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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Max I. bewegte; er zuerst hat auf dem europäischen Gebiete den Tendenzen
Habsburgs Ausdruck verliehen.

Ganz gewiß war Max mit den Forderungen deutscher Patrioten darüber
einverstanden, daß in dem deutschen Reiche eine Verstärkung der Centralge-
walt Platz zu greifen habe. Aber nur im Interesse Habsburgs vermochte er
sich eine solche zu denken. Und als die mächtigeren Territorialstaaten, die
hervorragendsten deutschen Stände in mehr oligarchischen Formen sie zu er¬
richten strebten, als sie den Kaiser an Controle und Zustimmung der Reichs¬
stände binden wollten, so trat Max der deutschen Bewegung unlustig ent.
gegen: in heftigen Conflict geriethen die beiden Principien, und zuletzt ist die
deutsche Verfassungsfrage nicht zu einer Ordnung gelangt. Es war besonders
seine auswärtige Politik, die diesen Gegensatz hervorrief und stets aufs neue
entzündete. Es war des Kaisers Absicht, die Rechte des deutschen Reiches
oder des deutschen Kaisers auf die Nachbargebiete zu erneuerter Anerkennung
und Geltung zu bringen; er zielte darauf hin, Nord- und Mittelitalien vom
Gebote des Kaisers wieder abhängig zu machen, die kaiserliche Herrschaft,
wie sie im Mittelalter bestanden, dort wieder aufzurichten. Er begegnete
hier den Ansprüchen und Tendenzen der französischen Krone, die schon in
den Verhältnissen der Niederlande ihm sehr unbequem im Wege standen. Er
gedachte deshalb gründlich den französischen König zu strafen, seine Kräfte
zu brechen und ihn in Unterordnung unter seine Oberhoheit herunterzudrücken;
und wenn er alles das erreicht, so beschäftigte ihn die Idee, als Kaiser an
der Spitze der Christenheit nach Konstantinopel zu marschiren, das osmanische
Reich zu vernichten und zuletzt -- als Krönung des Ganzen -- den morgen¬
ländischen Krieg zu führen zur Befreiung des heiligen Grabes und zur Er¬
oberung des Reiches von Palästina.

Eine Fülle politischer Gedanken und Entwürfe! Die ganze Welt um¬
spannte sein Verlangen. Der ächt Habsburgische Eifer des Erwerbens, die
Begehrlichkeit nach immer größerem Besitze schien in Max I. auf die Spitze
getrieben zu sein. In Wirklichkeit fehlte ihm so gut wie Alles zur Er¬
füllung seiner Gelüste. Und der Contrast des politischen Wünschens und
Trachtens gegenüber den factischen Mitteln und den factischen Resultaten
zeigt diesen kaiserlichen Projectenschmied, den höchst seltsamer Weise man viel¬
fach als den, letzten Ritter dichterisch gefeiert hat, sehr oft uns in fast gro¬
tesker, halb komischer Beleuchtung. Dieser Kaiser, der über Päpste und
Türken schalten und walten wollte, er war nicht im Stande seinen nieder¬
ländischen Unterthanen Gehorsam einzuflößen oder seine deutschen Regimenter
zu bezahlen. Dieser Feldherr, der große Weltkriege aussann und berechnete,
und über fremde Reiche und Länder freigebig verfügte, er trat in den Dienst
einzelner kleiner Herren für ein Stück Geld und führte untergeordnete Fehden,


Max I. bewegte; er zuerst hat auf dem europäischen Gebiete den Tendenzen
Habsburgs Ausdruck verliehen.

Ganz gewiß war Max mit den Forderungen deutscher Patrioten darüber
einverstanden, daß in dem deutschen Reiche eine Verstärkung der Centralge-
walt Platz zu greifen habe. Aber nur im Interesse Habsburgs vermochte er
sich eine solche zu denken. Und als die mächtigeren Territorialstaaten, die
hervorragendsten deutschen Stände in mehr oligarchischen Formen sie zu er¬
richten strebten, als sie den Kaiser an Controle und Zustimmung der Reichs¬
stände binden wollten, so trat Max der deutschen Bewegung unlustig ent.
gegen: in heftigen Conflict geriethen die beiden Principien, und zuletzt ist die
deutsche Verfassungsfrage nicht zu einer Ordnung gelangt. Es war besonders
seine auswärtige Politik, die diesen Gegensatz hervorrief und stets aufs neue
entzündete. Es war des Kaisers Absicht, die Rechte des deutschen Reiches
oder des deutschen Kaisers auf die Nachbargebiete zu erneuerter Anerkennung
und Geltung zu bringen; er zielte darauf hin, Nord- und Mittelitalien vom
Gebote des Kaisers wieder abhängig zu machen, die kaiserliche Herrschaft,
wie sie im Mittelalter bestanden, dort wieder aufzurichten. Er begegnete
hier den Ansprüchen und Tendenzen der französischen Krone, die schon in
den Verhältnissen der Niederlande ihm sehr unbequem im Wege standen. Er
gedachte deshalb gründlich den französischen König zu strafen, seine Kräfte
zu brechen und ihn in Unterordnung unter seine Oberhoheit herunterzudrücken;
und wenn er alles das erreicht, so beschäftigte ihn die Idee, als Kaiser an
der Spitze der Christenheit nach Konstantinopel zu marschiren, das osmanische
Reich zu vernichten und zuletzt — als Krönung des Ganzen — den morgen¬
ländischen Krieg zu führen zur Befreiung des heiligen Grabes und zur Er¬
oberung des Reiches von Palästina.

Eine Fülle politischer Gedanken und Entwürfe! Die ganze Welt um¬
spannte sein Verlangen. Der ächt Habsburgische Eifer des Erwerbens, die
Begehrlichkeit nach immer größerem Besitze schien in Max I. auf die Spitze
getrieben zu sein. In Wirklichkeit fehlte ihm so gut wie Alles zur Er¬
füllung seiner Gelüste. Und der Contrast des politischen Wünschens und
Trachtens gegenüber den factischen Mitteln und den factischen Resultaten
zeigt diesen kaiserlichen Projectenschmied, den höchst seltsamer Weise man viel¬
fach als den, letzten Ritter dichterisch gefeiert hat, sehr oft uns in fast gro¬
tesker, halb komischer Beleuchtung. Dieser Kaiser, der über Päpste und
Türken schalten und walten wollte, er war nicht im Stande seinen nieder¬
ländischen Unterthanen Gehorsam einzuflößen oder seine deutschen Regimenter
zu bezahlen. Dieser Feldherr, der große Weltkriege aussann und berechnete,
und über fremde Reiche und Länder freigebig verfügte, er trat in den Dienst
einzelner kleiner Herren für ein Stück Geld und führte untergeordnete Fehden,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/371>, abgerufen am 24.08.2024.