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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Geschichte eines unlängst in Beirut vorgekommenen, in der fraglichen Flug¬
schrift auch berührten Uebertritts vom Islam zum protestantischen
Christenthum. Hassan, mit dem Beinamen el Misri (das ist der Egypter),
der Kutscher eines eingebornen christlichen Kaufmanns hier, hatte sich, nach¬
dem er früher ein strenggläubiger Moslem gewesen und als solcher sogar
sieben Mal pilgernd Mekka besucht, vor einiger Zeit -- wie es heißt seit der
Genesung,von einer schweren Krankheit -- dem protestantischen Christen¬
thum zugewendet; er war in nahe Beziehungen zu den hiesigen amerikanischen
Missionaren getreten, und im Juni des vorigen Jahres scheint er zu dem
Entschluß gelangt zu sein, förmlich zum Christenthum überzutreten. Das
Gerücht verbreitete damals diese Kunde; ja man wollte sogar wissen, daß er
bereits die Taufe erhalten habe.

War Hassan, sobald seine Hinneigung zum Christenthum, aus der er
selbst auch kein Hehl machte, bekannt geworden, von seinen früheren Glau¬
bensgenossen schon vielfach angefeindet und gemißhandelt worden, so nahmen
jetzt die Verfolgungen, an denen seine eigene Mutter, eine fanatische Moham¬
medanerin, nicht unbetheiligt gewesen sein soll, einen so schlimmen Charakter
an. daß Gefahr für sein Leben vorhanden schien, und seine Gönner, die
Missionare, daran denken zu müssen glaubten, ihn anderswohin in Sicherheit
zu bringen. Inzwischen war jedoch auch die Aufmerksamkeit der türkischen
Behörden rege geworden, und eines Tages wurde Hassan ganz unerwartet
mitten im Bazar, das ist der (belebten) inneren Stadt, von einer Menge
Polizeisoldaten festgenommen und ins Gefängniß abgeführt, wo man ihn wie
einen Criminalverbrecher verwahrt hielt. Die Gefangennahme geschah infolge
eines telegraphischen Befehls des Generalgouverneurs von Syrien in Damas¬
kus, den der hiesige Gouverneur von der Sache unterrichtet hatte. Am näch¬
sten Tage brachte man ihn mit der Diligence nach Damaskus. Dort wurde
zunächst von dem Polizeidirector der Stadt versucht, ihn durch Drohungen
zur Rückkehr zum Islam zu bewegen, allein ohne Erfolg, sodann aber führte
man ihn alsbald vor den Maki. Dieser ließ seine gesammte Umgebung ab¬
treten und hielt mit ihm unter vier Augen eine Art Verhör. Er fragte ihn
unter Anderm: ob es ihm denn nicht bekannt sei, daß nach dem Koran auf
dem Abfalle vom Islam der Tod stehe? und endlich bot er ihm die Summe
von 30,000 Piastern (1600 Thaler) an, um damit einen Kramladen zu er¬
öffnen, wenn er dem Glauben Mohammeds treu bleiben wolle. Hassan blieb
aber standhaft, indem er erklärte, Christ zu werden, und schlug das Geschenk
aus. Hierauf öffnete der Pascha die Thür und sagte mit lauter Stimme, er
sei frei und möge zur Hölle fahren. Gleichzeitig befahl er ihm, Beirut binnen
zwanzig Tagen zu verlassen, widrigenfalls er ihn von Neuem verhaften und
nach Konstantinopel bringen lassen werde. Ohne irgendwie belästigt oder ge-


Geschichte eines unlängst in Beirut vorgekommenen, in der fraglichen Flug¬
schrift auch berührten Uebertritts vom Islam zum protestantischen
Christenthum. Hassan, mit dem Beinamen el Misri (das ist der Egypter),
der Kutscher eines eingebornen christlichen Kaufmanns hier, hatte sich, nach¬
dem er früher ein strenggläubiger Moslem gewesen und als solcher sogar
sieben Mal pilgernd Mekka besucht, vor einiger Zeit — wie es heißt seit der
Genesung,von einer schweren Krankheit — dem protestantischen Christen¬
thum zugewendet; er war in nahe Beziehungen zu den hiesigen amerikanischen
Missionaren getreten, und im Juni des vorigen Jahres scheint er zu dem
Entschluß gelangt zu sein, förmlich zum Christenthum überzutreten. Das
Gerücht verbreitete damals diese Kunde; ja man wollte sogar wissen, daß er
bereits die Taufe erhalten habe.

War Hassan, sobald seine Hinneigung zum Christenthum, aus der er
selbst auch kein Hehl machte, bekannt geworden, von seinen früheren Glau¬
bensgenossen schon vielfach angefeindet und gemißhandelt worden, so nahmen
jetzt die Verfolgungen, an denen seine eigene Mutter, eine fanatische Moham¬
medanerin, nicht unbetheiligt gewesen sein soll, einen so schlimmen Charakter
an. daß Gefahr für sein Leben vorhanden schien, und seine Gönner, die
Missionare, daran denken zu müssen glaubten, ihn anderswohin in Sicherheit
zu bringen. Inzwischen war jedoch auch die Aufmerksamkeit der türkischen
Behörden rege geworden, und eines Tages wurde Hassan ganz unerwartet
mitten im Bazar, das ist der (belebten) inneren Stadt, von einer Menge
Polizeisoldaten festgenommen und ins Gefängniß abgeführt, wo man ihn wie
einen Criminalverbrecher verwahrt hielt. Die Gefangennahme geschah infolge
eines telegraphischen Befehls des Generalgouverneurs von Syrien in Damas¬
kus, den der hiesige Gouverneur von der Sache unterrichtet hatte. Am näch¬
sten Tage brachte man ihn mit der Diligence nach Damaskus. Dort wurde
zunächst von dem Polizeidirector der Stadt versucht, ihn durch Drohungen
zur Rückkehr zum Islam zu bewegen, allein ohne Erfolg, sodann aber führte
man ihn alsbald vor den Maki. Dieser ließ seine gesammte Umgebung ab¬
treten und hielt mit ihm unter vier Augen eine Art Verhör. Er fragte ihn
unter Anderm: ob es ihm denn nicht bekannt sei, daß nach dem Koran auf
dem Abfalle vom Islam der Tod stehe? und endlich bot er ihm die Summe
von 30,000 Piastern (1600 Thaler) an, um damit einen Kramladen zu er¬
öffnen, wenn er dem Glauben Mohammeds treu bleiben wolle. Hassan blieb
aber standhaft, indem er erklärte, Christ zu werden, und schlug das Geschenk
aus. Hierauf öffnete der Pascha die Thür und sagte mit lauter Stimme, er
sei frei und möge zur Hölle fahren. Gleichzeitig befahl er ihm, Beirut binnen
zwanzig Tagen zu verlassen, widrigenfalls er ihn von Neuem verhaften und
nach Konstantinopel bringen lassen werde. Ohne irgendwie belästigt oder ge-


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[0358] Geschichte eines unlängst in Beirut vorgekommenen, in der fraglichen Flug¬ schrift auch berührten Uebertritts vom Islam zum protestantischen Christenthum. Hassan, mit dem Beinamen el Misri (das ist der Egypter), der Kutscher eines eingebornen christlichen Kaufmanns hier, hatte sich, nach¬ dem er früher ein strenggläubiger Moslem gewesen und als solcher sogar sieben Mal pilgernd Mekka besucht, vor einiger Zeit — wie es heißt seit der Genesung,von einer schweren Krankheit — dem protestantischen Christen¬ thum zugewendet; er war in nahe Beziehungen zu den hiesigen amerikanischen Missionaren getreten, und im Juni des vorigen Jahres scheint er zu dem Entschluß gelangt zu sein, förmlich zum Christenthum überzutreten. Das Gerücht verbreitete damals diese Kunde; ja man wollte sogar wissen, daß er bereits die Taufe erhalten habe. War Hassan, sobald seine Hinneigung zum Christenthum, aus der er selbst auch kein Hehl machte, bekannt geworden, von seinen früheren Glau¬ bensgenossen schon vielfach angefeindet und gemißhandelt worden, so nahmen jetzt die Verfolgungen, an denen seine eigene Mutter, eine fanatische Moham¬ medanerin, nicht unbetheiligt gewesen sein soll, einen so schlimmen Charakter an. daß Gefahr für sein Leben vorhanden schien, und seine Gönner, die Missionare, daran denken zu müssen glaubten, ihn anderswohin in Sicherheit zu bringen. Inzwischen war jedoch auch die Aufmerksamkeit der türkischen Behörden rege geworden, und eines Tages wurde Hassan ganz unerwartet mitten im Bazar, das ist der (belebten) inneren Stadt, von einer Menge Polizeisoldaten festgenommen und ins Gefängniß abgeführt, wo man ihn wie einen Criminalverbrecher verwahrt hielt. Die Gefangennahme geschah infolge eines telegraphischen Befehls des Generalgouverneurs von Syrien in Damas¬ kus, den der hiesige Gouverneur von der Sache unterrichtet hatte. Am näch¬ sten Tage brachte man ihn mit der Diligence nach Damaskus. Dort wurde zunächst von dem Polizeidirector der Stadt versucht, ihn durch Drohungen zur Rückkehr zum Islam zu bewegen, allein ohne Erfolg, sodann aber führte man ihn alsbald vor den Maki. Dieser ließ seine gesammte Umgebung ab¬ treten und hielt mit ihm unter vier Augen eine Art Verhör. Er fragte ihn unter Anderm: ob es ihm denn nicht bekannt sei, daß nach dem Koran auf dem Abfalle vom Islam der Tod stehe? und endlich bot er ihm die Summe von 30,000 Piastern (1600 Thaler) an, um damit einen Kramladen zu er¬ öffnen, wenn er dem Glauben Mohammeds treu bleiben wolle. Hassan blieb aber standhaft, indem er erklärte, Christ zu werden, und schlug das Geschenk aus. Hierauf öffnete der Pascha die Thür und sagte mit lauter Stimme, er sei frei und möge zur Hölle fahren. Gleichzeitig befahl er ihm, Beirut binnen zwanzig Tagen zu verlassen, widrigenfalls er ihn von Neuem verhaften und nach Konstantinopel bringen lassen werde. Ohne irgendwie belästigt oder ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/358>, abgerufen am 22.07.2024.