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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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treten, die türkische Herrschaft aber, als eine fremde, bei allen Landeseingebor-
nen, bei Christen wie bei Mohammedanern, die sämmtlich einer Race, der
syrisch-arabischen, angehören, verhaßt. Die Religionsgemeinschaft der Osma-
nen mit den Moslemin des Landes erklärt allein die Existenz ihrer Herrschaft
in Syrien. Ein ernstliches Zerwürfniß in dieser Hinsicht -- und es ist da¬
mit zu Ende! Wie alle Eingebornen dieses Landes gegen Andersgläubige
unduldsam sind, so ist das mohammedanische Volk Syriens im höchsten
Grade fanatisch. Strenge in religiöser Beziehung ist deshalb für die türkische
Negierung hier ein Lebensgebot. Mag in Stambul bei der Pforte Toleranz
zum stritt befolgten Grundsatz werden: in Syrien ist das Princip der Dul¬
dung, selbst beim besten Willen der Pforte, nicht durchführbar, und der be¬
kannte Hat Humayun von 1836. welcher die Christen in der Türkei den Mo¬
hammedanern gleichstellt und allen Unterthanen des Sultans unbeschränkte
Religionsfreiheit zusichert, wird für diese Gegend noch lange nur ein schönes
Wort bleiben. Wollte die Negierung sich in der Praxis tolerant zeigen und
namentlich nicht dafür Sorge tragen, daß ein etwa vom Islam Abgefallener
alsbald auf irgend eine Weise, sei es durch Entfernung aus dem Lande, sei
es durch öffentliche Hinrichtung oder heimliche Ermordung beseitigt werde, so
wäre ein Volksaufruhr unvermeidlich, in welchem, von anderen Folgen abge¬
sehen, an dem Abtrünnigen das Gesetz des Koran, welches ihm den Tod zu¬
erkennt, vollstreckt werden würde. Auf die ohnehin schwache militärische
Macht könnte die Regierung in solchem Falle sich durchaus nicht stützen.

Die einzige Hoffnung beruht demnach für derartige Convertiten darauf,
daß der Religionswechsel verborgen bleibt -- eine auch um deswillen sehr
schwierige Sache, weil das äußere Leben der Christen und der Moslemin, ihre
Sitten und Gebräuche in so vielen wesentlichen Punkten von einander ab¬
weichen und jede Veränderung darin so leicht ins Auge fällt. Insbesondere
bei zahlreicheren Uebertritten gehört die Verheimlichung ins Gebiet der Un¬
möglichkeit. Nach alledem wird man natürlich finden, daß die christliche Be¬
wegung in Syrien nicht weiter vorwärts gekommen ist. Offenbar lächerlich
ist es daher, wenn in der Broschüre behauptet wird, daß viele der angeblich
Bekehrten ihren Einfluß und ihre Connexionen überall herum benutzten, um
andere Moslemin nach sich zu ziehen. Wir können uns daher füglich ent¬
halten, auf die dort erzählten Bekehrungsgeschichten selbst, namentlich auf die
Wunder, welche dabei zur Erscheinung gekommen sein sollen, specieller einzu¬
gehen ; wer mit dem Orient einigermaßen vertraut ist, wird geneigt sein, jenen
Vorkommnissen, insoweit sie nicht ganz imaginär und überhaupt denkbar sind,
eine sehr einfache, natürliche Erklärung zu geben, und damit kaum fehlgreifen.
Diese wunderbaren Dinge um deswillen für zweifellos zu halten und hinzu-


treten, die türkische Herrschaft aber, als eine fremde, bei allen Landeseingebor-
nen, bei Christen wie bei Mohammedanern, die sämmtlich einer Race, der
syrisch-arabischen, angehören, verhaßt. Die Religionsgemeinschaft der Osma-
nen mit den Moslemin des Landes erklärt allein die Existenz ihrer Herrschaft
in Syrien. Ein ernstliches Zerwürfniß in dieser Hinsicht — und es ist da¬
mit zu Ende! Wie alle Eingebornen dieses Landes gegen Andersgläubige
unduldsam sind, so ist das mohammedanische Volk Syriens im höchsten
Grade fanatisch. Strenge in religiöser Beziehung ist deshalb für die türkische
Negierung hier ein Lebensgebot. Mag in Stambul bei der Pforte Toleranz
zum stritt befolgten Grundsatz werden: in Syrien ist das Princip der Dul¬
dung, selbst beim besten Willen der Pforte, nicht durchführbar, und der be¬
kannte Hat Humayun von 1836. welcher die Christen in der Türkei den Mo¬
hammedanern gleichstellt und allen Unterthanen des Sultans unbeschränkte
Religionsfreiheit zusichert, wird für diese Gegend noch lange nur ein schönes
Wort bleiben. Wollte die Negierung sich in der Praxis tolerant zeigen und
namentlich nicht dafür Sorge tragen, daß ein etwa vom Islam Abgefallener
alsbald auf irgend eine Weise, sei es durch Entfernung aus dem Lande, sei
es durch öffentliche Hinrichtung oder heimliche Ermordung beseitigt werde, so
wäre ein Volksaufruhr unvermeidlich, in welchem, von anderen Folgen abge¬
sehen, an dem Abtrünnigen das Gesetz des Koran, welches ihm den Tod zu¬
erkennt, vollstreckt werden würde. Auf die ohnehin schwache militärische
Macht könnte die Regierung in solchem Falle sich durchaus nicht stützen.

Die einzige Hoffnung beruht demnach für derartige Convertiten darauf,
daß der Religionswechsel verborgen bleibt — eine auch um deswillen sehr
schwierige Sache, weil das äußere Leben der Christen und der Moslemin, ihre
Sitten und Gebräuche in so vielen wesentlichen Punkten von einander ab¬
weichen und jede Veränderung darin so leicht ins Auge fällt. Insbesondere
bei zahlreicheren Uebertritten gehört die Verheimlichung ins Gebiet der Un¬
möglichkeit. Nach alledem wird man natürlich finden, daß die christliche Be¬
wegung in Syrien nicht weiter vorwärts gekommen ist. Offenbar lächerlich
ist es daher, wenn in der Broschüre behauptet wird, daß viele der angeblich
Bekehrten ihren Einfluß und ihre Connexionen überall herum benutzten, um
andere Moslemin nach sich zu ziehen. Wir können uns daher füglich ent¬
halten, auf die dort erzählten Bekehrungsgeschichten selbst, namentlich auf die
Wunder, welche dabei zur Erscheinung gekommen sein sollen, specieller einzu¬
gehen ; wer mit dem Orient einigermaßen vertraut ist, wird geneigt sein, jenen
Vorkommnissen, insoweit sie nicht ganz imaginär und überhaupt denkbar sind,
eine sehr einfache, natürliche Erklärung zu geben, und damit kaum fehlgreifen.
Diese wunderbaren Dinge um deswillen für zweifellos zu halten und hinzu-


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[0356] treten, die türkische Herrschaft aber, als eine fremde, bei allen Landeseingebor- nen, bei Christen wie bei Mohammedanern, die sämmtlich einer Race, der syrisch-arabischen, angehören, verhaßt. Die Religionsgemeinschaft der Osma- nen mit den Moslemin des Landes erklärt allein die Existenz ihrer Herrschaft in Syrien. Ein ernstliches Zerwürfniß in dieser Hinsicht — und es ist da¬ mit zu Ende! Wie alle Eingebornen dieses Landes gegen Andersgläubige unduldsam sind, so ist das mohammedanische Volk Syriens im höchsten Grade fanatisch. Strenge in religiöser Beziehung ist deshalb für die türkische Negierung hier ein Lebensgebot. Mag in Stambul bei der Pforte Toleranz zum stritt befolgten Grundsatz werden: in Syrien ist das Princip der Dul¬ dung, selbst beim besten Willen der Pforte, nicht durchführbar, und der be¬ kannte Hat Humayun von 1836. welcher die Christen in der Türkei den Mo¬ hammedanern gleichstellt und allen Unterthanen des Sultans unbeschränkte Religionsfreiheit zusichert, wird für diese Gegend noch lange nur ein schönes Wort bleiben. Wollte die Negierung sich in der Praxis tolerant zeigen und namentlich nicht dafür Sorge tragen, daß ein etwa vom Islam Abgefallener alsbald auf irgend eine Weise, sei es durch Entfernung aus dem Lande, sei es durch öffentliche Hinrichtung oder heimliche Ermordung beseitigt werde, so wäre ein Volksaufruhr unvermeidlich, in welchem, von anderen Folgen abge¬ sehen, an dem Abtrünnigen das Gesetz des Koran, welches ihm den Tod zu¬ erkennt, vollstreckt werden würde. Auf die ohnehin schwache militärische Macht könnte die Regierung in solchem Falle sich durchaus nicht stützen. Die einzige Hoffnung beruht demnach für derartige Convertiten darauf, daß der Religionswechsel verborgen bleibt — eine auch um deswillen sehr schwierige Sache, weil das äußere Leben der Christen und der Moslemin, ihre Sitten und Gebräuche in so vielen wesentlichen Punkten von einander ab¬ weichen und jede Veränderung darin so leicht ins Auge fällt. Insbesondere bei zahlreicheren Uebertritten gehört die Verheimlichung ins Gebiet der Un¬ möglichkeit. Nach alledem wird man natürlich finden, daß die christliche Be¬ wegung in Syrien nicht weiter vorwärts gekommen ist. Offenbar lächerlich ist es daher, wenn in der Broschüre behauptet wird, daß viele der angeblich Bekehrten ihren Einfluß und ihre Connexionen überall herum benutzten, um andere Moslemin nach sich zu ziehen. Wir können uns daher füglich ent¬ halten, auf die dort erzählten Bekehrungsgeschichten selbst, namentlich auf die Wunder, welche dabei zur Erscheinung gekommen sein sollen, specieller einzu¬ gehen ; wer mit dem Orient einigermaßen vertraut ist, wird geneigt sein, jenen Vorkommnissen, insoweit sie nicht ganz imaginär und überhaupt denkbar sind, eine sehr einfache, natürliche Erklärung zu geben, und damit kaum fehlgreifen. Diese wunderbaren Dinge um deswillen für zweifellos zu halten und hinzu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/356>, abgerufen am 22.07.2024.