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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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dem heutigen Hause Lothringen, das durch eine Frau mit den Habsburgern
verwandt ist, Habsburgischen Charakter wieder zu finden.

Ein kleiner unbedeutender Fürst, begütert in Schwaben und in der heu¬
tigen Schweiz, war Graf Rudolf von Habsburg als das Werkzeug ehrgeiziger
Intriguen, als der Dienstmann des Erzbischofs von Mainz auf den Thron
des römischen Kaisers deutscher Nation erhoben worden. Er und seine
Nachfolger waren geschickt genug, diese hohe Würde, die an sich schon mehr
Schein als Wesen war, zur Erwerbung von Privatvortheilen auszunutzen.
Die Grenzmark des Reiches nach Südosten, die Erzherzogthümer Oestreich
blieben in ihrem Besitz; die umliegenden Gebiete wurden bald theils direct
annectirt, theils in losere oder engere Beziehungen hineingezogen: schon im
14. Jahrhundert ist die Tendenz der Habsburger erkennbar, dort sich im Süd¬
osten ein Reich abzurunden, auf das sie später die höchste Würde der deut¬
schen Nation zu stützen im Stande sein würden. Es giebt in der deutschen
Geschichte wenige Perioden größerer Zerrüttung, allgemeinerer politischer
Verwirrung als die Regierungszeit des Habsburgischen Kaisers Friedrich III.;
aber dieser verrufene und viel getadelte Monarch, der so wenig Gefühl für
die deutsche Sache hatte, daß er Jahrzehnte hindurch aus Deutschland fern
blieb, dieser selbe Monarch ist es, der mit rastloser Arbeit, mit der unaus¬
gesetzten stillen Thätigkeit eines sparsamen, engherzigen, aber vorsichtigen
Hausvaters seiner Familie allenthalben einträgliche Besitzungen zu verschaffen
sich bemühte; er ist der Gründer des Hausbesitzes der Habsburger; er ist es
der unverwandt auch auf die südöstlichen Nachbargebiete sein Auge gerichtet
hielt, auf Böhmen und auf Ungarn; ein umfangreiches Gebiet dort gedachte
er als Grundlage der deutschen Stellung seines Geschlechtes zusammenzufügen.
Und wenn ihm hier noch nicht alles zu verwirklichen gelungen, so war es
doch angebahnt und eingeleitet, und nach anderer Seite hin war auch das
schwierigste schon überwunden. Die Erbtochter des Burgunderreiches war
mit Friedrichs Sohn und Erben vermählt; jene reiche und blühende Staaten¬
gruppe, das Mittelreich zwischen Deutschland und Frankreich, das unter Karl
dem Kühnen ein Gegengewicht gegen die französische Königsmacht gebildet,
alles war nun in den Besitz der Habsburger gekommen. Erzherzog Maxi¬
milian, Anfangs als Mitregent seiner Gemahlin Maria, dann als Vormund
seines Sohnes Philipp hatte mit den burgundischen Niederlanden den Gegen¬
satz und Krieg gegen die französischen Könige geerbt, zugleich aber auch für
seine deutsche Stellung einen Rückhalt an diesen mächtigen und reichen Pro¬
vinzen gewonnen. Im Norden Deutschlands also die Niederlande, im Süden
die alten Besitzungen in Schwaben und im Elsaß, im Südosten die öst¬
reichischen Herzogthümer mit ihren Aussichten weiterer Erwerbung von Ungarn
und Böhmen: das sind die Angelpunkte, in denen sich die Politik Kaiser


dem heutigen Hause Lothringen, das durch eine Frau mit den Habsburgern
verwandt ist, Habsburgischen Charakter wieder zu finden.

Ein kleiner unbedeutender Fürst, begütert in Schwaben und in der heu¬
tigen Schweiz, war Graf Rudolf von Habsburg als das Werkzeug ehrgeiziger
Intriguen, als der Dienstmann des Erzbischofs von Mainz auf den Thron
des römischen Kaisers deutscher Nation erhoben worden. Er und seine
Nachfolger waren geschickt genug, diese hohe Würde, die an sich schon mehr
Schein als Wesen war, zur Erwerbung von Privatvortheilen auszunutzen.
Die Grenzmark des Reiches nach Südosten, die Erzherzogthümer Oestreich
blieben in ihrem Besitz; die umliegenden Gebiete wurden bald theils direct
annectirt, theils in losere oder engere Beziehungen hineingezogen: schon im
14. Jahrhundert ist die Tendenz der Habsburger erkennbar, dort sich im Süd¬
osten ein Reich abzurunden, auf das sie später die höchste Würde der deut¬
schen Nation zu stützen im Stande sein würden. Es giebt in der deutschen
Geschichte wenige Perioden größerer Zerrüttung, allgemeinerer politischer
Verwirrung als die Regierungszeit des Habsburgischen Kaisers Friedrich III.;
aber dieser verrufene und viel getadelte Monarch, der so wenig Gefühl für
die deutsche Sache hatte, daß er Jahrzehnte hindurch aus Deutschland fern
blieb, dieser selbe Monarch ist es, der mit rastloser Arbeit, mit der unaus¬
gesetzten stillen Thätigkeit eines sparsamen, engherzigen, aber vorsichtigen
Hausvaters seiner Familie allenthalben einträgliche Besitzungen zu verschaffen
sich bemühte; er ist der Gründer des Hausbesitzes der Habsburger; er ist es
der unverwandt auch auf die südöstlichen Nachbargebiete sein Auge gerichtet
hielt, auf Böhmen und auf Ungarn; ein umfangreiches Gebiet dort gedachte
er als Grundlage der deutschen Stellung seines Geschlechtes zusammenzufügen.
Und wenn ihm hier noch nicht alles zu verwirklichen gelungen, so war es
doch angebahnt und eingeleitet, und nach anderer Seite hin war auch das
schwierigste schon überwunden. Die Erbtochter des Burgunderreiches war
mit Friedrichs Sohn und Erben vermählt; jene reiche und blühende Staaten¬
gruppe, das Mittelreich zwischen Deutschland und Frankreich, das unter Karl
dem Kühnen ein Gegengewicht gegen die französische Königsmacht gebildet,
alles war nun in den Besitz der Habsburger gekommen. Erzherzog Maxi¬
milian, Anfangs als Mitregent seiner Gemahlin Maria, dann als Vormund
seines Sohnes Philipp hatte mit den burgundischen Niederlanden den Gegen¬
satz und Krieg gegen die französischen Könige geerbt, zugleich aber auch für
seine deutsche Stellung einen Rückhalt an diesen mächtigen und reichen Pro¬
vinzen gewonnen. Im Norden Deutschlands also die Niederlande, im Süden
die alten Besitzungen in Schwaben und im Elsaß, im Südosten die öst¬
reichischen Herzogthümer mit ihren Aussichten weiterer Erwerbung von Ungarn
und Böhmen: das sind die Angelpunkte, in denen sich die Politik Kaiser


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[0370] dem heutigen Hause Lothringen, das durch eine Frau mit den Habsburgern verwandt ist, Habsburgischen Charakter wieder zu finden. Ein kleiner unbedeutender Fürst, begütert in Schwaben und in der heu¬ tigen Schweiz, war Graf Rudolf von Habsburg als das Werkzeug ehrgeiziger Intriguen, als der Dienstmann des Erzbischofs von Mainz auf den Thron des römischen Kaisers deutscher Nation erhoben worden. Er und seine Nachfolger waren geschickt genug, diese hohe Würde, die an sich schon mehr Schein als Wesen war, zur Erwerbung von Privatvortheilen auszunutzen. Die Grenzmark des Reiches nach Südosten, die Erzherzogthümer Oestreich blieben in ihrem Besitz; die umliegenden Gebiete wurden bald theils direct annectirt, theils in losere oder engere Beziehungen hineingezogen: schon im 14. Jahrhundert ist die Tendenz der Habsburger erkennbar, dort sich im Süd¬ osten ein Reich abzurunden, auf das sie später die höchste Würde der deut¬ schen Nation zu stützen im Stande sein würden. Es giebt in der deutschen Geschichte wenige Perioden größerer Zerrüttung, allgemeinerer politischer Verwirrung als die Regierungszeit des Habsburgischen Kaisers Friedrich III.; aber dieser verrufene und viel getadelte Monarch, der so wenig Gefühl für die deutsche Sache hatte, daß er Jahrzehnte hindurch aus Deutschland fern blieb, dieser selbe Monarch ist es, der mit rastloser Arbeit, mit der unaus¬ gesetzten stillen Thätigkeit eines sparsamen, engherzigen, aber vorsichtigen Hausvaters seiner Familie allenthalben einträgliche Besitzungen zu verschaffen sich bemühte; er ist der Gründer des Hausbesitzes der Habsburger; er ist es der unverwandt auch auf die südöstlichen Nachbargebiete sein Auge gerichtet hielt, auf Böhmen und auf Ungarn; ein umfangreiches Gebiet dort gedachte er als Grundlage der deutschen Stellung seines Geschlechtes zusammenzufügen. Und wenn ihm hier noch nicht alles zu verwirklichen gelungen, so war es doch angebahnt und eingeleitet, und nach anderer Seite hin war auch das schwierigste schon überwunden. Die Erbtochter des Burgunderreiches war mit Friedrichs Sohn und Erben vermählt; jene reiche und blühende Staaten¬ gruppe, das Mittelreich zwischen Deutschland und Frankreich, das unter Karl dem Kühnen ein Gegengewicht gegen die französische Königsmacht gebildet, alles war nun in den Besitz der Habsburger gekommen. Erzherzog Maxi¬ milian, Anfangs als Mitregent seiner Gemahlin Maria, dann als Vormund seines Sohnes Philipp hatte mit den burgundischen Niederlanden den Gegen¬ satz und Krieg gegen die französischen Könige geerbt, zugleich aber auch für seine deutsche Stellung einen Rückhalt an diesen mächtigen und reichen Pro¬ vinzen gewonnen. Im Norden Deutschlands also die Niederlande, im Süden die alten Besitzungen in Schwaben und im Elsaß, im Südosten die öst¬ reichischen Herzogthümer mit ihren Aussichten weiterer Erwerbung von Ungarn und Böhmen: das sind die Angelpunkte, in denen sich die Politik Kaiser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/370>, abgerufen am 22.12.2024.