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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Dardanellenfestung gebracht werden. Man glaubte in Beirut allgemein, sie
würden dort niemals anlangen, sondern einfach draußen im Meere ertränkt
werden und so auf dem den Türken nicht mehr ungewöhnlichen Wege spur¬
los verschwinden. -- Dieser Ueberzeugung sollen auch die Gefangenen selbst
gewesen sein.

Es wird nämlich erzählt, daß sie bei Gelegenheit der Einschiffung -- dem
einzigen Moment, wo sie in Berührung mit Andern kamen, -- dies offen aus¬
gesprochen hätten. Allein diese Voraussicht ist nicht in Erfüllung gegangen;
sichern Nachrichten zufolge sind jene Personen wirklich in einem der Dardanellen¬
schlösser eingetroffen. Von dort hat man sie dann späterhin nach dem afrikani¬
schen Tripolis gebracht, wo sie noch jetzt gefangen sitzen sollen.

Seitdem hat man hier von der fraglichen christlichen Bewegung Nichts
mehr vernommen. Es ist anzunehmen, daß dieselbe nicht weiter fortgeschritten
ist, mindestens nicht an innerer Stärke. Auf friedlichem Wege ist eine solche
Weiterentwickelung in Syrien überhaupt nicht denkbar. Um Mißverständnissen
vorzubeugen, bemerken wir vor Allem, daß wir überhaupt in diesem Artikel
unter "Syrien" nicht den geographisch so bezeichneten Landstrich Asiens, sondern
die türkische Provinz, das Vilayet dieses Namens verstehen. Demgemäß
bleibt der Bezirk des Libanon, der dazu nicht gehört, ausgenommen. Dieses
Gebirge, wo die Pforte niemals die völlig absolute, unumschränkte Herrin ge¬
wesen, besitzt noch heute eine freiere, unabhängigere Stellung als die meisten
anderen Theile des Osmanenreichs; feit 1860 hat der Libanon bekanntlich
eine von den Großmächten garantirte Verfassung und einen eigenen von der
Pforte im Einverständniß mit Jenen ernannten (christlichen) Gouverneur. Im
Libanon nun herrscht von Alters her völlige Religionsfreiheit, und es sind auch
Uebertritte vom Moslemin zum Christenthum dort zuweilen vorgekommen.
Allerdings ist die Bevölkerung des Gebirges vorwiegend christlich; etwa eine
halbe Million Köpfe gehören den verschiedenen christlichen Confessionen, meist
der Secte der Maroniten, an, den Rest bilden Mohammedaner und Drusen,
von denen Erstere kaum 2,000, Letztere S0.000 Seelen zählen. Die Städte
Beirut, Saida und Tripolis mit ihren nächsten Umgebungen gehören indessen
nicht zum Libanonbezirk. In Syrien, wie es sich danach abgrenzt, gibt es
für einen zum Christenthum convertirten Moslem, sobald sein Uebertritt be¬
kannt geworden ist, keine Stätte mehr. Der Islam ist hier noch zu mächtig,
noch übergewaltig, vor allen in dem heiligen Damaskus, das unter seinen
ungefähr 130,000 Bewohnern seit der Katastrophe von 1860 nur wenige
Tausend Christen besitzt.

Schon die türkische Regierung selbst vermag Uebertritte zum Christen¬
thum in diesem Lande nimmermehr zu dulden. Denn der Stamm der Türken
ist in Syrien sehr schwach, fast ausschließlich blos in der Beamtenwelt ver-


Dardanellenfestung gebracht werden. Man glaubte in Beirut allgemein, sie
würden dort niemals anlangen, sondern einfach draußen im Meere ertränkt
werden und so auf dem den Türken nicht mehr ungewöhnlichen Wege spur¬
los verschwinden. — Dieser Ueberzeugung sollen auch die Gefangenen selbst
gewesen sein.

Es wird nämlich erzählt, daß sie bei Gelegenheit der Einschiffung — dem
einzigen Moment, wo sie in Berührung mit Andern kamen, — dies offen aus¬
gesprochen hätten. Allein diese Voraussicht ist nicht in Erfüllung gegangen;
sichern Nachrichten zufolge sind jene Personen wirklich in einem der Dardanellen¬
schlösser eingetroffen. Von dort hat man sie dann späterhin nach dem afrikani¬
schen Tripolis gebracht, wo sie noch jetzt gefangen sitzen sollen.

Seitdem hat man hier von der fraglichen christlichen Bewegung Nichts
mehr vernommen. Es ist anzunehmen, daß dieselbe nicht weiter fortgeschritten
ist, mindestens nicht an innerer Stärke. Auf friedlichem Wege ist eine solche
Weiterentwickelung in Syrien überhaupt nicht denkbar. Um Mißverständnissen
vorzubeugen, bemerken wir vor Allem, daß wir überhaupt in diesem Artikel
unter „Syrien" nicht den geographisch so bezeichneten Landstrich Asiens, sondern
die türkische Provinz, das Vilayet dieses Namens verstehen. Demgemäß
bleibt der Bezirk des Libanon, der dazu nicht gehört, ausgenommen. Dieses
Gebirge, wo die Pforte niemals die völlig absolute, unumschränkte Herrin ge¬
wesen, besitzt noch heute eine freiere, unabhängigere Stellung als die meisten
anderen Theile des Osmanenreichs; feit 1860 hat der Libanon bekanntlich
eine von den Großmächten garantirte Verfassung und einen eigenen von der
Pforte im Einverständniß mit Jenen ernannten (christlichen) Gouverneur. Im
Libanon nun herrscht von Alters her völlige Religionsfreiheit, und es sind auch
Uebertritte vom Moslemin zum Christenthum dort zuweilen vorgekommen.
Allerdings ist die Bevölkerung des Gebirges vorwiegend christlich; etwa eine
halbe Million Köpfe gehören den verschiedenen christlichen Confessionen, meist
der Secte der Maroniten, an, den Rest bilden Mohammedaner und Drusen,
von denen Erstere kaum 2,000, Letztere S0.000 Seelen zählen. Die Städte
Beirut, Saida und Tripolis mit ihren nächsten Umgebungen gehören indessen
nicht zum Libanonbezirk. In Syrien, wie es sich danach abgrenzt, gibt es
für einen zum Christenthum convertirten Moslem, sobald sein Uebertritt be¬
kannt geworden ist, keine Stätte mehr. Der Islam ist hier noch zu mächtig,
noch übergewaltig, vor allen in dem heiligen Damaskus, das unter seinen
ungefähr 130,000 Bewohnern seit der Katastrophe von 1860 nur wenige
Tausend Christen besitzt.

Schon die türkische Regierung selbst vermag Uebertritte zum Christen¬
thum in diesem Lande nimmermehr zu dulden. Denn der Stamm der Türken
ist in Syrien sehr schwach, fast ausschließlich blos in der Beamtenwelt ver-


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[0355] Dardanellenfestung gebracht werden. Man glaubte in Beirut allgemein, sie würden dort niemals anlangen, sondern einfach draußen im Meere ertränkt werden und so auf dem den Türken nicht mehr ungewöhnlichen Wege spur¬ los verschwinden. — Dieser Ueberzeugung sollen auch die Gefangenen selbst gewesen sein. Es wird nämlich erzählt, daß sie bei Gelegenheit der Einschiffung — dem einzigen Moment, wo sie in Berührung mit Andern kamen, — dies offen aus¬ gesprochen hätten. Allein diese Voraussicht ist nicht in Erfüllung gegangen; sichern Nachrichten zufolge sind jene Personen wirklich in einem der Dardanellen¬ schlösser eingetroffen. Von dort hat man sie dann späterhin nach dem afrikani¬ schen Tripolis gebracht, wo sie noch jetzt gefangen sitzen sollen. Seitdem hat man hier von der fraglichen christlichen Bewegung Nichts mehr vernommen. Es ist anzunehmen, daß dieselbe nicht weiter fortgeschritten ist, mindestens nicht an innerer Stärke. Auf friedlichem Wege ist eine solche Weiterentwickelung in Syrien überhaupt nicht denkbar. Um Mißverständnissen vorzubeugen, bemerken wir vor Allem, daß wir überhaupt in diesem Artikel unter „Syrien" nicht den geographisch so bezeichneten Landstrich Asiens, sondern die türkische Provinz, das Vilayet dieses Namens verstehen. Demgemäß bleibt der Bezirk des Libanon, der dazu nicht gehört, ausgenommen. Dieses Gebirge, wo die Pforte niemals die völlig absolute, unumschränkte Herrin ge¬ wesen, besitzt noch heute eine freiere, unabhängigere Stellung als die meisten anderen Theile des Osmanenreichs; feit 1860 hat der Libanon bekanntlich eine von den Großmächten garantirte Verfassung und einen eigenen von der Pforte im Einverständniß mit Jenen ernannten (christlichen) Gouverneur. Im Libanon nun herrscht von Alters her völlige Religionsfreiheit, und es sind auch Uebertritte vom Moslemin zum Christenthum dort zuweilen vorgekommen. Allerdings ist die Bevölkerung des Gebirges vorwiegend christlich; etwa eine halbe Million Köpfe gehören den verschiedenen christlichen Confessionen, meist der Secte der Maroniten, an, den Rest bilden Mohammedaner und Drusen, von denen Erstere kaum 2,000, Letztere S0.000 Seelen zählen. Die Städte Beirut, Saida und Tripolis mit ihren nächsten Umgebungen gehören indessen nicht zum Libanonbezirk. In Syrien, wie es sich danach abgrenzt, gibt es für einen zum Christenthum convertirten Moslem, sobald sein Uebertritt be¬ kannt geworden ist, keine Stätte mehr. Der Islam ist hier noch zu mächtig, noch übergewaltig, vor allen in dem heiligen Damaskus, das unter seinen ungefähr 130,000 Bewohnern seit der Katastrophe von 1860 nur wenige Tausend Christen besitzt. Schon die türkische Regierung selbst vermag Uebertritte zum Christen¬ thum in diesem Lande nimmermehr zu dulden. Denn der Stamm der Türken ist in Syrien sehr schwach, fast ausschließlich blos in der Beamtenwelt ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/355>, abgerufen am 24.08.2024.