Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wichtigsten Hebel der inneren Politik Schwabens. Man hatte in demselben,
wie überhaupt in den verschiedenen Vortheilen, welche d^e Verkehrsanstalten
den einzelnen Orten zu gewähren im Stande sind, ein äußerst brauchbares
Mittel der Einwirkung auf das Volk erkannt: ja es war in neuester Zeit so
weit gekommen, daß diejenigen Bezirke, welche bisher keine Eisenbahn besaßen,
als äußerstes Mittel, um zu diesem Ziel zu gelangen, geradezu die obersten
Beamten der Verkehrsanstalten einen nach dem andern in die Kammer wählten,
und dadurch mit überraschender Schnelligkeit ihren Zweck erreichten. Daher
auch die entschieden ablehnende Antwort, welche das Ministerium neulich auf
die Anfrage Pfeifers, wegen des von fast allen Seiten gewünschten Ueber¬
gangs unserer Post- und Telegraphenverwaltung auf das Reich -- abgab.
Das Ministerium drohte hierbei unsern -- in solchen Dingen bis zur Kritik¬
losigkeit vertrauensvollen Abgeordneten mit einem bedeutenden Ausfall in den
Einnahmen, mußte sich aber gefallen lassen, daß Pfeifer, eine der wenigen
Finanzcapacitäten der Kammer, diese Aufstellung als eine ganz willkürliche
Behauptung zurückwies und im Gegentheil erhebliche peeuniäre Vortheile als
Folge des Verzichts auf jene Rechte zu erweisen sich erbot.*)

Um so wichtiger erscheint der Antrag, welchen der Fürst von Hohen-
lohe-Langenburg, der Führer der kleinen Zahl deutsch-gesinnter Männer
unseres Herrenhauses, neuerdings eingebracht hat, der Antrag nämlich, das
Princip des ausschließlichen Bahnbaues durch den Staat für die Zukunft auf¬
zugeben. Derselbe ist von weit größerer politischer Tragweite als es auf den
ersten Anblick erscheinen möchte, und ist der bedenklichen Situation erwachsen,
in welche die getreue Befolgung der Rathschläge Moritz Mohl's unsere ganze
Staatsfinanzverwaltung gebracht hat. Während unsere Regierung mit uner¬
klärlicher Hartnäckigkeit dem Laster'schen Antrag auf Erweiterung der Compe-
tenz des Reiches entgegentritt, ist auf einer andern Seite der ganze württem¬
bergische Staatshaushalt ohne jede Competenzerweiterung in Folge des Art.
41 der Reichsverfassung in völlige Abhängigkeit von der Reichsgewalt ge¬
kommen. Seit Jahren hatte man nämlich im Interesse der schwäbischen
Kirchthurmspolitik, um Stuttgart der Hindernisse seiner natürlichen Lage un-
eracht"t zur Großstadt zu machen, alle Bahnen, so weit möglich, in concen-
trischer Richtung auf Stuttgart gebaut. Man hatte hierbei ebenso sehr die
Interessen der größeren Städte des Landes als der beiden Nachbarstaaten
Bayern und Baden hintangesetzt und den großen Verkehr gezwungen, die ur¬
alten directen Straßenlinien zwischen Süden und Norden, Westen und Osten



-) Berge, den Artikel in Ur. 20 der Grenzvoten: "Die Postreservatrechte Bayerns und
Württembergs", welcher ganz genau nachweist, wie viel günstiger sich diese sclbstpostbegnadeten
D. Red. Staaten finanziell durch Anschluß an die Ncichspost stellen würden.
Grenzboten I. 1872. 40

wichtigsten Hebel der inneren Politik Schwabens. Man hatte in demselben,
wie überhaupt in den verschiedenen Vortheilen, welche d^e Verkehrsanstalten
den einzelnen Orten zu gewähren im Stande sind, ein äußerst brauchbares
Mittel der Einwirkung auf das Volk erkannt: ja es war in neuester Zeit so
weit gekommen, daß diejenigen Bezirke, welche bisher keine Eisenbahn besaßen,
als äußerstes Mittel, um zu diesem Ziel zu gelangen, geradezu die obersten
Beamten der Verkehrsanstalten einen nach dem andern in die Kammer wählten,
und dadurch mit überraschender Schnelligkeit ihren Zweck erreichten. Daher
auch die entschieden ablehnende Antwort, welche das Ministerium neulich auf
die Anfrage Pfeifers, wegen des von fast allen Seiten gewünschten Ueber¬
gangs unserer Post- und Telegraphenverwaltung auf das Reich — abgab.
Das Ministerium drohte hierbei unsern — in solchen Dingen bis zur Kritik¬
losigkeit vertrauensvollen Abgeordneten mit einem bedeutenden Ausfall in den
Einnahmen, mußte sich aber gefallen lassen, daß Pfeifer, eine der wenigen
Finanzcapacitäten der Kammer, diese Aufstellung als eine ganz willkürliche
Behauptung zurückwies und im Gegentheil erhebliche peeuniäre Vortheile als
Folge des Verzichts auf jene Rechte zu erweisen sich erbot.*)

Um so wichtiger erscheint der Antrag, welchen der Fürst von Hohen-
lohe-Langenburg, der Führer der kleinen Zahl deutsch-gesinnter Männer
unseres Herrenhauses, neuerdings eingebracht hat, der Antrag nämlich, das
Princip des ausschließlichen Bahnbaues durch den Staat für die Zukunft auf¬
zugeben. Derselbe ist von weit größerer politischer Tragweite als es auf den
ersten Anblick erscheinen möchte, und ist der bedenklichen Situation erwachsen,
in welche die getreue Befolgung der Rathschläge Moritz Mohl's unsere ganze
Staatsfinanzverwaltung gebracht hat. Während unsere Regierung mit uner¬
klärlicher Hartnäckigkeit dem Laster'schen Antrag auf Erweiterung der Compe-
tenz des Reiches entgegentritt, ist auf einer andern Seite der ganze württem¬
bergische Staatshaushalt ohne jede Competenzerweiterung in Folge des Art.
41 der Reichsverfassung in völlige Abhängigkeit von der Reichsgewalt ge¬
kommen. Seit Jahren hatte man nämlich im Interesse der schwäbischen
Kirchthurmspolitik, um Stuttgart der Hindernisse seiner natürlichen Lage un-
eracht»t zur Großstadt zu machen, alle Bahnen, so weit möglich, in concen-
trischer Richtung auf Stuttgart gebaut. Man hatte hierbei ebenso sehr die
Interessen der größeren Städte des Landes als der beiden Nachbarstaaten
Bayern und Baden hintangesetzt und den großen Verkehr gezwungen, die ur¬
alten directen Straßenlinien zwischen Süden und Norden, Westen und Osten



-) Berge, den Artikel in Ur. 20 der Grenzvoten: „Die Postreservatrechte Bayerns und
Württembergs", welcher ganz genau nachweist, wie viel günstiger sich diese sclbstpostbegnadeten
D. Red. Staaten finanziell durch Anschluß an die Ncichspost stellen würden.
Grenzboten I. 1872. 40
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0321" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/127717"/>
          <p xml:id="ID_1035" prev="#ID_1034"> wichtigsten Hebel der inneren Politik Schwabens. Man hatte in demselben,<lb/>
wie überhaupt in den verschiedenen Vortheilen, welche d^e Verkehrsanstalten<lb/>
den einzelnen Orten zu gewähren im Stande sind, ein äußerst brauchbares<lb/>
Mittel der Einwirkung auf das Volk erkannt: ja es war in neuester Zeit so<lb/>
weit gekommen, daß diejenigen Bezirke, welche bisher keine Eisenbahn besaßen,<lb/>
als äußerstes Mittel, um zu diesem Ziel zu gelangen, geradezu die obersten<lb/>
Beamten der Verkehrsanstalten einen nach dem andern in die Kammer wählten,<lb/>
und dadurch mit überraschender Schnelligkeit ihren Zweck erreichten. Daher<lb/>
auch die entschieden ablehnende Antwort, welche das Ministerium neulich auf<lb/>
die Anfrage Pfeifers, wegen des von fast allen Seiten gewünschten Ueber¬<lb/>
gangs unserer Post- und Telegraphenverwaltung auf das Reich &#x2014; abgab.<lb/>
Das Ministerium drohte hierbei unsern &#x2014; in solchen Dingen bis zur Kritik¬<lb/>
losigkeit vertrauensvollen Abgeordneten mit einem bedeutenden Ausfall in den<lb/>
Einnahmen, mußte sich aber gefallen lassen, daß Pfeifer, eine der wenigen<lb/>
Finanzcapacitäten der Kammer, diese Aufstellung als eine ganz willkürliche<lb/>
Behauptung zurückwies und im Gegentheil erhebliche peeuniäre Vortheile als<lb/>
Folge des Verzichts auf jene Rechte zu erweisen sich erbot.*)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1036" next="#ID_1037"> Um so wichtiger erscheint der Antrag, welchen der Fürst von Hohen-<lb/>
lohe-Langenburg, der Führer der kleinen Zahl deutsch-gesinnter Männer<lb/>
unseres Herrenhauses, neuerdings eingebracht hat, der Antrag nämlich, das<lb/>
Princip des ausschließlichen Bahnbaues durch den Staat für die Zukunft auf¬<lb/>
zugeben. Derselbe ist von weit größerer politischer Tragweite als es auf den<lb/>
ersten Anblick erscheinen möchte, und ist der bedenklichen Situation erwachsen,<lb/>
in welche die getreue Befolgung der Rathschläge Moritz Mohl's unsere ganze<lb/>
Staatsfinanzverwaltung gebracht hat. Während unsere Regierung mit uner¬<lb/>
klärlicher Hartnäckigkeit dem Laster'schen Antrag auf Erweiterung der Compe-<lb/>
tenz des Reiches entgegentritt, ist auf einer andern Seite der ganze württem¬<lb/>
bergische Staatshaushalt ohne jede Competenzerweiterung in Folge des Art.<lb/>
41 der Reichsverfassung in völlige Abhängigkeit von der Reichsgewalt ge¬<lb/>
kommen. Seit Jahren hatte man nämlich im Interesse der schwäbischen<lb/>
Kirchthurmspolitik, um Stuttgart der Hindernisse seiner natürlichen Lage un-<lb/>
eracht»t zur Großstadt zu machen, alle Bahnen, so weit möglich, in concen-<lb/>
trischer Richtung auf Stuttgart gebaut. Man hatte hierbei ebenso sehr die<lb/>
Interessen der größeren Städte des Landes als der beiden Nachbarstaaten<lb/>
Bayern und Baden hintangesetzt und den großen Verkehr gezwungen, die ur¬<lb/>
alten directen Straßenlinien zwischen Süden und Norden, Westen und Osten</p><lb/>
          <note xml:id="FID_86" place="foot"> -) Berge, den Artikel in Ur. 20 der Grenzvoten: &#x201E;Die Postreservatrechte Bayerns und<lb/>
Württembergs", welcher ganz genau nachweist, wie viel günstiger sich diese sclbstpostbegnadeten<lb/><note type="byline"> D. Red.</note> Staaten finanziell durch Anschluß an die Ncichspost stellen würden. </note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. 1872. 40</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0321] wichtigsten Hebel der inneren Politik Schwabens. Man hatte in demselben, wie überhaupt in den verschiedenen Vortheilen, welche d^e Verkehrsanstalten den einzelnen Orten zu gewähren im Stande sind, ein äußerst brauchbares Mittel der Einwirkung auf das Volk erkannt: ja es war in neuester Zeit so weit gekommen, daß diejenigen Bezirke, welche bisher keine Eisenbahn besaßen, als äußerstes Mittel, um zu diesem Ziel zu gelangen, geradezu die obersten Beamten der Verkehrsanstalten einen nach dem andern in die Kammer wählten, und dadurch mit überraschender Schnelligkeit ihren Zweck erreichten. Daher auch die entschieden ablehnende Antwort, welche das Ministerium neulich auf die Anfrage Pfeifers, wegen des von fast allen Seiten gewünschten Ueber¬ gangs unserer Post- und Telegraphenverwaltung auf das Reich — abgab. Das Ministerium drohte hierbei unsern — in solchen Dingen bis zur Kritik¬ losigkeit vertrauensvollen Abgeordneten mit einem bedeutenden Ausfall in den Einnahmen, mußte sich aber gefallen lassen, daß Pfeifer, eine der wenigen Finanzcapacitäten der Kammer, diese Aufstellung als eine ganz willkürliche Behauptung zurückwies und im Gegentheil erhebliche peeuniäre Vortheile als Folge des Verzichts auf jene Rechte zu erweisen sich erbot.*) Um so wichtiger erscheint der Antrag, welchen der Fürst von Hohen- lohe-Langenburg, der Führer der kleinen Zahl deutsch-gesinnter Männer unseres Herrenhauses, neuerdings eingebracht hat, der Antrag nämlich, das Princip des ausschließlichen Bahnbaues durch den Staat für die Zukunft auf¬ zugeben. Derselbe ist von weit größerer politischer Tragweite als es auf den ersten Anblick erscheinen möchte, und ist der bedenklichen Situation erwachsen, in welche die getreue Befolgung der Rathschläge Moritz Mohl's unsere ganze Staatsfinanzverwaltung gebracht hat. Während unsere Regierung mit uner¬ klärlicher Hartnäckigkeit dem Laster'schen Antrag auf Erweiterung der Compe- tenz des Reiches entgegentritt, ist auf einer andern Seite der ganze württem¬ bergische Staatshaushalt ohne jede Competenzerweiterung in Folge des Art. 41 der Reichsverfassung in völlige Abhängigkeit von der Reichsgewalt ge¬ kommen. Seit Jahren hatte man nämlich im Interesse der schwäbischen Kirchthurmspolitik, um Stuttgart der Hindernisse seiner natürlichen Lage un- eracht»t zur Großstadt zu machen, alle Bahnen, so weit möglich, in concen- trischer Richtung auf Stuttgart gebaut. Man hatte hierbei ebenso sehr die Interessen der größeren Städte des Landes als der beiden Nachbarstaaten Bayern und Baden hintangesetzt und den großen Verkehr gezwungen, die ur¬ alten directen Straßenlinien zwischen Süden und Norden, Westen und Osten -) Berge, den Artikel in Ur. 20 der Grenzvoten: „Die Postreservatrechte Bayerns und Württembergs", welcher ganz genau nachweist, wie viel günstiger sich diese sclbstpostbegnadeten D. Red. Staaten finanziell durch Anschluß an die Ncichspost stellen würden. Grenzboten I. 1872. 40

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/321
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/321>, abgerufen am 22.12.2024.