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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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zu verlassen und den Umweg durch den abseits gelegenen Stuttgarter Thal¬
kessel unter Ueberwindung von Terrainschwierigkeiten aller Art zu machen.
Seit dem Eintritt in das Reich beginnt, wie in dem hohen Adel das Gefühl
ehemaliger Parität, so in den größeren Städten des Landes, namentlich aber
in den uralten Mittelpunkten des süddeutschen Handels, den ehemaligen deut¬
schen Reichsstädten, das Bewußtsein der eigenen Bedeutung und damit der
Nothwendigkeit eines directen Zusammenhangs mit den größeren Handels¬
plätzen im Reiche mehr und mehr sich geltend zu machen. Hatten doch gerade
sie bisher von Seiten des factischen Staatsmonopols zu Gunsten der Residenz
die größte Zurücksetzung erfahren müssen! Das Monopol hatte der Privat-
Speculation geradezu verboten, an der Stelle des Staates in die Lücke zu
treten. Litt ja der letztere schon bisher unter dem bedeutenden -- auf mehrere
Millionen bezifferten Deficit seiner Bahnen, wie konnte er -- von dem Ein¬
fluß auf die Wahlen ganz abgesehen -- die Herstellung directer Linien
zwischen Bayern und Baden, welche der Staatsbahn den ganzen Transitver¬
kehr entzogen haben würden, der Privatunternehmung überlassen? Nun droht
plötzlich das Reich diesem egoistischen Treiben des schwäbischen Fiscus, ge¬
stützt auf jenen Artikel 41, ein Ende zu machen. Es handelt sich in erster
Linie um eine directe Verbindung zwischen Straßburg und Ulm, welche ebenso
sehr durch strategische Rücksichten als durch die Interessen des großen Ver¬
kehrs gefordert wird. Bereits hat sich eine Frankfurter Gesellschaft dem
Reichskanzleramt zum Bau dieser Bahn erboten, welche man in Stuttgart
um jeden Preis zu verhindern sucht, weil sie einerseits Stuttgart umgehen,
andererseits das Monopol der Staatsbahn durchbrechen würde. Aehnlich ver¬
hält es sich mit der von badischer Seite bereits in Angriff genommenen
directen Bahnlinie Carlsruhe-Heilbronn (Würzburg), deren Fortführung auf
württembergischen Gebiet bis Heilbronn ohne jeden Staatszuschuß gesichert,
aber von unserem Verkehrsministerium trotz ihrer großen Bedeutung für die
directe Verbindung des Reichslandes mit dem Nordosten Deutschlands bisher
aus denselben Gründen nicht zugelassen wurde. Auch hier ist die Vermittlung
des Reichs bereits angerufen worden, und das letztere wird -- das ist die
allgemeine Ueberzeugung -- für die Dauer nicht umhin können, falls die
württembergische Regierung auf ihrem einseitig fiscalischen und Residenz-
Standpunkt beharrt, die Bestimmungen der Reichsverfassung zur Anwendung
zu bringen. Das Reich wird hierdurch die schönste Gelegenheit finden, inner¬
halb der Grenzen seiner Competenz durch die Geltendmachung der berechtigten
Interessen der Gesammtheit sich zugleich die Herzen der schwäbischen Pro-
vinzialen zu gewinnen, und das Bewußtsein immer fester zu begründen, daß
der deutsche Gesammtstaat dem Wohl der Einzelnen wie ganzer Gemeinden
den wirksamsten Schutz zu gewähren im Stande ist. Es bedarf aber kaum


zu verlassen und den Umweg durch den abseits gelegenen Stuttgarter Thal¬
kessel unter Ueberwindung von Terrainschwierigkeiten aller Art zu machen.
Seit dem Eintritt in das Reich beginnt, wie in dem hohen Adel das Gefühl
ehemaliger Parität, so in den größeren Städten des Landes, namentlich aber
in den uralten Mittelpunkten des süddeutschen Handels, den ehemaligen deut¬
schen Reichsstädten, das Bewußtsein der eigenen Bedeutung und damit der
Nothwendigkeit eines directen Zusammenhangs mit den größeren Handels¬
plätzen im Reiche mehr und mehr sich geltend zu machen. Hatten doch gerade
sie bisher von Seiten des factischen Staatsmonopols zu Gunsten der Residenz
die größte Zurücksetzung erfahren müssen! Das Monopol hatte der Privat-
Speculation geradezu verboten, an der Stelle des Staates in die Lücke zu
treten. Litt ja der letztere schon bisher unter dem bedeutenden — auf mehrere
Millionen bezifferten Deficit seiner Bahnen, wie konnte er — von dem Ein¬
fluß auf die Wahlen ganz abgesehen — die Herstellung directer Linien
zwischen Bayern und Baden, welche der Staatsbahn den ganzen Transitver¬
kehr entzogen haben würden, der Privatunternehmung überlassen? Nun droht
plötzlich das Reich diesem egoistischen Treiben des schwäbischen Fiscus, ge¬
stützt auf jenen Artikel 41, ein Ende zu machen. Es handelt sich in erster
Linie um eine directe Verbindung zwischen Straßburg und Ulm, welche ebenso
sehr durch strategische Rücksichten als durch die Interessen des großen Ver¬
kehrs gefordert wird. Bereits hat sich eine Frankfurter Gesellschaft dem
Reichskanzleramt zum Bau dieser Bahn erboten, welche man in Stuttgart
um jeden Preis zu verhindern sucht, weil sie einerseits Stuttgart umgehen,
andererseits das Monopol der Staatsbahn durchbrechen würde. Aehnlich ver¬
hält es sich mit der von badischer Seite bereits in Angriff genommenen
directen Bahnlinie Carlsruhe-Heilbronn (Würzburg), deren Fortführung auf
württembergischen Gebiet bis Heilbronn ohne jeden Staatszuschuß gesichert,
aber von unserem Verkehrsministerium trotz ihrer großen Bedeutung für die
directe Verbindung des Reichslandes mit dem Nordosten Deutschlands bisher
aus denselben Gründen nicht zugelassen wurde. Auch hier ist die Vermittlung
des Reichs bereits angerufen worden, und das letztere wird — das ist die
allgemeine Ueberzeugung — für die Dauer nicht umhin können, falls die
württembergische Regierung auf ihrem einseitig fiscalischen und Residenz-
Standpunkt beharrt, die Bestimmungen der Reichsverfassung zur Anwendung
zu bringen. Das Reich wird hierdurch die schönste Gelegenheit finden, inner¬
halb der Grenzen seiner Competenz durch die Geltendmachung der berechtigten
Interessen der Gesammtheit sich zugleich die Herzen der schwäbischen Pro-
vinzialen zu gewinnen, und das Bewußtsein immer fester zu begründen, daß
der deutsche Gesammtstaat dem Wohl der Einzelnen wie ganzer Gemeinden
den wirksamsten Schutz zu gewähren im Stande ist. Es bedarf aber kaum


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/322>, abgerufen am 28.06.2024.