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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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anstalten angenommen worden ist. ahndet es mit harten Strafen, wenn die
Gefangenen durch Mienen, Geberden oder Worte sich unter einander ver¬
ständigen. Die Anzahl der Strafen, welche aus diesem Anlasse verhängt
werden, ist eine ungeheuer große. In dem Gefängnisse Coldbathfields in
London kamen, wie Varrentrapp *) anführt, im Jahre 1836 bei einer Be¬
völkerung von 900 bis 1000 Gefangenen, bei 142 Beamten und bei 218 aus
den Verbrechern selbst entnommenen Aufsehern, nicht weniger als 5138 Be¬
strafungen wegen Uebertretung des Schweiggebotes vor, im Jahre 1842:
9652 aus derselben Ursache. In einem französischen Zuchthause wurden bei
einer Bevölkerung von 1200 Gefangenen im Jahre 1842 mehr als 10,000
Strafen wegen Uebertretung des Gebotes des Stillschweigens verhängt, in
einem andern bei etwa 300 Gefangenen nahe an 6000 Strafen aus derselben
Ursache. Im Jahre 1857 wurden in sämmtlichen französischen Gefängnissen
80,588 Disciplinarstrafen vollzogen, und zwar 40,754 wegen Uebertretung
des Schweiggebotes. Die Erfahrung lehrt indeß, daß selbst durch die strengste
Aufrechterhaltung des Schweiggebots die Verständigung der Gefangenen unter
einander nicht sicher verhütet werde. Dagegen können wir ein um so größeres
Vertrauen in den Nutzen der nächtlichen Trennung der Gefangenen setzen,
welche namentlich dazu dient, das unzüchtige Treiben von Gefangenen zu ver¬
hüten und das Schamgefühl zu schonen. Da, wo eine vollständige Trennung
der Gefangenen nicht möglich ist, empfiehlt sich die von Heine**) beschriebene
Einrichtung in den Schlafsälen: Zellen von 7 Fuß Höhe, 7 Fuß Länge und
4 Fuß Breite sind an der Längswand des Schlafsaales so angebracht, daß
diese ihnen gemeinschaftlich ist, die Decke der Zellen und die verschließbare
Thür sind von Eisendraht, die Seitenwände von Eisenblech, in der Zelle be¬
findet sich ein Krug mit Trinkwasser und ein des Morgens zu reinigender
Nachteimer mit Deckel.

Die Disciplinarstrafen sind leider ein unentbehrliches Mittel der
Erziehung in den Gefängnissen und können, bei rücksichtsloser Anwendung,
der Gesundheit sehr nachtheilig werden. Diejenige Strafe, von welcher wir
dies am wenigsten besorgen dürfen, ist die Einzelhaft, welche über Ge¬
fangene in der gemeinsamen Haft als Disciplinarstrafe verhängt wird. Wie
sehr die Einzelhaft sich für die Erreichung des Strafzweckes überhaupt eigne,
werde ich bald zeigen, in dem hier in Rede stehenden Falle aber muß ich sie
in dem Interesse der öffentlichen Gesundheitspflege allen andern Disciplinar-
strafen vorziehen. Die Einzelhaft wird durch Entziehung des Lichtes, durch




") Actenstücke, die Ausschreibung einer Concurrenz zur Einreichung von Bauplänen für ein
neues Strafgefängniß zu Frankfurt a. M, betreffend. -- Ausschufzbericht an die gesetzgebende
Versammlung, Gefängnißneubau betr. (Berichterstatter: Varrentrapp), S. 22.
") W. Heine: Die Besserung als Strafzweck. Leipzig 18VV, S. 31.

anstalten angenommen worden ist. ahndet es mit harten Strafen, wenn die
Gefangenen durch Mienen, Geberden oder Worte sich unter einander ver¬
ständigen. Die Anzahl der Strafen, welche aus diesem Anlasse verhängt
werden, ist eine ungeheuer große. In dem Gefängnisse Coldbathfields in
London kamen, wie Varrentrapp *) anführt, im Jahre 1836 bei einer Be¬
völkerung von 900 bis 1000 Gefangenen, bei 142 Beamten und bei 218 aus
den Verbrechern selbst entnommenen Aufsehern, nicht weniger als 5138 Be¬
strafungen wegen Uebertretung des Schweiggebotes vor, im Jahre 1842:
9652 aus derselben Ursache. In einem französischen Zuchthause wurden bei
einer Bevölkerung von 1200 Gefangenen im Jahre 1842 mehr als 10,000
Strafen wegen Uebertretung des Gebotes des Stillschweigens verhängt, in
einem andern bei etwa 300 Gefangenen nahe an 6000 Strafen aus derselben
Ursache. Im Jahre 1857 wurden in sämmtlichen französischen Gefängnissen
80,588 Disciplinarstrafen vollzogen, und zwar 40,754 wegen Uebertretung
des Schweiggebotes. Die Erfahrung lehrt indeß, daß selbst durch die strengste
Aufrechterhaltung des Schweiggebots die Verständigung der Gefangenen unter
einander nicht sicher verhütet werde. Dagegen können wir ein um so größeres
Vertrauen in den Nutzen der nächtlichen Trennung der Gefangenen setzen,
welche namentlich dazu dient, das unzüchtige Treiben von Gefangenen zu ver¬
hüten und das Schamgefühl zu schonen. Da, wo eine vollständige Trennung
der Gefangenen nicht möglich ist, empfiehlt sich die von Heine**) beschriebene
Einrichtung in den Schlafsälen: Zellen von 7 Fuß Höhe, 7 Fuß Länge und
4 Fuß Breite sind an der Längswand des Schlafsaales so angebracht, daß
diese ihnen gemeinschaftlich ist, die Decke der Zellen und die verschließbare
Thür sind von Eisendraht, die Seitenwände von Eisenblech, in der Zelle be¬
findet sich ein Krug mit Trinkwasser und ein des Morgens zu reinigender
Nachteimer mit Deckel.

Die Disciplinarstrafen sind leider ein unentbehrliches Mittel der
Erziehung in den Gefängnissen und können, bei rücksichtsloser Anwendung,
der Gesundheit sehr nachtheilig werden. Diejenige Strafe, von welcher wir
dies am wenigsten besorgen dürfen, ist die Einzelhaft, welche über Ge¬
fangene in der gemeinsamen Haft als Disciplinarstrafe verhängt wird. Wie
sehr die Einzelhaft sich für die Erreichung des Strafzweckes überhaupt eigne,
werde ich bald zeigen, in dem hier in Rede stehenden Falle aber muß ich sie
in dem Interesse der öffentlichen Gesundheitspflege allen andern Disciplinar-
strafen vorziehen. Die Einzelhaft wird durch Entziehung des Lichtes, durch




") Actenstücke, die Ausschreibung einer Concurrenz zur Einreichung von Bauplänen für ein
neues Strafgefängniß zu Frankfurt a. M, betreffend. — Ausschufzbericht an die gesetzgebende
Versammlung, Gefängnißneubau betr. (Berichterstatter: Varrentrapp), S. 22.
") W. Heine: Die Besserung als Strafzweck. Leipzig 18VV, S. 31.
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[0304] anstalten angenommen worden ist. ahndet es mit harten Strafen, wenn die Gefangenen durch Mienen, Geberden oder Worte sich unter einander ver¬ ständigen. Die Anzahl der Strafen, welche aus diesem Anlasse verhängt werden, ist eine ungeheuer große. In dem Gefängnisse Coldbathfields in London kamen, wie Varrentrapp *) anführt, im Jahre 1836 bei einer Be¬ völkerung von 900 bis 1000 Gefangenen, bei 142 Beamten und bei 218 aus den Verbrechern selbst entnommenen Aufsehern, nicht weniger als 5138 Be¬ strafungen wegen Uebertretung des Schweiggebotes vor, im Jahre 1842: 9652 aus derselben Ursache. In einem französischen Zuchthause wurden bei einer Bevölkerung von 1200 Gefangenen im Jahre 1842 mehr als 10,000 Strafen wegen Uebertretung des Gebotes des Stillschweigens verhängt, in einem andern bei etwa 300 Gefangenen nahe an 6000 Strafen aus derselben Ursache. Im Jahre 1857 wurden in sämmtlichen französischen Gefängnissen 80,588 Disciplinarstrafen vollzogen, und zwar 40,754 wegen Uebertretung des Schweiggebotes. Die Erfahrung lehrt indeß, daß selbst durch die strengste Aufrechterhaltung des Schweiggebots die Verständigung der Gefangenen unter einander nicht sicher verhütet werde. Dagegen können wir ein um so größeres Vertrauen in den Nutzen der nächtlichen Trennung der Gefangenen setzen, welche namentlich dazu dient, das unzüchtige Treiben von Gefangenen zu ver¬ hüten und das Schamgefühl zu schonen. Da, wo eine vollständige Trennung der Gefangenen nicht möglich ist, empfiehlt sich die von Heine**) beschriebene Einrichtung in den Schlafsälen: Zellen von 7 Fuß Höhe, 7 Fuß Länge und 4 Fuß Breite sind an der Längswand des Schlafsaales so angebracht, daß diese ihnen gemeinschaftlich ist, die Decke der Zellen und die verschließbare Thür sind von Eisendraht, die Seitenwände von Eisenblech, in der Zelle be¬ findet sich ein Krug mit Trinkwasser und ein des Morgens zu reinigender Nachteimer mit Deckel. Die Disciplinarstrafen sind leider ein unentbehrliches Mittel der Erziehung in den Gefängnissen und können, bei rücksichtsloser Anwendung, der Gesundheit sehr nachtheilig werden. Diejenige Strafe, von welcher wir dies am wenigsten besorgen dürfen, ist die Einzelhaft, welche über Ge¬ fangene in der gemeinsamen Haft als Disciplinarstrafe verhängt wird. Wie sehr die Einzelhaft sich für die Erreichung des Strafzweckes überhaupt eigne, werde ich bald zeigen, in dem hier in Rede stehenden Falle aber muß ich sie in dem Interesse der öffentlichen Gesundheitspflege allen andern Disciplinar- strafen vorziehen. Die Einzelhaft wird durch Entziehung des Lichtes, durch ") Actenstücke, die Ausschreibung einer Concurrenz zur Einreichung von Bauplänen für ein neues Strafgefängniß zu Frankfurt a. M, betreffend. — Ausschufzbericht an die gesetzgebende Versammlung, Gefängnißneubau betr. (Berichterstatter: Varrentrapp), S. 22. ") W. Heine: Die Besserung als Strafzweck. Leipzig 18VV, S. 31.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/304>, abgerufen am 22.07.2024.