber alle Ohmgelder und sonstigen 'Eingangsgebühren der Cantone
und Gemeinden ganz aufgehoben werden. Dann folgten die Bestimmungen
über die einheitliche Tarifirung fremder Münzsorten, das Bankwesen des
Bundes, einheitliches Maß und Gewicht (Artikel 36—39). die Erweiterung
der Bundescompetenz auf Gesetze und Verfügungen bei gemeingefährlichen
Epidemien und Viehseuchen (Art. 66.) Und um diese wichtigen Reformen in
der Befreiung und der verfassungsmäßigen Regelung des Verkehrs und der
Volkswirthschaft unsres Gemeinwesens würdig abzuschließen, gewährleisteten
die Artikel 42—47 und SO die Freizügigkeit und Niederlassungssreiheit,
die Freiheit der Eheschließung, ein Bundesgesetz gegen Doppelbesteuerung,
die Aufhebung des unsres Jahrhunderts unwürdigen Verbannungsrechtes der
Cantone, endlich die Grundzüge eines Bundesarmengesetzes. Auch die
schweizerische Rechtseinheit war durch die Art. 45, 58, 60, 61 u. s. w.
gesichert. Die Gesetzgebung über Civilrecht mit Inbegriff des Verfahrens wurde
zur Bundessache erklärt, dem Bund vorbehalten, seine Gesetzgebung auch auf
Strafrecht und Prozeß auszudehnen. Art. 57 schaffte den Schuldverhast ab.
Art. 61 die Todesstrafe und „körperlichen Strafen überhaupt", was zum guten
Theil auf die wüsten Leistungen der Prügelstrafe in Uri und der Folter in Zug
gemünzt war. Einen wesentlichen Fortschritt kennzeichneten sodann auch die
Bestimmungen über das Bundesgericht (Art. 103—111). Dieser Fort¬
schritt bestand in einer fast schrankenlosen Ausdehnung der Competenz des
obersten Gerichtes — indem nach Art. 111 durch einen einfachen Act der
Bundesgesetzgebung, also ohne Verfassungsrevision, „auch noch andere Fälle in
die Competenz des Bundesgerichts gelegt", insbesondere ihm die Befugniß
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